# taz.de -- Neues Album von Josephine Foster: Belcanto und Mörderballaden
       
       > Josephine Foster ist zurück im Folk-Paralleluniversum: Revolutionär und
       > eigen – trotz Opernstimme. Oder gerade deshalb.
       
 (IMG) Bild: Grenzenloses Staunen, große Begeisterung, die anstecken mag: Josephine Foster.
       
       Ups, da ist sie schon wieder! Wer dachte, dass es sich Josephine Foster
       nach zwei sehr schönen Alben mit klassischen spanischen Liedern in diesem
       Terrain gemütlich macht, wird verblüfft sein, dass die Amerikanerin gerade
       mal drei Monate nach der Veröffentlichung von „Perlas“ doch wieder ganz
       woanders ist.
       
       Genauer gesagt: Sie ist dort, wo man sie zuletzt sah, bevor sie sich in
       ihre Spanien-Recherche verabschiedete – in ihrer ganz eigenen
       Folk-Parallelwelt, in der Belcanto und Noise, alte Mörderballaden und New
       Yorker Minimalismus friedlich miteinander koexistieren.
       
       In den offiziellen Beschreibungen zu diesem neuen Album wird erzählt,
       Foster sei diesmal in die Haut eines „Heteronyms“, eines Alter Egos namens
       „Blushing“ geschlüpft und hätte das Album aus ihrer Sicht komponiert. Aber
       wozu dieser Umweg? Die Musik klingt vor allem nach Josephine Foster. Was
       nicht zuletzt an ihrem Gesang liegt. Nicht nur regelmäßigen Betrachtern von
       Casting Shows muss diese Stimme fremdartig vorkommen: Wieso singt die so?
       Wer ist die überhaupt? Wo kommt das her?
       
       Josephine Foster hat eine große, klassisch geschulte Stimme und wirft sich
       voll hinein in die Möglichkeiten ihres Soprans. Sie unterwirft sich jedoch
       keinerlei stilgetriebenen Regelkatalogen, sie lässt ihre Stimme an der
       langen Leine – und das kann auch schon mal abenteuerlich klingen. Ihre
       prägenden Gesangserlebnisse seien klassische Stimmen gewesen,
       Opernsängerinnen, sagte sie kürzlich einem Interviewer. Sie wolle nicht
       klingen wie eine dünne Nudel, wie ein kleines Mädchen.
       
       Dennoch singt sie nicht Oper oder anderes klassisches Repertoire, sondern
       eigene Lieder, die wie Folksongs klingen. Und eigentlich klingt ihre Stimme
       auch meistens weniger nach Verdi, als nach Appalachen, nach
       US-Folk-Ursuppe, in der ja auch einige beeindruckende Vokalartisten
       herumschwammen, wie man spätestens seit Harry Smith’ „Anthology of American
       Folk Music“ weiß. Letztlich ist Josephine Foster unendlich viel näher an
       der Carter Family, wie sie dort dokumentiert ist, als an Anna Netrebko.
       
       ## In der Ursuppe des Folk
       
       Ähnlich offen wie bei Harry Smith ist auch ihr Folk-Verständnis. Allerdings
       sind seit dessen Pionierarbeit über 50 Jahre vergangen und man möchte
       Foster recht geben, wenn sie den Klang der frühen Velvet Underground
       mittlerweile in dieses Kontinuum mit einschließt.
       
       1966 liegt heute länger zurück als das Aufnahmedatum der meisten Songs, die
       Smith für seine Anthologie einsammelte, zu dem Zeitpunkt als er sie
       veröffentlichte. Die Verbindung aus Lou Reeds Gitarrenfreakouts, der gegen
       den Strich gekratzten Viola John Cales und dem neoprimitiven Getrommel
       Maureen Tuckers ist heute genauso sehr Teil des kollektiven musikalischen
       Unbewussten wie der Blues oder der Blue Yodel. Ein Song wie „Geyser“, der
       sich ziemlich explizit bei den Velvet Underground der ersten Jahre bedankt,
       passt sich in den Albumablauf ziemlich problemlos ein – und das, obwohl die
       Titel davor und danach eher dem romantischen Fach zuzurechnen sind.
       
       Hier entstehen auch produktive Missverständnisse: Das „Mexican Skin Drum“,
       das Ben Trimble zu fast allen Songs beisteuert, klingt hier wie der
       Versuch, den Maureen-Tucker-Sound nachzustellen. In anderen Songs klingt es
       tribal, rootsy – eben Folk-Genre-Gepflogenheiten entsprechend. Es gibt
       daneben eine ganze Reihe Songs, die eine gewisse eigentümliche Naivität
       ausstrahlen: die Naivität des Stadtmädchens, das zum ersten Mal auf einem
       Bauernhof ist, oder auch des Landmädchens, das zum ersten Mal die Großstadt
       erobern möchte.
       
       Grenzenloses Staunen, große Begeisterung, die anstecken mag, auch
       diejenigen, die längst wissen, dass hinter den Kulissen stumpfe Arbeit,
       Depression und Tragödien lauern. Zyniker steigen an dieser Stelle aus. Es
       ist das, was die Musik von Josephine Foster so interessant macht: Ja, es
       ist Folk. Aber es ist eine Folk-Definition, die ungefähr so eigen und
       revolutionär ist wie die der Incredible String Band 1967. Sie ist auf
       sympathische Weise verunsichernd, denn sie zeigt, dass schon wieder Zeit
       vergangen ist, dass sich die Erde weitergedreht hat und dass man auf das
       verklärend zurückblickt, das einen eben noch als das frischeste neueste
       sexy Ding verrückt gemacht hat.
       
       ## Josephine Foster: "Blood Rushing" (Fire Records/Cargo)
       
       1 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Detlef Diederichsen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Folk
       
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