# taz.de -- Folk mit Synthesizer: Der Fünffach-Gefühlslooping
       
       > Die Kanadierin Martha Wainwright überzeugt auf ihrem neuen Album „Come
       > Home to Mama“ durch Stilsicherheit. Dazu gibt es Geschichten der Familie.
       
 (IMG) Bild: Das Albumcover „Come Home to Mama“
       
       Als Martha Wainwright vor ein paar Jahren auf die Bühne des Hamburger
       Kampnagel-Theaters schoss, barfüßig, und wie stets in abenteuerlichem
       Gewand, bekam die sachlich-anonyme Hallenatmosphäre im Nu den intimen
       Anstrich eines Privatkonzerts. Dabei hatte sie einfach nur gefragt, ob es
       allen gut geht.
       
       Bereits bei den ersten Klängen ihres neuen, ihres dritten Albums, „Come
       Home To Mama“ – das mit den Edith-Piaf-Interpretationen nicht mitgerechnet
       –, stellt sich derselbe Effekt ein. Und das schon, bevor man sich für den
       Fünffach-Gefühlslooping, auf den die zehn großartigen Songs die Hörer
       mitnehmen, überhaupt erst sicher zurückgelehnt hat.
       
       Gründe für diesen „Martha-Effekt“ gibt es einige. Da wäre zunächst einmal
       die Performance. Diese wirkt immer glaubwürdig, egal ob echt oder
       geschauspielert – sie hat immerhin eine Schauspielschule besucht. Das
       könnte an der bühnenaffinen Umgebung liegen, in der sie aufgewachsen ist.
       Vater Loudon III ist ein gefeierter Folksänger, Mutter Kate McGarrigle war
       es ebenso. Beim großen Bruder Rufus schulte sie als Backgroundsängerin ihre
       zu allerhand fähige Stimme.
       
       Darüber hinaus ist es in der Familie Wainwright üblich, recht persönliche
       Themen in Songs zu kommunizieren. Marthas notorischer Song „Bloody Mother
       Fucking Asshole“ aus dem Jahr 2004, in dem sie den in ihrer Kindheit
       abwesenden Vater attackiert, ist nur ein bezauberndes Beispiel für den
       innerfamiliären Call-and-Response.
       
       ## Reine Familienangelegenheiten
       
       „Come Home To Mama“ ist von zwei lebensverändernden Ereignissen geprägt:
       der Geburt ihres Sohnes Archangelo im November 2009 und der Tod ihrer
       Mutter nur zweieinhalb Monate später. Für „All Your Clothes“, der
       Auftaktsong, den Wainwright nach dem Tod der Mutter schrieb, ordnet sie
       deren Sachen, fragt sie um Rat und teilt ihr den Stand der Dinge mit: „The
       baby’s doing fine / My marriage is failing / But I keep trying all the
       time“.
       
       Wer es lieber sachlich mag, könnte sich hier pikiert abwenden, für alle
       anderen stellt sich wieder der Martha-Effekt ein: Die Verlautbarung intimer
       Details führt beim Hören nicht zu peinlicher Berührtheit, sondern weckt
       eher Erinnerungen an eigene Erfahrungen mit Hinterlassenschaften einer
       verstorbenen Person.
       
       Im live eingespielten Stück „Everything Wrong“ wendet sich die Wainwright
       an ihren Sohn, nach einem anstrengenden Tag, an dem einiges schiefgelaufen
       ist. Sie beklagt die Untreue des Ehemannes, entschuldigt sich für
       Überreaktionen und verspricht, Archangelo zwar anleiten zu wollen, ihn aber
       nicht zu manipulieren: „I am your protector / I am not your pretender“, und
       ermutigt ihn, seinen eigenen Weg zu gehen. Für eine Musikerin, die sich aus
       dem familiären Haifischbecken freizuschwimmen hatte, ein wichtiges
       Anliegen.
       
       Die titelgebende Zeile „Come Home to Mama“ stammt aus „Proserpina“, einem
       Song ihrer Mutter. Es ist laut Wainwright zentraler Song ihres Albums und
       der letzte, den Kate McGarrigle vor ihrem Tod schrieb. Darin geht es um die
       von Pluto in den Hades entführte römische Gottheit, die auf Verlangen ihrer
       Mutter Ceres die Hälfte des Jahres die Unterwelt verlassen durfte.
       
       ## Synthesizer sind neu dabei
       
       Für Wainwright war es selbstverständlich, diesen Song aufzunehmen, als
       Widmung an die Mutter, weil sie das Gefühl hatte, er sei für sie
       geschrieben und, ganz profan, damit ihn niemand anderes verhunzt.
       Musikalisch hat Martha Wainwright ihr Spektrum erweitert. Standen die
       Vorgängeralben musikalisch noch ganz in der Folktradition, setzt Wainwright
       bei „Come Home To Mama“ vermehrt Synthesizer und sonstige elektronische
       Effekte ein.
       
       Geschuldet ist das der stilsicheren Hand von Yuka C. Honda. Die langjährige
       Freundin Wainwrights und Sängerin der japanischen Band Cibo Matto hat „Come
       Home To Mama“ produziert. Wainwright beschreibt die Verfahrensweise von
       Honda als sehr offen.
       
       Die Songs entstanden teils beim Jammen als Live-Takes und teils, indem sie
       die Arrangements um die Gesangsdemos herum baute. Wainwright verzichtet auf
       die bisweilen anstrengende Stimmakrobatik früherer Aufnahmen, beeindruckt
       dennoch mit erstaunlichen Koloraturen und stilistischer Sicherheit.
       
       ## Sperriges Timbre
       
       Von großer Broadway-Geste über Tom-Petty’sche Koboldhaftigkeit bis hin zu
       profundem Folk reicht die Ausdruckspalette, stets zusammengehalten durch
       das sperrige Timbre ihrer Stimme. Die innere Geschlossenheit des Albums mag
       auch von der vertrauten Arbeitsatmosphäre rühren.
       
       Aufgenommen wurde im Homestudio von Sean Lennon in New York. Wainwrights
       Ehemann Brad Albetta, der bisher ihre Alben produzierte, spielt Bass.
       Gitarre spielt Hondas Ehemann Nels Cline, sonst Gitarrist bei Wilco. Wann
       sich der nächste Martha-Effekt live einstellt, ist noch ungewiss, Tourdaten
       für Deutschland stehen leider noch nicht fest.
       
       22 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sylvia Prahl
       
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