# taz.de -- Internationale Bauausstellung in Hamburg: Etwas zu kurz gesprungen
       
       > Mit der IBA wollte Hamburg Lösungen für Metropolen-Probleme des 21.
       > Jahrhunderts finden. Am Standort Wilhelmsburg ist der große Wurf
       > ausgeblieben.
       
 (IMG) Bild: IBA Hamburg: der mit Solarpanelen aufgepeppte Energie-Hochbunker in Wilhelmsburg.
       
       HAMBURG taz | Der Energieberg ist eine Müllkippe, die einen Heiligenschein
       trägt. So wirkt der Stelzenweg, der um die Kuppe der ehemaligen
       Giftmülldeponie in Hamburg-Georgswerder herumführt.
       
       Von hier aus bietet sich nicht nur ein vorzüglicher Blick auf die Hamburger
       Innenstadt im Norden und Harburg im Süden, sondern auch auf den Bauch der
       Stadt: Wilhelmsburg – von Verkehrsadern durchzogen; von Fabriken,
       Raffinerien und Containerbrachen bedrängt; eine Flussinsel mit Hochhäusern
       und Siedlungshäuschen, eine Heimat für 140 Nationalitäten, aber auch für
       den Storch, der hier den Frosch aus der Feuchtwiese zupft.
       
       Senat und Bürgerschaft haben dieses Gebiet zum Gegenstand einer
       Internationalen Bauausstellung gemacht, deren Abschlussjahr läuft –
       kombiniert mit einer Gartenschau, die am Wochenende eröffnet worden ist.
       Beide sollen einen Stadtteil aufwerten, der sich vernachlässigt und
       missbraucht fühlt.
       
       Seit drei Jahrzehnten wehren sich die Bewohner gegen die Belastungen, die
       ihnen aufgebürdet worden sind: den Giftmüll wie in dem heutigen
       Energieberg, den Gestank der Fabriken, den Lärm der beiden Schnellstraßen
       und der dicken Bahntrasse, die den Stadtteil durchschneiden – aber auch die
       sozialen Probleme, die sich an so einem Ort mit „zentraler Randlage“
       anhäufen.
       
       Der Stadtteil sorgte immer wieder für Schlagzeilen als Beispiel für den
       sozialen Zerfall deutscher Großstädte. Noch heute ist jeder Zehnte
       arbeitslos, jeder vierte Einwohner bezieht Sozialhilfe, drei Viertel der
       Kinder und Jugendlichen stammen aus Einwandererfamilien.
       
       Lehrstellenbewerber trauten sich kaum zu sagen, dass sie aus Wilhelmsburg
       kommen. In manchen Hochhäusern warfen die Bewohner den Müll einfach aus dem
       Fenster.
       
       Einen Umschlagpunkt erreichte die Entwicklung im Jahr 2000, als der
       Kampfhund Zeus im Stadtteil einen sechsjährigen Jungen totbiss. Im selben
       Sommer exekutierte ein 32-Jähriger seine Freundin und deren zwei Töchter,
       weil sie ihn verlassen hatten. Aus dem Stadtteil kam daraufhin der
       Vorschlag, eine Zukunftskonferenz zu veranstalten.
       
       Als das Weißbuch der Zukunftskonferenz 2002 erschien, erhielten die darin
       entwickelten Ideen eine besondere Dynamik: Inzwischen hatte der neue
       Bürgermeister Ole von Beust (CDU) seine Vision von Hamburg als wachsender
       Stadt aus dem Hut gezaubert. Wilhelmsburg als Insel zwischen Norder- und
       Süderelbe, zwischen „Hamburg“ und Harburg, schien die Gelegenheit zu
       bieten, die Stadt nach innen wachsen zu lassen.
       
       ## Die zentrale Themen
       
       IBA-Geschäftsführer Uli Hellweg und sein Team konstruierten drei Themen,
       die sie bei der Entwicklung von Metropolen für zentral halten: „Kosmopolis“
       –die Stadt in der Globalisierung –, „Metrozonen“ – die inneren Stadtränder
       und Übergangszonen – sowie die „Stadt im Klimawandel“.
       
       Das dritte Thema hat einen besonders emotionalen Bezug zu Wilhelmsburg: Bei
       der verheerenden Sturmflut von 1962 brachen hier die Deiche. Hunderte
       Menschen starben.
       
       Zum Thema Klimaschutz gibt es Projekte wie Tiefengeothermie, ein
       Etagenwohnhaus aus Holz oder eines mit einer Algenfassade, die das
       Raumklima reguliert und Energie produziert. Überdies haben sich die
       IBA-Macher zwei Projekte mit besonderem Schaueffekt ausgedacht: den
       Energieberg und den Energiebunker.
       
       Auf den Energieberg setzten sie Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen. Sein
       Info-Pavillon holt sich die Wärme aus dem Grundwasser. Außerdem versorgt er
       die benachbarte Kupferhütte der Aurubis mit Deponiegas.
       
       ## Heizwerk im Flakbunker
       
       Der Energiebunker ist ein 42 Meter hoher Flakbunker mit vier Türmen, den
       die Briten nach dem Krieg wegen des großen Aufwands nur im Inneren zerstört
       hatten. Er birgt ein Biomasseheizwerk und speichert in einem
       Zwei-Millionen-Liter-Tank Wärme als Puffer für das örtliche Nahwärmenetz.
       Dem düsteren Bunker wurde mit neuem Putz das düster-kriegerische Aussehen
       genommen und nach Süden mit einer Fassade aus Solarpanels aufgepeppt.
       
       Zum Konzept der IBA gehört es, mit jedem Projekt mindestens zwei Themen
       abzudecken. Die bisher verschlossene Deponie ist im Sinne des
       Metrozonen-Themas zu einem Ausflugs- und Erholungsort geworden. Das gilt
       auch für den Bunker mitten in einem Wohnviertel, der zumindest für die
       Dauer der IBA ein Café mit Aussicht beherbergt.
       
       Angeschlossen an das CO2-neutrale Nahwärmenetz des Bunkers ist unter
       anderem das „Weltquartier“ – eine Siedlung mit Mehrfamilienhäusern und sehr
       hohem Migrantenanteil. Die Wohnungen wurden in Absprache mit den Mietern
       erweitert und energetisch saniert, was sie allerdings teurer machte.
       
       ## Kleingewerbe mit Solardach
       
       Außerdem soll anstelle eines Hofs mit alten Schuppen und ein paar
       Schraubern ein schicker, modular aufgebauter „Weltgewerbehof“ entstehen, in
       dem Kleinstgewerbe zu 4,30 Euro pro Quadratmeter unterkommen kann –
       natürlich überspannt von einem Solardach.
       
       Viele dieser Projekte gab es schon oder sie waren angedacht. Die IBA hat
       sie aufgepeppt und mit neuen Ideen zu bunten Päckchen verschnürt. Der
       Müllberg etwa liefert schon sein Jahren Deponiegas und seine Windräder sind
       bloß durch größere ersetzt worden.
       
       #Auch die Wohnungen im Weltquartier zu sanieren war längst angedacht und
       wurde dann ins Konzept der IBA eingepasst. Doch mit der IBA gibt es jetzt
       eine Institution, auf die sich Kritik an der Stadtentwicklungspolitik
       richten kann. Denn obwohl der Stadtteil einerseits sein Stigma noch nicht
       ganz losgeworden ist, gilt er andererseits als gentrifizierungsbedroht.
       
       ## Keine Verdrängung
       
       Der IBA sei daran gelegen, „aufzuwerten, ohne zu verdrängen“, versichert
       deren Geschäftsführer Uli Hellweg. Im Weltquartier erhöhe sich die
       Warmmiete durch die geförderte Sanierung nur von durchschnittlich 8,29 auf
       8,42 Euro, dann alle zwei Jahre um 15 Cent. Wer im Zuge der Sanierung
       ausziehen musste, sollte wieder in seine alte Wohnung einziehen dürfen.
       „Alle, die zurückwollten, sind auch zurückgekommen“, behauptet Hellweg.
       
       IBA-Kritiker verweisen indes darauf, dass die IBA das Mietenniveau im
       Stadtteil insgesamt angehoben habe. „Die IBA hat von Anfang an darauf
       gesetzt, das Image des angeblichen ’Problemstadtteils‘ aufzuwerten“,
       kritisiert Thomas Koyar von der Kampagne „IBA?Nigs DA!“.
       
       „Doch was nützt das den Leuten hier, wenn sie ihre Miete dann nicht mehr
       zahlen können?“ Die neu gebauten Wohnungen lägen fast alle im gehobenen
       Preissegment.
       
       Tatsächlich bestätigt das von der IBA in Auftrag gegebene
       Strukturmonitoring, dass die Mieten neu inserierter Wohnungen in
       Wilhelmsburg von 2006 bis 2012 um 35 Prozent gestiegen sind. Im
       Gesamt-Hamburger Durchschnitt waren es allerdings 48 Prozent.
       
       ## Noch viele Sozialwohnungen
       
       Mit 30 Prozent ist der Anteil an Sozialwohnungen noch vergleichsweise hoch.
       Gegen die These von der Gentrifizierung des Stadtteils spricht auch, dass
       die Bevölkerung zwar wächst, nicht aber wegen des Zuzuges aus dem übrigen
       Hamburger Stadtgebiet.
       
       Zumal nur ein kleines Altbauquartier im Stadtteil die typische Klientel
       anzieht. „Mietensteigerung ist schlimm“, sagt Michael Rothschuh, der die
       Entwicklung der Elbinsel seit Jahren als engagierter Bürger begleitet. „Sie
       ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für
       Gentrifizierung.“
       
       Rothschuh ist unterm Strich enttäuscht über die IBA. „Die IBA hat Gutes und
       Schlechtes bewirkt, aber die Entwicklung Wilhelmsburgs als Ort zum Leben,
       Wohnen und Arbeiten nicht wirklich vorangebracht“, kritisiert er. Zum
       Positiven rechnet er die Bildungsoffensive, die die Lebenschancen der
       ansässigen Bevölkerung verbessern soll.
       
       ## Schulen und Bildungszentren
       
       Im Zuge der IBA wurden neue Bildungszentren gebaut, die als Schulen aber
       auch als Bildungsorte für das jeweilige Quartier fungieren sollen. Zu den
       originellsten Projekten gehört ein Neubau, indem der Spracherwerb mit Hilfe
       von Spiel und Sport erleichtert werden soll.
       
       Zum Schlechten gehört in den Augen Rothschuhs, dass eine integrative
       Stadtplanung ausgeblieben sei. Insbesondere sei es nicht gelungen, dem
       Hafen Flächen abzunehmen und das Verkehrsproblem zu lösen.
       
       Ein zentrales Vorhaben der Planer war es gewesen, die Wilhelmsburger
       Reichsstraße, eine schmale Schnellstraße aus den 50er Jahren, aus der Mitte
       des Stadtteils heraus auf die Trasse der Eisenbahn zu verlegen – eine Idee,
       die ursprünglich aus dem Stadtteil stammt und die Stadtplaner faszinierte,
       weil sie den Lärm bündeln und Platz schaffen würde.
       
       Als ruchbar wurde, dass die Schnellstraße entlang der Bahn auf
       Autobahnbreite anschwellen sollte, verlangten die meisten Aktiven im
       Stadtteil eine Nulllösung. „Wir hätten die Chance gehabt, einen guten
       öffentlichen Nahverkehr aufzubauen“, sagt Rothschuh – so wie es bei
       Projekten dieses Kalibers anderswo geschehen sei. Eine neue Autobahn
       erscheint in dieser Perspektive als Steinzeitlösung.
       
       30 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gernot Knödler
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