# taz.de -- Bundeswehr in Afghanistan: Der Kommandeur wird Spediteur
       
       > Die Bundeswehr-Camps werden ab dem Frühjahr zu großen Teilen nach
       > Deutschland zurückverfrachtet. Ein Truppenbesuch.
       
 (IMG) Bild: Wo geht es hier nach Deutschland?
       
       MASAR-I-SHARIF taz | „Wir nutzen jetzt jeden Zentimeter, wenn wir die
       Flugzeuge nach Deutschland beladen.“ Boris Nannt spricht von
       „Materialsteuerlisten“, „Materialschleuse“, „Rückführung“ und
       „Wirtschaftlichkeit.“ Säße er da nicht im hellbeigen Flecktarn, man könnte
       ihn in seinem Bürocontainer im bundeswehrtypischen Resopalstil der 70er
       Jahre für den Geschäftsführer eines internationalen Speditionsunternehmens
       halten.
       
       Am Rande der Startbahn von Masar-i-Scharif, inmitten des Lärms von
       amerikanischen Hubschraubern, niederländischen Kampfjets und alten
       russischen Frachtmaschinen, wird alles umgeladen, was aus Deutschland kommt
       oder dorthin zurücksoll. Oberstleutnant Nannt ist hier der Chef von 370
       Logistikern. Der teilweise Rückzug der Bundeswehr ist für Nannt vor allem
       eine Frage von Paletten, Containern und der richtigen Organisation.
       
       Offiziell muss sich die Bundeswehr darauf einstellen, bis zum Ende des
       Isaf-Einsatzes 2014 alles über ein Jahrzehnt angesammelte Material abziehen
       zu müssen. Tatsächlich wird wohl sehr viel mehr Zeit bleiben.
       
       Der Abzug von Soldaten ist dabei längst kein Problem mehr für die
       Bundeswehr. Die Luftwaffe fliegt praktisch im Linienverkehr mit einem
       Airbus A310 dreimal wöchentlich zwischen Köln/Bonn und Termes in
       Usbekistan. Dort, 70 Kilometer nördlich von Masar-i-Scharif, betreibt die
       Bundeswehr einen kleinen Stützpunkt. Schon im Normalbetrieb reicht die
       Kapazität für mehr als 600 Soldaten pro Woche. Müssen gerade ungewöhnlich
       viele Soldaten ausgetauscht werden, chartert die Bundeswehr zusätzlich
       zivile Maschinen. Alles Routine.
       
       ## Deutsche Kleinstädte in Afghanistan
       
       Doch jetzt geht es um den kompletten Abbau zweier Camps, für die die
       Bezeichnung „Feldlager“ eine ziemliche Untertreibung ist. In
       Masar-i-Scharif und in Kundus sind zwei autarke deutsche Kleinstädte
       entstanden – mit eigener Wasser- und Stromversorgung, riesigen
       Treibstofftanks, Tausenden Wohn- und Bürocontainern, Werkstätten von
       Rüstungsfirmen, ausgefeilten elektronischen Überwachungssystemen,
       Großküchen, Sportstudios, Postämtern, Kapellen, Cafés, Geschäften – und
       insgesamt 1.200 Fahrzeugen, vom leichten Geländewagen bis zum
       Schützenpanzer „Marder“.
       
       „Stellen Sie sich vor, Sie werden von Ihrem Arbeitgeber in eine fremde
       Stadt geschickt und nehmen jede Woche etwas in die Zweitwohnung mit.“
       Flottillenadmiral Carsten Stawitzki ist stellvertretender Kommandeur im
       „Regionalkommando Nord“ der Isaf und zuständig für den Rücktransport. „Wird
       Ihr Projekt beendet, ist die Wohnung voll, und Sie müssen entscheiden, was
       sich mitzunehmen lohnt.“
       
       Die Auswahl hängt auch von den Umzugsrouten ab. Die eigentlich günstigste
       Option, der Seeweg vom Hafen in Karachi, fällt aus. Dazu müsste das
       Material zunächst über den Salangpass, dann durch den unruhigen Süden
       Afghanistans und schließlich durch Pakistan geschafft werden.
       
       Eine Alternative ist der Transport per Bahn. Doch von dieser Option
       abhängig machen will man sich schon deshalb nicht, weil dies in Usbekistan
       und Russland die Transitgebühren in die Höhe treiben würde. Offiziell gibt
       es deshalb keine Zahlen. Informell kursiert ein Schätzpreis von 7.500 Euro
       pro Container.
       
       ## 40.000 Euro pro Container
       
       Sicherer zu kalkulieren ist da der Lufttransport. Schon jetzt fliegen
       zivile Frachtmaschinen fünf- bis siebenmal pro Woche zwischen Deutschland
       und Masar-i-Scharif. Selbst Hubschrauber und Panzer wurden so eingeflogen.
       
       Aber die einfachste Lösung ist auch die teuerste: Pro Container müsste man
       wohl 40.000 Euro ansetzen. Dennoch: „Sicherheitsrelevantes Material,
       Munition, Waffen und kryptografische Geräte“, so Flottillenadmiral
       Stawitzki, „bringen wir in jedem Fall im Direktflug zurück nach
       Deutschland.“
       
       Der Großteil des Materials soll über eine Kombination aus Luft- und Seeweg
       laufen: Per Antonow An-124 geht es zu einem eigens eingerichteten
       Bundeswehr-Stützpunkt in Trabzon an der türkischen Schwarzmeerküste, dann
       weiter über das Mittelmeer, den Atlantik und die Nordsee nach Deutschland.
       Das wäre mit schätzungsweise 24.000 Euro deutlich kostengünstiger als ein
       direkter Lufttransport.
       
       Je höher der Preis, desto mehr wird zurückgelassen. Doch was zurückbleibt,
       wird nicht unbedingt den afghanischen Stellen übergeben. Mit den deutschen
       Fahrzeugtypen könnten die Afghanen mangels Ersatzteilen ohnehin nichts
       anfangen, heißt es.
       
       Tatsächlich steckt dahinter auch die Befürchtung, dass ein zurückgelassenes
       deutsches Fahrzeug eines Tages in Fernsehbildern von einem Angriff der
       Aufständischen auftauchen könnte. Neben einem eigenen Trinkwasserbrunnen
       wird die Bundeswehr also demnächst in Masar-i-Scharif auch eine eigene
       Schrottpresse betreiben.
       
       ## Auch das Mahnmal wird abgebaut
       
       Definitiv verlassen wird die Bundeswehr in diesem Jahr Kundus, das zweite
       große deutsche Camp in Afghanistan. Neben rund 1.000 deutschen Soldaten
       leben dort u. a. 270 Niederländer, 150 Belgier, 60 Armenier sowie einige
       Amerikaner, Dänen und Ungarn. Wer wie viele der Soldaten entlang der
       Begrenzungsmauer joggt, kommt bei einer Runde schon auf eine Distanz von
       fünf Kilometern.
       
       „Ab dem Frühjahr wird hier jede Woche mindestens ein Konvoi rausgehen“,
       sagt Oberst Thomas Schmidt, der die rund um Kundus operierenden deutschen
       Einheiten befehligt. „Es wird sich um sechs bis sieben geschützte Fahrzeuge
       handeln, darin eingegliedert Transportfahrzeuge, die möglicherweise auch
       mit Überwachung aus der Luft nach Masar-i-Scharif gebracht werden.“
       
       Bis Ende Oktober, zehn Jahre nachdem die ersten Bundeswehr-Soldaten
       hierherkamen, soll alles Material aus Kundus weggeschafft sein. Das gilt
       auch für die im Halbrund gebaute Mauer aus hellen Ziegeln mit Namenstafeln.
       Vor der Übergabe des Camps wird das Mahnmal mit den Namen der hier durch
       Beschuss, Sprengfallen oder Selbstmordattentate getöteten deutschen
       Soldaten abgebaut, in Container verstaut und nach Deutschland gebracht.
       
       5 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eric Chauvistré
       
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