# taz.de -- Rassismus bei der Bundeswehr: Wenn Farbe, dann Tarnfarbe
       
       > Auch bei der Bundeswehr geht es multikulturell zu. Mancher Soldat hat das
       > aber noch nicht verstanden. Offiziell gilt: Herkunft spielt keine Rolle.
       
 (IMG) Bild: Bundeswehrsoldaten: „Interkulturelle Kompetenz spart Blut“
       
       Sie haben es ihm auf die Haut geschrieben: „Hier wohnen die Mongos.“ Er, in
       Unterhose, mit Tapeband an den Tisch gefesselt. Vier Marinesoldaten im
       Einsatz im Hafen von Beirut haben auf dem Schnellboot „Hermelin“ Mitte
       Februar ihren Vorgesetzten aus dem Schlaf gerissen und gedemütigt. Der
       deutsche Vorgesetzte ist thailändischer Herkunft.
       
       „Ein fremdenfeindlicher Hintergrund wird nach dem Stand der bisherigen
       Vernehmungsprotokolle ausgeschlossen“, sagt ein Sprecher des
       Verteidigungsministeriums, „auch das Opfer wurde befragt.“ Dabei sei
       offenbar geworden, dass das Opfer seine Untergebenen zuvor auch als
       „Mongos“ bezeichnet habe.
       
       Die deutsche Gesellschaft reagiert hellhörig, wenn es um Rassismus und
       Bundeswehr geht – Echo des Zweiten Weltkriegs und der Vernichtungspolitik
       der Nazis. Immer wieder machte die Bundeswehr negative Schlagzeilen mit
       Soldaten, die öffentlich rechtsextreme Musik hörten oder „Heil
       Hitler“-Parolen riefen.
       
       Im September 2012 wurde im NSU-Untersuchungsausschuss ein weiterer Skandal
       bekannt: Der verstorbene Rechtsterrorist Uwe Mundlos wurde in seinen
       Wehrdienstjahren in den 1990ern, obwohl vom militärischen Abschirmdienst
       MAD als rechtsextrem eingestuft, weiter im Schießen ausgebildet. Mundlos,
       der Mann, dem neun Morde an Migranten zur Last gelegt werden.
       
       ## Migrationshintergrund
       
       In Internetforen findet sich häufig die Frage, ob man als Mensch mit
       Migrationshintergrund in die Bundeswehr eintreten kann. Doch eben dieser
       spielt in der Bundeswehr von heute keine Rolle, er wird nicht erfasst.
       Deutscher Soldat ist, wer den deutschen Pass hat. – So einfach?
       
       „Etwa 12 Prozent der Soldaten und Soldatinnen haben einen
       Migrationshintergrund“, schätzt Oberstleutnant Uwe Ulrich, schwarzer
       Bundeswehr-Pulli, blauer Hemdkragen, blaue Augen. Genau könne er es nicht
       sagen, das sei aber auch nicht so wichtig: „Wenn ich in der Flanke liege
       und mir jemand den Rücken deckt, dann ist mir egal, welche Religion oder
       Hautfarbe mein Kamerad hat. Wir dienen einer gemeinsamen Sache, uns
       verbindet eine gemeinsame Werteordnung, das Grundgesetz.“ Ulrich leitet am
       Zentrum Innere Führung in Koblenz die im Jahr 2008 eingerichtete Zentrale
       Koordinierungsstelle Interkulturelle Kompetenz.
       
       „Interkulturelle Kompetenz spart Blut und schont die Nerven“, sagt Ulrich
       und trinkt seinen Kaffee in der OHG, der Offiziersheimgesellschaft, in
       Begleitung eines Pressestabsoffiziers. „Kulturelle Missverständnisse können
       Menschenleben kosten.“ Um das zu verhindern, sei interkulturelle Kompetenz,
       Ulrich nennt das manchmal verkürzt IKK, relevant. „Es gibt zunehmend
       multinationale Zusammenarbeit, aber auch im Hinblick auf Auslandseinsätze
       wird die Notwendigkeit deutlich.“
       
       Im Juni 2012 gab Verteidigungsminister Thomas de Maizière bekannt, den
       Anteil von Soldaten mit Migrationshintergrund weiter erhöhen zu wollen.
       Daher muss sich die Bundeswehr mit der multikulturellen Realität
       auseinandersetzen. Arbeitspapiere wie „Deutsche Staatsbürger muslimischen
       Glaubens in der Bundeswehr“ oder die Unterzeichnung der Charta der Vielfalt
       im Februar 2012 wie auch die Schulungen von Soldatinnen und Soldaten in
       Führungsposition in interkultureller Kompetenz sind Beispiele dafür.
       
       Dezember 2012, Seminarraum 3 im Zentrum Innere Führung in Koblenz: Youssouf
       Diallo betritt den Raum. Ein schwarzer Mann, groß, schlank, Anzug in
       dunkelgrün. Der Ethnologe und interkulturelle Trainer stellt sich vor acht
       Soldaten und eine Soldatin, Feldwebel, Hauptmänner, Oberleutnants, alle in
       grauem Dienstanzug. „Bitte schauen Sie genau hin, was ich jetzt mache“,
       sagt er. Diallo nimmt sich einen Stuhl, stellt ihn in die Mitte des Raumes,
       setzt sich. Er schlägt das eine Bein über das andere, beugt sich leicht
       nach vorn, blickt nach links, nach rechts, schaut auf die Uhr, seufzt,
       zieht die Stirn hoch. Dann steht er auf und fragt: „Was haben Sie gesehen?“
       
       Olaf Ott*, 27, Zeitsoldat, Gebirgsjäger, meldet sich: „Sie waren genervt,
       weil sie auf jemanden gewartet haben.“ „Das haben Sie nicht gesehen,“
       antwortet Diallo, „das haben Sie interpretiert.“
       
       An den Satz wird sich Olaf Ott auch nach dieser Woche Fortbildung in
       interkultureller Kompetenz erinnern. An den Schulterklappen seines Jacketts
       lässt sich sein Dienstgrad ablesen. Zwei Sterne: Oberleutnant.
       
       Abends, entspannt in der Offiziersheimgesellschaft, Typ Eiche dunkel,
       bestellt sich Ott, nun in Zivil, ein Bier. Vom Nachnamen wird zum Vornamen
       gewechselt. Olaf. Gleich nach dem Abitur hat er sich für zwölf Jahre
       verpflichtet, erzählt er. „Bei der Bundeswehr kann man jung viel
       Verantwortung tragen, Verantwortung für Personal, aber auch für
       Materialwert.“ Panzer meint er, zum Beispiel. Später erzählt er, dass er
       seinen Vater früh verloren hat, dass seine Mutter allein mit drei Kindern
       war und dass das seine Entscheidung, sich zu verpflichten, beeinflusst
       habe. Bei der Bundeswehr hat man in finanzieller Sicherheit die
       Möglichkeit, zu studieren. Ott hat ein Betriebswirtschaftsstudium gemacht
       mit vielen Cross-Culture-Trainings sowie einer Zusatzausbildung, mit der er
       nun in Berlin Soldaten und Sanitäter auf Auslandseinsätze vorbereitet.
       
       Und was ist mit Nazis? „Die Bundeswehr hat null Toleranz gegenüber
       Rechtsextremismus“, sagt Ott. Die anderen aus dem Lehrgang, mittlerweile
       auch eingetrudelt, nun Staatsbürger ohne Uniform, nicken. „Ich hatte einmal
       einen Soldaten, der sich ein Hakenkreuz hatte tätowieren lassen, das war
       bekannt, aber ihm wurde vom militärischen Abschirmdienst MAD ein
       Gesinnungswandel attestiert“, erzählt einer. Ein Dritter kann das nicht
       glauben: Der Amtsarzt hätte sich damit schon strafbar gemacht, so einem
       überhaupt eine Diensttauglichkeit auszustellen, meint er. „Außerdem“,
       meldet sich ein Reservist, sei es wichtig, nicht nur über
       Rechtsextremismus, sondern auch über linken Extremismus zu sprechen.
       
       Nach den jährlichen Berichten des Wehrbeauftragten sinkt die Zahl der
       gemeldeten rechtsextremistischen Verdachtsfälle in der Bundeswehr
       tendenziell. Zwar zählte die Bundeswehr-Statistik von 2012 mit 67 Fällen
       vier Fälle mehr als im Vorjahr, aber im Jahr 2009 waren es mit 122 noch
       nahezu doppelt so viele. Bei diesen Verdachtsmeldungen handelt es sich
       meist um „Propagandadelikte“, etwa das Hören rechter Musik,
       Hakenkreuzschmierereien, „Sieg Heil“-Rufe.
       
       ## Abweichende Zahlen
       
       Die Zahlen des Wehrbeauftragten weichen jedoch stark von denen des
       Militärischen Abschirmdienstes MAD ab. Das geht aus einer Kleinen Anfrage
       der Linken hervor. In den vergangenen fünf Jahren, so heißt es in der
       Antwort der Bundesregierung von Anfang 2012, wurden vom MAD etwa 620
       Verdachtsfälle pro Jahr bearbeitet und dabei durchschnittlich 42
       Rechtsextremisten identifiziert. Darüber, wie viele Fälle strafrechtlich
       verfolgt oder durch Disziplinarmaßnahmen bestraft wurden, wird aus
       datenschutzrechtlichen Gründen keine Auskunft gegeben.
       
       Der zweite Seminartag beginnt mit leisem Gemurmel und Frühstücksfernsehen.
       Plötzlich eine Einspielung mit Soldaten auf dem Bildschirm, da wird es
       still im Raum. Es geht um Afghanistan und darum, was passiert, wenn die
       deutschen Isaf-Truppen abziehen. „Wie das Sicherheitspersonal vor Ort nach
       dem Abzug finanziert werden soll, ist unklar“, sagt die Stimme der
       Sprecherin.
       
       Nach den Nachrichten ein Crashkurs in Kulturtheorie. Dann ein Foto. Es
       zeigt einen deutschen Soldaten in Afghanistan, der von einem Afghanen
       umarmt wird – der Deutsche schaut dabei auf die Uhr. „Eine echte Aufnahme“,
       erklärt der Dozent. Der Soldat wurde auf einen Tee eingeladen, doch er
       hatte bereits einen Termin. Am Ende hätte er den aber verschoben und die
       Einladung angenommen. Mit diesem Beispiel wird auf unterschiedliche
       Zeitorientierung hingewiesen, der Afghane hätte in diesem Moment eine
       Absage als unhöflich empfunden. Fazit: Wichtig bei interkultureller
       Kompetenz ist es, den automatischen Bewertungsprozess zu stoppen. „Anders
       heißt nicht besser oder schlechter.“
       
       ## Männer halten Händchen
       
       Um das zu begreifen, besuchen die SoldatInnen in der Kurswoche eine
       Moschee, machen interkulturelle Übungen, zu denen auch Händchenhalten unter
       Männern gehört, lernen von Isaf-Erfahrungen aus Sicht der
       Nichtregierungsorganisationen, hören Vorträge zum Islam, zum Arabischen
       Frühling, zur kulturellen Vielfalt und Kompetenz. Auf Auslandseinsätzen
       wird sie gebraucht. Olaf Ott musste bislang noch nicht ins Ausland. „Ich
       würde lügen, wenn ich nicht darüber nachdenke, was das für mich bedeuten
       würde“, sagt er. Man höre so einiges, „manche kehren mit PTBS zurück,
       manche nicht“. PTBS – posttraumatische Belastungsstörung.
       
       In der Antwort auf eine Bundestagsanfrage der Grünen von 2012 zur
       „multikulturellen Identität der Bundeswehr“ heißt es: „Ein
       Migrationshintergrund kann bei grundsätzlich vergleichbarer Eignung,
       Leistung und Befähigung … ein Alleinstellungsmerkmal darstellen, das im
       Einzelfall effektiv eingesetzt werden kann.“ Soldaten mit
       Migrationshintergrund könnten für die Bundeswehr in vielen Bereichen
       vorteilhaft sein: sei es durch Sprachkompetenzen oder Kulturkenntnisse –
       vor allem im Auslandseinsatz.
       
       Doch neben vielen Bekenntnissen vonseiten der Bundeswehr bleibt dennoch der
       Widerspruch zwischen Integrationsutopie und struktureller Intransparenz
       bestehen. Ohne Erfassung des Migrationshintergrunds bleiben interkulturelle
       Kompetenzen von Soldaten und Soldatinnen ungenutzt. Ohne Erfassung der
       Religionszugehörigkeit wiederum bleibt die Aussicht auf einen Militärrabbi
       oder Imam nur Theorie.
       
       Was den Übergriff auf den aus Thailand stammenden Vorgesetzten betrifft,
       dem die Soldaten „Mongo“ auf den Körper schrieben: Der Fall liegt nun bei
       der Staatsanwaltschaft in Rostock. „Was sagt das eigentlich aus, dass man
       bei einem Vorfall, der einen deutschen Soldaten mit Migrationshintergrund
       betrifft, gleich an Rassismus denkt?“, fragt der Sprecher des
       Verteidigungsministeriums.
       
       In Koblenz schließt sich nach fünf Tagen die Tür von Seminarraum 3. Am
       Rednerpult ist ein Zettel hängen geblieben. Darauf ein Zitat vom Pazifisten
       Mahatma Gandhi: „Ich will, dass die Kulturen aller Länder durch mein Haus
       so unbehindert wie nur möglich wehen. Doch weigere ich mich, von
       irgendeiner weggeweht zu werden.“ Mahatma, das heißt: große Seele.
       
       *Name geändert
       
       10 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jasmin Kalarickal
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