# taz.de -- Schlagloch Beschneidung: Beschnittene Meinung
       
       > Polemik über das Abendmahl? Verboten. Meine erste Zensurerfahrung.
       
 (IMG) Bild: Eine Übung in freier Assoziation: Sehen wir das Werkzeug des Zensors oder das des Beschneiders?
       
       Gerade als die Beschneidungsdebatte entbrannte, passierte mir etwas, das
       mir im Laufe meiner gesamten journalistischen Karriere noch nie geschehen
       ist: Ich wurde zensiert.
       
       Ich glaube jedenfalls, so nennt man das, wenn man eine Meinung äußern will
       und deren Veröffentlichung nach Maßgabe eines Gesetzes von einer
       öffentlichen Einrichtung unterdrückt wird.
       
       Für den WDR hatte ich einen Kommentar zur Beschneidungsfrage geschrieben.
       Ich begann damit, dass seit einigen Jahren alles, was muslimischer Brauch
       sei, mit Verdacht überschüttet und sorgfältigst auf seine Verbietbarkeit
       geprüft wird. Dann fuhr ich im zweiten Absatz fort: „...die Sitte der
       Beschneidung empfinden viele christlich oder atheistisch sozialisierte
       Menschen als ,barbarisch'. – Dieser Vorwurf des Barbarismus wird immer gern
       da erhoben, wo man den Balken im Auge des anderen sieht und im eigenen
       nicht.
       
       Es soll Leute geben, Christen!, die sich regelmäßig treffen, um vom
       Leichnam ihres Heilands zu essen. Es soll Leute geben – normale Bürger! –
       die tote Kuh- und Schweinebabies auf den Grill werfen! Es soll Leute geben,
       die zu unbekannten sehr jungen Frauen in einen Wohnwagen gehen und denen
       für wenig Geld ihren (unbeschnittenen oder beschnittenen) Penis reinrammen.
       Meine Güte, was finde ich nicht alles barbarisch! Ich fürchte nur, in einer
       pluralistischen Gesellschaft kann das allein kein Argument sein. Kommen wir
       also zu den Argumenten?“
       
       ## Obszön war die Praxis
       
       Der Redakteur rief an und teilte mir etwas verlegen mit, dass es da ein
       gewisses Problem gebe. Ich hatte es schon fast befürchtet: Sicher mochte
       man den Satz mit dem Rammen nicht. Auch ich selbst hatte gezögert: War
       diese Sprache nicht etwas obszön? Andererseits: Obszön war doch eigentlich
       nicht das von mir verwendete Wort, sondern die Praxis, um die es geht. Aber
       das war gar nicht die problematische Stelle.
       
       Der Satz, der gestrichen werden musste, war der mit dem Abendmahl. Es gibt
       nämlich in NRW ein Gesetz über den Westdeutschen Rundfunk Köln von 1985, wo
       es heißt: „Die sittlichen und religiösen Überzeugungen der Bevölkerung sind
       zu achten.“
       
       Diese hängen mit der „besonderen Bedeutung des Rundfunks, speziell des
       öffentlich-rechtlichen, für die Gesellschaft“ zusammen. Und leider könnte
       ein Hörer aus meinen Sätzen schließen, dass ich das Abendmahl barbarisch
       fände. Nun, eigentlich ist unschwer zu erkennen, dass es sich um eine
       Polemik handelt, eine Kaskade zugespitzter Behauptungen.
       
       ## Das Fernrohr umdrehen
       
       Tatsächlich finde ich das Abendmahl nicht barbarisch, ja, nicht einmal
       unappetitlich. Erstens habe ich in katholischer Religion Abitur gemacht und
       zweitens ist mir ganz grundsätzlich klar, dass zu einer Religion
       Geschichten und Riten gehören und dass nicht jeder Ritus einen allgemein
       erklärlichen „Sinn“ ergeben muss.
       
       Riten sind Riten. Man verleiht ihnen Sinn, indem man sie wiederholt
       ausführt; nur ganz schlechte Ethnologen stehen vor einem ihnen unbekannten
       Volksstamm und sagen: Mein Gott, können sich diese Wilden denn nicht etwas
       Ordentliches anziehen?!
       
       Und genau um diese plumpe Ethnologie ging es mir. Ich wollte das Fernrohr,
       mit dem die Mehrheitsgesellschaft auf ihre Minderheiten guckt, für einen
       ganz kurzen Moment herumdrehen.
       
       Seit Jahren wird in ganz Deutschland und auch in den öffentlichen Radios in
       NRW freizügig darüber diskutiert, ob der Islam überhaupt zu Deutschland
       gehöre, wenn ja, wie viel Islam Deutschland „vertrage“, ob er in seiner
       jetzigen Form nahezu zwangsläufig sexualfeindliche oder gewalttätige
       Menschen hervorbringe (u.a. Seyran Ates und Necla Kelek auf Dradio und WDR)
       , ob das Kopftuch „Vorspiel“ zum Ehrenmord sei (Ralph Giordano im WDR), ob
       Mohammed eventuell gar nicht gelebt habe oder sein Name „ein Hoheitstitel
       für Jesus“ gewesen sei (Sven Kalisch bzw. Karl-Heinz Ohlig auf WDR), ob der
       Koran überhaupt Gottes Wort sei oder nicht Fälschung (siehe westart vom
       7.2.2010), ob die Dummheit der Muslime unser Land ruinieren könnte (Thilo
       Sarrazin bei Hart aber fair) und ob vielleicht die Politik unterschätze,
       „wie viel Angst die Bürger vor dem Islam haben“ (Frank Plasberg).
       
       "Die Bürger"? Die religiösen Überzeugungen "der Bevölkerung"? Von welchem
       Teil der Bevölkerung redet ihr da? Schließlich dreht sich die gesamte
       Debatte um Vorhautbeschneidung darum, ob ein bei Juden und Muslimen
       gängiges religiöses Ritual in der Nähe der Kindesmisshandlung anzusiedeln
       ist.
       
       ## Befremdlicher Zug des Abendmahls
       
       Darf ich jetzt mal zusammenfassen: Vor diesem Hintergrund und in einem
       Land, in dem man Muslime ständig als überempfindlich schimpft und in dem
       die Kanzlerin jemanden für seine Mohammed-Karikatur mit einem Medienpreis
       als couragiert ehrt, da darf man nicht wagen anzusprechen, dass die
       christliche Sitte des Abendmahls für Außenstehende eventuell einen
       befremdlichen Zug hat?
       
       Zurück zur Beschneidung: Es gibt natürlich (in jedem kulturellen Kontext)
       Traditionen, die grausam sind und sich überlebt haben. Aber die meisten
       werden für eine partikulare Gemeinschaft zentral, gesamtgesellschaftlich
       jedoch moralisch neutral sein.
       
       Nach Gesprächen mit Ärzten und Spezialisten habe ich den Eindruck gewonnen,
       dass die medizinisch korrekt ausgeführte Vorhautbeschneidung keine
       besonderen Beeinträchtigungen nach sich zieht. Sie ist demnach einfach nur
       eine Kulturpraxis unter anderen. Nicht alle deutschen Bürger müssen sie
       toll finden oder nachahmen, aber so wie alle Eltern ihre Kinder bestimmten
       Praktiken und Vorstellungen unterwerfen, haben auch muslimische Eltern das
       Recht dazu. Im Übrigen ist es falsch, jeden multikulturellen Dissens sofort
       mit gesetzlichen Verboten ersticken zu wollen.
       
       Man muss sich mit den jeweils Anderen auch auseinandersetzen, herausfinden,
       was eine bestimmte Praxis für sie bedeutet, sie eventuell zu überzeugen
       versuchen. Falls es das wert ist. Aber genau diese Auseinandersetzung will
       man vermutlich lieber vermeiden, denn sonst würde man Gefahr laufen
       festzustellen: So sonderlich die Einheimischen manches finden, was die
       „Neuen“ tun, so sonderlich fanden diese zunächst manches, was hierzulande
       üblich ist.
       
       4 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hilal Sezgin
 (DIR) Hilal Sezgin
       
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