# taz.de -- Stammzellenforschung: Unerfülltes Heilsversprechen
       
       > Der klinische Nutzen der embryonalen Stammzellen ist zweifelhaft.
       > Vermutlich eignen sich adulte Stammzellen weit besser für Therapien.
       
 (IMG) Bild: Lebendige Maus aus einer Zelle, die zur Stammzelle rückprogrammiert wurde.
       
       BERLIN taz | Als der Bonner Stammzellforscher Oliver Brüstle sich 1999 die
       Herstellung von Nervenzellen aus menschlichen Embryonen patentieren ließ,
       da waren die Hoffnungen groß: Mit Hilfe embryonaler Stammzellen ließen
       sich, so glaubten viele Wissenschaftler damals, eines Tages
       neurodegenerative Krankheiten wie Parkinson oder Multiple Sklerose heilen.
       Es wäre ein Durchbruch gewesen auf einem Feld, das Mediziner bislang hatte
       aussehen lassen wie hilflose Zuschauer des unaufhaltsamen Verfalls ihrer
       Patienten.
       
       Heute, 13 Jahre später, fallen die Prognosen für klinische Erfolge gedämpft
       bis vernichtend aus: „Die Heilsversprechen der embryonalen
       Stammzellforschung sind eine Nullnummer“, urteilt etwa der Präsident der
       Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery. In der Europäischen Union
       würden embryonale Stammzellen „nur noch in einer einzigen klinischen Studie
       verwendet“, zur Behandlung einer Netzhautkrankheit, sagt der
       CDU-Europaabgeordnete und Bioethik-Experte Peter Liese. Zum Vergleich:
       Adulte Stammzellen und solche aus Nabelschnurblut, für die kein Embryo
       zerstört werden muss, werden in der EU in Studien zu insgesamt 73
       Krankheiten eingesetzt.
       
       Und das, sagt die Biologin Regine Kollek, Professorin für
       Technologiefolgenabschätzung an der Universität Hamburg, liege nicht nur
       daran, dass die Gewinnung adulter Stammzellen, weil ethisch unumstritten,
       häufiger stattfinde. Es liegt vor allem an dem unterschiedlichen
       Entwicklungsstand der verschiedenen Stammzelltypen und den Risiken, die mit
       ihrem Einsatz verbunden sind: Während embryonale Stammzellen pluripotent
       sind, sich also zu allen möglichen Zelltypen entwickeln können, sind adulte
       Stammzellen nur noch multipotent. Einige etwa können sich nur zu
       Nervenzellen entwickeln, andere bloß zu Blutzellen oder solchen des
       Immunsystems.
       
       Trotz dieser Beschränktheit sind die multipotenten Zellen für den
       klinisch-therapeutischen Einsatz weitaus interessanter. Denn sie sind
       besser kontrollier- und steuerbar: Injiziert man sie zu Heilungszwecken in
       den Körper, dann gilt als gesichert, dass sie dort die ihnen zugewiesene
       Rolle erfüllen – und nicht etwa plötzlich zu Tumoren entarten. Pluripotente
       Zellen hingegen tun das oft – eben weil sie noch über enormes
       Teilungspotenzial verfügen und die Fähigkeit haben, sich zu allem zu
       entwickeln, also auch zu Krebszellen.
       
       ## Pantentiertes Menschenleben „durch die Hintertür“
       
       Als Brüstle sein Patent anmeldete, waren diese Risiken weitgehend
       unerforscht. Aus heutiger Sicht jedoch sind sein Patent und dessen
       wirtschaftliche Nutzbarkeit – das BGH-Urteil hin oder her – nur von
       begrenztem Wert.
       
       Warum dann also diese Aufregung vor Gericht, wenn das, was da einst
       patentiert wurde, für die Praxis nicht mehr so bedeutsam ist? „Es geht ums
       Prinzip“, sagt Regine Kollek, die als Sachbeistand für Greenpeace an der
       Verhandlung teilnahm, „also nicht nur um das aktuell verhandelte Patent,
       sondern auch um andere Patente auf embryonale oder pluripotente
       Stammzellen.“
       
       Und diese Patente, die zwar nicht unmittelbarer Bestandteil des Verfahrens
       waren, aber von Greenpeace für die Zukunft befürchtet werden, könnten
       künftig durchaus erfolgreich beantragt werden. Der Grund: Der BGH hat zwar
       embryonale Stammzellen von der Patentierung ausgenommen, wenn hierfür ein
       Embryo zerstört werden müsste. Er hat aber nicht die Patentierung
       pluripotenter menschlicher Stammzellen generell verboten. Eine
       Entscheidung, die Kollek für nicht unproblematisch hält: „Die Patentierung
       menschlichen Lebens erfolgt so durch die Hintertür.“
       
       Längst sei es nämlich möglich, pluripotente Stammzellen nicht nur aus
       Embryonen zu gewinnen. Sondern auch durch die – ethisch unbedenkliche –
       Rückprogrammierung ganz normaler Körperzellen, etwa der Haut von
       Erwachsenen. Diese sogenannten IPS-Zellen (induzierte pluripotente
       Stammzellen) hätten dasselbe Potenzial wie embryonale Stammzellen – sie
       seien pluripotent und in der Lage, unter Beigabe gewisser Hilfsmittel einen
       gesamten Organismus zu bilden.
       
       ## Über jeden Zweifel erhaben
       
       Den Beweis dafür lieferten chinesische Forscher 2009 im Tierversuch: Sie
       betteten pluripotente Mäuse-Stammzellen in ein künstlich geschaffenes
       Bläschen aus nicht entwicklungsfähigen Zellen ein. Daraus entstand eine
       Keimblase (Blastozyste), aus der sich nach Übertragung in die Gebärmutter
       einer Maus normale kleine Mäuse entwickelten und geboren wurden.
       
       Dieses Potenzial, argumentiert Kollek, gelte vermutlich auch für
       entsprechende Zellen des Menschen. Folglich seien auch menschliche
       pluripotente Zellen aufgrund ihrer Fähigkeit, einen ganzen Organismus
       bilden zu können, von der Patentierung, Stichwort Sittenwidrigkeit,
       auszuschließen.
       
       Um für die Zukunft ein solches generelles Verbot zu erreichen, wäre jedoch
       vermutlich der Nachweis nötig, dass nicht nur aus pluripotenten tierischen
       Zellen Tiere entstehen können. Sondern dass aus pluripotenten menschlichen
       Zellen Menschen entstehen können. – Das Patentrecht verlangt Beweise, die
       über jeden Zweifel erhaben sind. Allein: solche Experimente sind aus gutem
       Grund weltweit verboten. „Es ist ein Dilemma“, sagt Regine Kollek.
       „Greenpeace müsste etwas nachweisen, das aus ethischen und rechtlichen
       Gründen nicht durchgeführt werden darf.“
       
       28 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heike Haarhoff
       
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