# taz.de -- Griechenland schaltet Staatssender ab: Alle Journalisten streiken
       
       > Athen hat den öffentlich-rechtlichen Rundfunksender ERT abgeschaltet:
       > fünf Fernsehprogramme und 26 Radiosender blieben stumm. Nicht nur die
       > Angestellten laufen Sturm.
       
 (IMG) Bild: Am Boden: ERT-Angestellte in der Zentrale des Sendes in Athen.
       
       ATHEN taz | „Damit dürfen sie nicht durchkommen, wir bleiben so lange wie
       nötig.“ Der 25-Jährige George Muketis, spricht aus, was viele am
       Dienstagabend auf dem besetzten Gelände des öffentlich-rechtlichen
       Rundfunksenders ERT denken. Er hatte im Fernsehen davon erfahren, dass
       Griechenlands traditionelle, einzige öffentliche Rundfunkanstalt
       geschlossen werden soll.
       
       Weinende Moderatoren hatten am frühen Dienstagabend davon berichtet und zur
       Unterstützung mobilisiert. Bereits wenige Stunden später dann kappte die
       Polizei nach und nach im ganzen Land die Signale von ERT. Fünf
       Fernsehprogramme, darunter ein Satellitensender für sieben Millionen
       Griechen, die im Ausland leben, sowie 29 Radiosender blieben stumm.
       
       Rund 2.700 Beschäftigten, Journalisten, Technikern und
       Verwaltungsangestellten droht die Arbeitslosigkeit. „Stell Dir vor, sie
       schließen die BBC und kündigen es sechs Stunden vorher an“, fasst Muketis
       die Situation zusammen.
       
       Die Empörung über diesen handstreichartigen Coup der Regierung unter
       Ministerpräsident Andonis Samaras und seiner konservativen Partei Nea
       Demokratia (ND) hat innerhalb weniger Stunden am Dienstagabend Tausende
       Athener zum ERT-Hauptgebäude im Stadtteil Agia Paraskevi im Nordosten
       Athens getrieben.
       
       „Für uns ist es sehr wichtig, heute alle hier zu sein. Es ist eine
       Bedrohung der Demokratie, die hier stattfindet, sie nehmen uns den
       öffentlichen Rundfunk, wir müssen das stoppen“, sagt der 49-jährige Mario.
       Die 52-jährige Eleni neben ihm stimmt zu. „ERT, das hier ist die Geschichte
       Griechenlands, wir reden über Kultur, Erinnerung, die seit 1938 mit dem
       öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbunden sind. Das schalten sie einfach
       ab. Das ist hochsymbolisch.“
       
       Die Regierung hat derweil angekündigt, den Rundfunk zu reformieren und mit
       rund 1.000 Beschäftigten Ende August den Sendebetrieb wieder aufzunehmen,
       wie Regierungssprecher Simos Kedikoglou am Mittwoch mitteilte. Die neue
       Station solle unabhängig sein und „Nerit“ heißen. Seit Mittwochmittag waren
       die Livestreams von ERT ([1][www.ert.gr]) im Internet zeitweise gekappt.
       Auf [2][www.enetenglish.gr] ist ein englischsprachiger Liveticker zu den
       Entwicklungen um ERT eingerichtet.
       
       ## Auch Parlamentarier protestieren
       
       Die Menschen waren zur ERT-Zentrale gekommen, um zu bleiben – die ganze
       Nacht. Jung und Alt, Gewerkschafter, Medienarbeiter, empörte Athener
       Bürger, Studenten, Basisaktivisten – und die linken Oppositionsparteien
       inklusive etlicher Parlamentsabgeordneter. Rund 6.000 Personen haben sich
       in der Nacht stundenlang auf dem ERT-Gelände aufgehalten.
       
       „Lasst den Kopf nicht hängen, aufrecht werden wir das gewinnen“, rief die
       Menge immer wieder in Richtung des großen Rundfunkgebäudes, in das ein
       ständiger Strom von Menschen ein- und ausging und alle Fenster weit
       geöffnet waren. Die ganze Nacht über sangen Liedermacher Widerstandslieder
       aus der Zeit der griechischen Militärdiktatur, die sich als vielstimmiger
       Chor über den ganzen Platz ausbreiteten.
       
       Die Lesart der Regierung, die die Schließung per Notstandsdekret am
       Parlament vorbei verfügte, ist derweil eine andere, als die der Menschen
       auf dem großen Platz vor dem Rundfunkgebäude: ERT sei Hort „unglaublicher
       Verschwendung“, so ein Regierungssprecher. „Es kann keine heiligen Kühe
       geben, die nicht geschlachtet werden können, wenn überall gespart wird.“
       
       Die meisten Athener und Athenerinnen, die zum Sender gekommen sind, stellen
       gar nicht in Abrede, dass der Rundfunk von den beiden großen
       Regierungsparteien der letzten Jahrzehnte, der ND und der
       sozialdemokratischen Pasok, als Ort genutzt wurden, um auch unqualifizierte
       Parteigänger auf Posten zu bringen. „Ja, man muss ERT reformieren, aber
       ganz sicher nicht so“, sagt Pandora Muriki.
       
       ## „...nicht nur Vetternwirtschaft“
       
       Die zierliche Frau steht in der Eingangshalle von ERT, durch die sich
       Menschen wie Ameisen schieben. „Ich habe hier 29 Jahre gearbeitet. Ich bin
       Programmdirektorin für die Dokumentarfilmsparte und das Kulturprogramm. ERT
       ist nicht nur Vetternwirtschaft. ERT ist der einzige Sender, der
       griechische Dokumentarfilme und Kinofilme produziert, Kinderfilme. Wir
       haben ein Orchester, wir sind die öffentlich-rechtliche Stimme der
       Nachrichten. Das meiste wird es mit einem neuen ERT so alles nicht mehr
       geben“, glaubt Muriki.
       
       Es geht ihr wie so vielen nicht nur um ihre Stelle, sondern um das Eigentum
       der griechischen Bürger. „Wir machen keine Schulden hier, wir bekommen kein
       Geld von der Regierung. Wir finanzieren unsere Arbeit über die
       Rundfunkbeiträge der Menschen, das ist ihr Sender“, so Muriki.
       
       Es ist Nachts um drei Uhr, als auch Alexis Tsipras, Präsident der
       Linksparteiallianz Syriza, die bei den letzten Parlamentswahlen im Juni
       2012 mit 27 Prozent fast die Regierung gewann, auf dem ERT-Gelände
       auftaucht. Syriza-Abgeordnete, Mitarbeiter und Anhänger waren schon seit
       Stunden vor Ort. Tsipras fordert den sozialistischen Staatspräsident
       Karolos Papoulias auf, sich gegen die Rundfunkschließung zu positionieren.
       Die Nachricht davon, dass die beiden großen Gewerkschaftsdachverbände
       Griechenlands, die GSEE und ADEDY, für diesen Donnerstag zu einem
       24-stündigen Generalstreik aufrufen, macht die Runde.
       
       Der Streik der Medienarbeiter ist da schon beschlossene Sache: seit sechs
       Uhr Mittwoch früh streiken in Griechenland landesweit die Journalisten der
       privaten TV-Sender, Zeitungen und Radiostationen. Nur einige wenige
       Internet-Portale, unter anderem dass der kommunistischen Partei KKE sowie
       die Radiostation [3][www.stokokkino.gr] übertragen die Sendung der
       ERT-Beschäftigten, die wiederum über Internet weiter senden.
       
       ## Buckeln gegenüber der Troika
       
       „Das hier wird sich ausweiten, das ist der Funke, der die Proteste in
       Griechenland wieder auf die Straße bringen wird, das wichtigste ist jetzt,
       die Besetzung bis zum Generalstreik zu halten“, erklärt der Aktivist
       Christos Giovanopoulos in der Nacht. Die meisten hier interpretieren die
       Schließung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als Buckeln der ND
       gegenüber der Troika, die derzeit die Kürzungs- und Sparmaßnahmen der
       griechischen Regierung evaluiert. Griechenland hat das Soll der
       Sparkommissare nicht erfüllt, die Entlassungen der Mitarbeiter im
       öffentlichen Dienst gehen nach offizieller Lesart zu langsam.
       
       Viele rätseln trotzdem, warum die Regierung der ND so radikal agiert und
       die Koalition riskiert. Die beiden kleineren Koalitionspartner, die
       sozialistische Pasok und Demokratische Linke (Dimar) hatten sich gegen die
       Schließung von ERT ausgesprochen. Unklar sei jedoch, so sagen viele, ob sie
       standhaft bleiben und die Koalition riskieren. Der Lackmustest darauf wird
       in 40 Tagen stattfinden – dann muss im Parlament nachträglich über die
       Maßnahme abgestimmt werden. Und die ND braucht nur wenige Stimmen der
       Koalitionspartner, um mit der ERT-Schließung durchzukommen.
       
       „Wir steuern hier vielleicht ganz schnell auf Neuwahlen zu“, sagt Giorgios
       Chondros vom Leitungsgremium Syrizas. Chondros beschreibt eine mögliche
       neue Parteienallianz, die für Griechenland ein echter Dammbruch wäre: „Es
       ist nicht mehr unwahrscheinlich, dass die Nea Demokratie darauf spekuliert,
       die nächste Regierung mit der faschistischen Chrysi Avgi zu stellen.“ Denn
       die Chrysi Avgi, oder Goldene Morgenröte, habe zum ersten Mal so offensiv
       wie nie zuvor eine Sparmaßnahme der ND mitgetragen – und die ND scheint
       derzeit auf ihre aktuellen Koalitionspartner nicht viel zu geben.
       
       Doch am Mittwochmorgen ist erst einmal klar: die Besetzung geht weiter, die
       Polizei hat nicht geräumt. Auch in den Regionen und Städten im Rest des
       Landes hatten Bürger und Bürgerinnen Radiostationen von ERT besetzt.
       
       12 Jun 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.ert.gr/
 (DIR) [2] http://www.enetenglish.gr/
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       ## AUTOREN
       
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