# taz.de -- 141.-143. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Gedächtnis und Erinnerung
       
       > Bei der Vernehmung eines weiteren UN-Experten im
       > Kongo-Kriegsverbrecherprozess versucht die Verteidigung, Widersprüche
       > nachzuweisen.
       
 (IMG) Bild: Mwenga im Jahr 2003: Bevölkerung beobachtet gefangene FDLR-Kämpfer
       
       STUTTGART taz | Und wieder geht es um das Massaker in Busurungi, um
       Goldhandel, um die Kommandostruktur der ruandischen Hutu-Miliz FDLR in der
       Demokratischen Republik Kongo. Wenn Claudio Gramizzi, ehemaliges Mitglied
       der UN-Expertengruppe zur Überwachung der Sanktionen gegen Kongos
       bewaffnete Gruppen, vor dem 5. Strafsenat im Stuttgarter Oberlandesgericht
       gegen die beiden angeklagten FDLR-Führer Ignace Murwanashyaka und Straton
       Musoni aussagt, könnte man meinen, man hat alles schon einmal gehört.
       
       Ja, die FDLR erhielt Waffen von Kongos Regierungsarmee. Ja, die Miliz
       betrieb Mineralienhandel und kontrollierte Zugänge zu Bergbaugebieten. Ja,
       es gab bei der FDLR Kindersoldaten. Ja, Murwanashyaka und Musoni standen
       „im Zentrum“ und waren „die Anführer“.
       
       Das Verhältnis von FDLR-Präsident Murwanashyaka in Deutschland und
       FDLR-Militärführer Sylvestre Mudacumura beschreibt Gramizzi auf der
       Grundlage seiner vielen Gespräche mit ehemaligen FDLR-Kämpfer so:
       Mudacumura „als militärischer Anführer von Operationen“ und Murwanashyaka
       als „Anführer, der aus dem Ausland strategische Anweisungen gab“.
       
       Doch grundlegend neue Erkenntnisse sind das nicht, und die Befragung lässt
       vor allem auf Eines schließen: auf die Arbeitsmethoden der
       UN-Expertengruppe, die im Kongo recherchiert, und die Unzuverlässigkeit
       schwammiger Erinnerungen. Das ist dann auch das Hauptthema der dreitägigen
       Befragung Gramizzis vom 13. bis 20. März.
       
       ## Ein typischer UN-Experte
       
       Gramizzi ist ein typischer UN-Experte: Er ist jung, er spricht unzählige
       Sprachen fließend, er hat seit vielen Jahren Afrika-Erfahrung und kennt
       sich gut in Krisen und Kriegsgebieten aus. Der italienische Staatsbürger,
       der in Brasilien geboren wurde und in Belgien aufwuchs, ist zwar
       Mathematiker, doch Jahre seiner Arbeit an der Elfenbeinküste, in Burundi,
       der Demokratischen Republik Kongo und Sudan machten ihn zum
       Rüstungsexperten.
       
       Seitdem verdient er sich als „Berater“, „Experte“, „Ermittler“ und
       „Rechercheur“ seine Brötchen in den Konfliktzonen des afrikanischen
       Kontinents. So weiß er einiges über das Waffenarsenal und die
       Waffenbeschaffung der FDLR.
       
       „Als Waffensammler sind Sie im Kongo richtig“, sagt Gramizzi, „von alten
       russischen, bulgarischen Waffen, ist alles da.“ Die Ausrüstung der Miliz
       sei „Standardausrüstung“ afrikanischer Bürgerkriegsarmeen, „Waffen vom Typ
       Warschauer Pakt“, meist Jahrzehnte alte Sturmgewehre, „AK47 oder T561,
       T56II oder jede andere Version“. Darin habe sich die FDLR nicht von anderen
       bewaffneten Gruppen im Ostkongo unterschieden.
       
       Aber die FDLR setzte auch Macheten und Messer ein, „aus psychologischen
       Gründen, das es so gesehen wurde, dass es auf die Opfer schlimmere
       Auswirkungen haben sollte; in entlegenen Gebieten wollte man aber auch
       keine Munition verschwenden.“
       
       ## FDLR-Goldexporte nach Burundi
       
       Ausführlich gibt Gramizzi auch über die wirtschaftlichen Aktivitäten der
       FDLR Auskunft. „Die FDLR hatte Kontrolle über alle Handelswege“, sagt er.
       „Es gibt eine weite Bandbreite an Aktivitäten. Vor allem bei Bodenschätzen,
       aber nicht nur Mineralien, auch wenn das der wichtigste Zweig ist: Man
       garantierte Sicherheit für die Minenarbeiter und dafür mussten diese für
       den Zugang zu den Stollen bezahlen“.
       
       Die FDLR hielt auch „das kommerzielle Monopol“ auf Konsumgüter, die die
       Bergleute beispielsweise im FDLR-kontrollierten Gebiet von Mwenga in
       Süd-Kivu kauften. In den Nationalparks Kahuzi-Biega und Virunga, in die
       sich die Miliz nach den Militäroperationen gegen sie im Jahr 2009
       zurückzog, erzielte die FDLR erhebliche Gewinne vom Handel mit Holzkohle
       (makala).
       
       Fred Irakesa, heute FDLR-Kommandeur in Süd-Kivu, war laut Gramizzi in den
       Goldexport Richtung Burundi verwickelt. „Er war auch zuständig für die
       Militärausrüstung in Süd-Kivu. Er erhielt Munition aus Tansania“.
       
       Und er war in Telefonkontakt mit dem angeklagten FDLR-Präsident Ignace
       Murwanashyaka in Deutschland, sagt Gramizzi: laut einem interviewten
       Ex-FDLR-Kämpfer habe Irakisa gesagt, „man solle keine Angst vor
       Munitionsknappheit haben, im Fall des Mangels werde Ignace neue besorgen.“
       
       ## Die Rolle der politischen Führung
       
       Die Rolle der politischen Führung in Deutschland sei 2009 wichtiger
       geworden, als Kongos Armee begann, gemeinsam mit Ruanda in der Operation
       Umoja Wetu die FDLR zu bekämpfen und die Miliz sich zurückziehen musste.
       „Seit 2009 mussten lokale Kommandeure direkt an den Generalstab berichten“,
       so der UN-Experte.
       
       „Die politische Führung in Europa spielte dabei eine besondere Rolle, das
       haben uns alle gesagt:“ Wenn die Diaspora Geld in den Kongo schickte, habe
       sie über die Aufteilung bestimmt.
       
       Nach Umoja Wetu lautete die FDLR-Strategie so, sagt Gramizzi:
       Konfrontationen vermeiden, keine Gegenwehr, Rückzug in sichere Gebiete,
       auch in die Parks. Militärische Vergeltungsschläge, wenn nötig auch
       Angriffe auf die Bevölkerung, sollten internationale Aufmerksamkeit
       erzeugen und auch Gelegenheiten für Nachschub bieten.
       
       Dies ist der Kontext, in dem die den Angeklagten als
       Führungsverantwortliche zur Last gelegten Kriegsverbrechen verübt wurden.
       
       ## "Feuer brach sicher nicht von alleine aus"
       
       Gramizzi hat genaue Details gesammelt über FDLR-Angriffe in den Gebieten
       Mwenga und Hombo-Bunyakiri in Süd-Kivu in einzelnen Zeiträumen des Jahres
       2009. In letzterem habe er Informationen über 54 Zwischenfälle mit
       insgesamt 100 abgebrannten Häusern gesammelt. Gramizzi und seine Kollegen
       überprüften die Angaben stichprobenmäßig.
       
       „Die FDLR war in keinem der Fälle in einen Kampf mit einer anderen
       bewaffneten Gruppe verwickelt“, gibt der UN-Experte die Schlussfolgerungen
       wieder und äußert sich genauer zu einem Einzelfall: „Es gab nur eine
       Partei, die das Dorf angriff. Nach meinem Verständnis ist das Feuer dort
       sicher nicht von alleine ausgebrochen. Zeugenberichte sagen, dass die FDLR
       die Häuser anzündete als letzten Akt vor dem Rückzug. Es gibt Berichte von
       Exekutionen, sexuellen Übergriffen, Entführungen.“
       
       ## Zwei UN-Experten - zwei Aussagen
       
       Gemeinsam mit seinem Kollegen Dinesh Mahtani, der bereits 2012 in Stuttgart
       aussagte, hatte Gramizzi von März bis Oktober 2009 im Ostkongo die
       Strukturen der FDLR recherchiert. Viele Reisen unternahmen die beiden
       Ermittler zusammen, viele Interviews führten sie gemeinsam.
       
       Doch bei der Befragung durch den Senat, die Bundesanwaltschaft und die
       Verteidigung zeigt sich jetzt vier Jahre später: Die Aussagen von Mahtani
       und Gramizzi sind laut Annahme der Verteidigung unterschiedlich, obwohl sie
       auf denselben Informationen beruhen.
       
       Ein Beispiel: Gramizzi wird nach den Befehlen gefragt, die die FDLR-Führung
       nach der Operation „Umoja Wetu“ an alle Einheiten via Funk durchgegeben
       haben soll. In einem der Befehle soll angeblich die Strategie angeordnet
       worden sein, zivile Einrichtungen anzugreifen - darunter auch Krankenhäuser
       - und Vergeltungsanschläge gegen Zivilisten durchzuführen, um eine
       „humanitäre Katastrophe“ anzurichten.
       
       Laut der Anklage, die unter anderem auf Beweisen der UN-Ermittler basiert,
       soll dieser Befehl von FDLR-Präsident Murwanashyaka gegeben worden sein -
       ein zentraler Punkt. Den fraglichen Befehl, den die UN-Expertengruppe 2009
       als Annex zu ihrem UN-Bericht dokumentierte, erhielten die UN-Experten „als
       Transkript von einem Funker, welches von Dutzenden bestätigt wurde“,
       erinnert sich Gramizzi. „Manche Zeugen haben ihn Murwanashyaka
       zugeschrieben, andere Mudacumura“.
       
       Klar sei: FDLR-Kommandeur Mudacumura „gab alle Befehle; nur Mudacumura kann
       allen Einheiten Befehle geben“, so Gramizzi. Aber einigen seiner
       Interviewpartner zufolge „wurden die Befehle zumindest mit Murwanashyaka
       diskutiert... Bevor Mudacumura die Befehle gab, hatte er mit Europa
       telefoniert, vor allem mit Belgien, Deutschland und Frankreich. Zu den
       Befehlen aus Deutschland haben wir nachgefragt. In einigen Einheiten sagten
       die Kommandeure, dass der Präsident die Befehle gegeben hätte.“
       
       ## Die Quellen der UN-Experten
       
       In der Zeugenbefragung will die Verteidigung jetzt herausfinden, welche
       Quellen den UN-Ermittlern zur Verfügung standen, um dies zu behaupten.
       Gramizzi soll sich dazu auf seine Erinnerungen beziehen und nicht aus
       seinen Notizen auf seinem Computer ablesen, obwohl seine Recherchen bereits
       vier Jahre zurückliegen.
       
       Gramizzi muss dabei oft ehrlich zugeben, dass er sich nicht genau erinnern
       könne. Der Vorsitzende Richter Hettich erlaubt ihm dann, seine Notizen als
       „Erinnerungsstütze“ zu Rate zu ziehen, so wie Mahtani und anderen Zeugen
       bisher auch.
       
       Gramizzi berichtet von einem Interview mit einem ehemaligen FDLR-Major, der
       die Miliz verlassen hatte, aber zu seinen Dienstzeiten in der Leibgarde des
       Oberkommandos war. Dieser Major habe von Befehlen berichtet, darunter auch
       die Anweisung, Ruanda von Stellungen im Ostkongo aus zu bombardieren.
       
       Laut der Aussage des Majors habe FDLR-Militärchef Mudacumura mit der
       politischen Führung in Europa gesprochen, kurz bevor er die besagten
       Befehle an alle Einheiten via Funk durchgegeben habe. Es sei zu schließen,
       „dass die Strategie sicher mit der Führung in Europa besprochen worden
       war“.
       
       So ungefähr hatte am 9. Juli 2012, am 87. Verhandlungstag, auch Gramizzis
       Kollege Mahtani vom Interview mit diesem Major berichtet. Doch die
       Verteidigung hält dem Zeugen Gramizzi jetzt vor, sein Kollege habe
       berichtet, „der Major habe gesagt, es habe eben genau KEINEN Befehl
       gegeben, Zivilisten zu töten“.
       
       ## Streit im Gerichtssaal
       
       Ein Widerspruch? Darüber bricht im Gerichtssaal zwischen Bundesanwaltschaft
       und Verteidigung ein hitziger Streit aus. Denn ähnlich wie die
       unterschiedlichen Notizen und Erinnerungen der beiden UN-Ermittler, so
       haben auch Ankläger und Verteidiger die Aussagen Mahtanis bei der Befragung
       durch das Gericht im Juli 2012 möglicherweise unterschiedlich notiert -
       beziehungsweise geben sie das Geschehen von vor einem Dreivierteljahr
       unterschiedlich wieder. In deutschen Gerichten werden keine offiziellen
       Mitschriften geführt.
       
       So bleibt letztlich ungeklärt im Raum stehen, was Mahtani angeblich gesagt
       haben soll. „Es ist gut zu merken, dass auch bei Ihnen Probleme mit den
       genauen Mitschriften gibt“, kommentiert Gramizzi das Gezanke spitzbübisch.
       Bei Gramizzi bleibt aber hängen, Mahtani habe etwas anderes ausgesagt als
       er selbst über ein Interview, das die beiden gemeinsam führten.
       
       Was so eigentlich nicht stimmt. Der taz-Mitschrift des fraglichen 87.
       Verhandlungstages zufolge antwortete Mahtani mit „Nein“ auf die Frage der
       Verteidigung, ob der Major Angaben zu Befehlen, Zivilisten zu töten,
       gemacht habe.
       
       Daraus macht die Verteidigung jetzt: „Der Major habe gesagt, es habe keinen
       Befehl gegeben, Zivilisten anzugreifen“. Und darauf bezieht sich die
       gesamte folgende Diskussion. Es ist aber eine inkorrekte Wiedergabe sowohl
       der Frage als auch der Antwort vom 87. Verhandlungstag.
       
       ## "Strategische Ziele inklusive zivile Ziele"
       
       “Der Unterschied, ob es einen Befehl gab, Zivilisten zu töten oder nicht,
       ist doch schon gravierend“, sagt Murwanashyakas Anwältin Lang schließlich.
       Zumindest darüber dürften sich alle einig sein.
       
       Sie stellt die Frage noch einmal, klarer: „Hatte der Major konkret gesagt,
       wir hatten diese Befehle, Zivilisten zu töten?“ Gramizzi antwortet,
       ebenfalls klarer: „Der Major sprach von Befehlen, strategische Ziele zu
       suchen für Vergeltungsschläge, inklusive zivile Ziele. Soweit erinnere ich
       mich und das steht in meinen Notizen“.
       
       Also wohl doch kein Widerspruch zu Mahtani. Aber das wird in der
       Verhandlung nicht mehr geradegerückt. (Mitarbeit: B. Schmolze)
       
       2 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schlindwein
 (DIR) Dominic Johnson
 (DIR) S. Schlindwein
 (DIR) D. Johnson
 (DIR) B. Schmolze
       
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