# taz.de -- Heimskandal in Brandenburg: Tod im Kinderheim
       
       > Lena* musste Helm, Knie- und Armschoner in einem Heim der Haasenburg GmbH
       > tragen. Sie ist eines von zwei Mädchen, die in dem geschlossenen Heim
       > starben.
       
 (IMG) Bild: Das Kinder- und Jugendheim „Haus Babenberg“ der Haasenburg GmbH
       
       BERLIN taz | „Aus dem Blickwinkel sah ich etwas herunterfallen und äußerte
       die Frage, was denn nun wieder von oben runtergefallen ist. N. antwortete,
       dass es ein Mensch gewesen ist.“ Der Mensch hieß Lena* und war ein
       16-jähriges Mädchen. Sie starb am 31. Mai 2008 in einem Heim der Haasenburg
       GmbH, in Jessern, Brandenburg.
       
       Die Mitarbeiterin T. hat nach dem Tod von Lena ihre Beobachtungen
       aufgeschrieben. In ihrer Stellungnahme schreibt sie: „Lena lag auf ihrer
       linke Seite […] Ich nahm ihr dann die Knie- und Ellbogenschützer ab, damit
       diese nicht unnötig schnürten.“
       
       Die Haasenburg GmbH betreibt drei geschlossene Heime in Brandenburg. Sie
       hat sich auf Kinder spezialisiert, die als schwierig gelten. Auf Antrag der
       Eltern oder eines amtlichen Vormunds können Kinder nach §1631b BGB in eine
       geschlossene Einrichtung eingewiesen werden. Nötig ist ein Beschluss eines
       Familiengerichts, ein psychiatrisches Gutachten und eine Stellungnahme des
       Jugendamts, das dann ein Heim sucht.
       
       ## Erziehungswissenschaftler kritisiert den Zwang
       
       Viele Experten beurteilen Erziehung unter Zwang und Gewalt als kaum
       tragfähiges Konzept der Pädagogik. Der renommierte
       Erziehungswissenschaftler Werner Thole von der Uni Kassel sagt,
       geschlossene Heime seien „einer sich modern präsentierenden Gesellschaft
       unwürdig“.
       
       Für die Haasenburg GmbH ist dieses Geschäftsfeld eine Marktnische.
       Fünfstellige Summen verdient die GmbH an einem Kind pro Monat. Der Staat
       bezahlt für körperliche Erziehung. Die profitorientierte Firma nennt ein
       solches Vorgehen „Anti-Aggressionsmaßnahmen“.
       
       Bei diesen Maßnahmen kam es auch zu Verletzungen. Bis 2010 wurden Kinder
       sogar auf Fixierliegen festgeschnallt – mit Erlaubnis des zuständigen
       Landesjugendamts in Brandenburg. Die Aufsichtsbehörde erließ erst 2010 eine
       Auflage, laut der Fixierliegen in der Haasenburg GmbH verboten sind.
       
       Lena kam mit 14 Jahren am 27. Oktober 2005 in dem Heim an. Sie war nicht
       die Einzige, die in der Haasenburg GmbH starb. 2005 nahm sich Katrin* das
       Leben. Sie wurde 15 Jahre alt, in einem Heim, das ehemalige Insassen als
       grauenhaft beschreiben.
       
       ## Eine Liste mit Geboten und Verboten
       
       Für Lena muss die Zeit in der Haasenburg GmbH die Hölle gewesen sein. So
       wie für jedes Kind galt auch für sie eine Liste mit Geboten und Verboten.
       Auf ihrer „Was darf ich?“-Liste ist mit Datum vom 18. 6. 2007 notiert:
       „tagsüber Helm, Knie- und Armschoner tragen“.
       
       Unter Lenas „Was darf ich nicht?“-Liste steht: „nachts ohne Helm schlafen“;
       ebenso: „eigenmächtig und selbständig handeln“; oder: „mit anderen
       Jugendlichen Kontakt aufnehmen, wenn kein Erzieher dabei ist“ und:
       „selbständig Helm, Knie- sowie Armschoner abnehmen, ohne vorher Erzieher zu
       fragen“. Endgültig los wurde das Mädchen die stigmatisierenden Schützer mit
       dem Tod.
       
       Verblüffenderweise hält das Landesjugendamt noch heute diese drastischen
       Eingriffe für gerechtfertigt. So antwortet das Jugendministerium am 14.
       Juni 2013 auf taz-Anfrage, die Schützer seien „dem Landesjugendamt bekannt
       und im Gesamtzusammenhang nachvollziehbar“. Diese hätten „der Vorbeugung
       von schweren, selbst zugefügten Verletzungen“ gedient.
       
       Lena starb, weil sie aus einem oberen Stockwerk der Haasenburg GmbH in
       Jessern aus dem Fenster stürzte. Wenn sie mit Helm, Knie- und Armschonern
       vor sich selbst geschützt werden musste: Was hatte das Mädchen dann an
       einem offenen Fenster, in dieser Montur und in dieser Höhe zu suchen?
       
       ## Eine Obduktion führt das Jugendamt nicht durch
       
       Gab es eine Obduktion? Die kühle Antwort des SPD-Ministeriums: „Das
       Landesjugendamt führt keine Obduktionen durch.“ Ansonsten lässt sich diese
       Behörde offensichtlich nicht besonders gut informieren: Dass Lena mit Helm
       schlafen musste, „findet sich in den Akten des Landesjugendamtes nicht“.
       
       Unerbittlich musste das Mädchen den Helm tragen. Laut einer Gesprächsnotiz
       bittet Lena die Erzieherin T., den Helm ablegen zu dürfen. Die
       Mitarbeiterin T. entgegnet, der Helm müsse getragen werden, „solange wir es
       für nötig halten“. Frau T. ist die Erzieherin, die Lena die Schützer am
       Todestag abnahm. Laut internen Protokollen wird der Helm auch unter Zwang
       aufgesetzt.
       
       Am 11. November 2006 wird Lena in den Anti-Aggressions-Raum gebracht. Um
       9.45 Uhr wird ihr laut Protokoll erklärt, sie müsse „den Schutzhelm tragen,
       um sich nicht selbst zu gefährden“. Schließlich: „Schutzhelm wird Lena
       aufgesetzt, soll in der Mitte des Raumes stehen.“ Um 9.48 Uhr: „wirft Helm
       gegen die Tür […] wird im Stehen begrenzt.“
       
       9.50 Uhr: „Schutzhelm wird erneut aufgesetzt.“ 9.55 Uhr: „wirft Helm erneut
       gegen Tür und tritt mehrmals dagegen […] (der Helm zerbricht) […] Sie steht
       gemeinsam mit EZ im Festhaltegriff auf und bekommt Helm aufgesetzt.“ 10.05
       Uhr: „es wird neuer Helm geholt und ihr aufgesetzt, Konsequenz, wenn sie
       den Helm nicht aufbehält und weiter eigengefährdendes Verhalten zeigt, wird
       sie auf dem Bett begrenzt.“
       
       ## „Auslösende Situation: Lena verweigert sich“
       
       Auch an diesem Tag ist in den Dokumenten als Auslöser keine
       Selbstverletzung vermerkt. „Auslösende Situation: Lena verweigert sich, mit
       einem Bleistift ihr Tagesziel zu schreiben, wirft Bleistift aus Zimmer,
       tritt gegen Tür und hält diese zu.“
       
       Glücklicherweise hatte Lena im Heim Sandra*, ihre Freundin. Sie sagt der
       taz: „Es tut mir leid, dass sie ihr Leben nicht mehr leben kann.“ In der
       Haasenburg GmbH sei es für beide unerträglich gewesen. „Ich hätte an ihrer
       Stelle sein können.“ Lena habe zwar gegen die Wände ihres Zimmers
       geschlagen, „aber das war nicht gefährlich. Das war Trotz und Protest.“
       
       Werner Thole von der Uni Kassel ist empört. Der Helm sei ein Eingriff in
       die „körperliche Integrität von Heranwachsenden“, und diese Art Eingriffe
       seien „im Rahmen erzieherischer Hilfen völlig unangebracht.“ Dies
       widerspreche den „Grundsätzen einer humanen Kinder- und Jugendhilfe“.
       
       Wenn der Helm wirklich nur dem Schutz des Kindes gedient haben sollte,
       macht ein Dokument stutzig: So wird in einem Protokoll einer anderen
       Jugendlichen im November 2008 vermerkt: „Schutzbekleidung als negative
       Konsequenz“.
       
       ## Eine „eingehende Untersuchung“
       
       Das Brandenburger Bildungsministerium schreibt der taz am 14. Juni 2013,
       dass Unterlagen, bei denen mit Zwang ein Helm aufgesetzt worden sei, dem
       Landesjugendamt nicht vorlägen und „daher nicht bewertet werden“ könnten.
       Bei Lenas Tod sei eine „eingehende Untersuchung“ des Landesjugendamts
       durchgeführt worden. Diese „sei letztlich eine Grundlage für die seither
       erfolgten konzeptionellen Änderungen und Veränderungen der
       Betriebserlaubnis“ gewesen.
       
       Eine Woche später klingt das anders. Laut Ministerium werden beide
       Todesfälle erneut von einer Kommission untersucht. Diesen Freitag (28.
       Juni) will die zuständige Ministerin, Martina Münch (SPD), die
       Zusammensetzung einer Expertengruppe verkünden.
       
       Bereits vor einem Jahr,
       //www.neues-deutschland.de/artikel/232812.defizite-in-heimen-ueberwunden.ht
       ml?sstr=Martina|M%FCnch:im Juli 2012, hatte die Ministerin laut Neuem
       Deutschland über Missstände bei der Haasenburg GmbH gesagt, Auflagen seien
       „in allen Fällen zeitnah“ erfüllt worden. Zuvor hatte das [1][ZDF einen
       kritischen Bericht] gesendet.
       
       ## Kniebeugen auch mit Gewalt
       
       Das ZDF berichtete damals nur über die finanziellen Machenschaften der
       Haasenburg GmbH. Die Schwarze Pädagogik war kein Thema. Bei Lena kam es
       laut Protokoll am 24. Februar 2006 zu einer „Präventionsmaßnahme“. Ihr
       Vergehen: „Sie versuchte mit dem Erzieher zu diskutieren und sich auf diese
       Weise einen Vorteil zu verschaffen.“ Konsequenz: „Frau F. fordert Lena
       mehrmals auf, sich umzudrehen und über die Situation zu reden. Doch auch
       diesen Aufforderungen kam Lena nicht nach.“
       
       Es erfolgt die pädagogische Intervention nach Art der Haasenburg GmbH:
       „Ansage, dass, sollte sie sich weiter weigern, sie 10 Kniebeugen zu machen
       hätte.“ Die Pubertierende weigert sich. „Daraufhin betrat ein weiterer
       Erzieher den Raum, um Frau F. zu unterstützen.“ Weiter heißt es im
       Protokoll: „Es wurde versucht, Lena bei den Kniebeugen zu helfen.
       
       Lena verweigerte sich immer mehr und fing damit an, Frau F. anzugreifen.
       Daraufhin wurde sie von den beiden Erziehern zu Boden gedrückt.“ Das
       Landesjugendamt ist über die Behandlung von Lena informiert gewesen. Der
       taz liegen mehrere „Meldungen einer Anti-Aggressionsmaßnahme“ vor, die
       immer an dieselbe Zuständige im Landesjugendamt adressiert sind.
       
       Am 2. Dezember 2006 bekommt die Sachbearbeiterin wieder eine solche Meldung
       über eine dreistündige „Anti-Aggressionsmaßnahme“: „Die Jugendliche
       forderte sich auf unangemessene Art und Weise ihre Handlungsalternativen
       ein.“ Weiter heißt es rechtfertigend, dass sie mit „oppositionellem
       Trotzverhalten und eigengefährdendem Verhalten reagierte“. Über Helm, Knie-
       und Armschoner ist nichts vermerkt.
       
       * Name geändert
       
       27 Jun 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://youtu.be/DRSLAGPt0Rk
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kaija Kutter
 (DIR) Kai Schlieter
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Todesfälle
 (DIR) Schwerpunkt Haasenburg Heime
 (DIR) Schwerpunkt Haasenburg Heime
 (DIR) Brandenburg
 (DIR) Erziehung
 (DIR) Bildungsministerium
 (DIR) Martina Münch
 (DIR) Kinderheim
 (DIR) Schwerpunkt Haasenburg Heime
 (DIR) Schwerpunkt Haasenburg Heime
 (DIR) Streitfrage
 (DIR) Schwerpunkt Haasenburg Heime
 (DIR) Schwerpunkt Haasenburg Heime
 (DIR) Schwerpunkt Haasenburg Heime
 (DIR) Schwerpunkt Haasenburg Heime
 (DIR) Schwerpunkt Haasenburg Heime
 (DIR) Schwerpunkt Haasenburg Heime
 (DIR) Schwerpunkt Haasenburg Heime
 (DIR) Schwerpunkt Haasenburg Heime
 (DIR) Schwerpunkt Haasenburg Heime
 (DIR) Schwerpunkt Haasenburg Heime
 (DIR) Schwerpunkt Haasenburg Heime
 (DIR) Schwerpunkt Haasenburg Heime
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Im Schatten der Haasenburg: Potsdam schließt Landesjugendamt
       
       Der Skandal um die geschlossenen Heime habe mit der „Modernisierung der
       Verwaltung“ nichts zu tun. Der Belegungsstop bleibt vorerst bestehen.
       
 (DIR) Debatte Geschlossene Heime: Zwang und Schutz
       
       Lange ging es in der Debatte um Kinderheime gegen das „Wegsperren“. Diese
       Tabuisierung hat alles nur noch schlimmer gemacht.
       
 (DIR) Haasenburg-Skandal: Der Lehrmeister des Dr. Haase
       
       Die zuständige Besuchskommission bemerkte von den Missständen in den Heimen
       der Haasenburg GmbH nichts. Kein Wunder.
       
 (DIR) Hamburg und die Haasenburg: „Wie Tiere in einer Manege“
       
       Jan Ehlers entwickelte das Konzept „Menschen statt Mauern“ und schaffte als
       Sozialsenator 1980 geschlossene Heime ab.
       
 (DIR) Der Sonntaz-Streit: Geschlossene Heime abschaffen?
       
       Drei Jungen flüchten aus der Haasenburg. Sie werfen den Erziehern unter
       anderem Körperverletzung vor. Sollen geschlossene Heime abgeschafft werden?
       
 (DIR) Jugendlicher aus Haasenburg-Heim: Geflohener Junge ist frei
       
       Vor Gericht hat die Vormünderin auf das weitere Einsperren eines
       15-Jährigen verzichtet. Der Junge war Anfang Juli aus der Haasenburg
       geflohen.
       
 (DIR) Umstrittene Haasenburg-Heime: Ein geflohener Jugendlicher ist zurück
       
       Drei Jugendliche waren aus einem Heim der Haasenburg GmbH geflohen. Einer
       von ihnen ist jetzt zurück in der Einrichtung. Bis Freitag lagen keine
       Anzeigen der drei vor.
       
 (DIR) Flucht aus Haasenburg-Kinderheim: Jugendliche klettern aus Klofenster
       
       Drei Jungen sind geflohen. Ein Anwalt kämpft für ihre Freiheit. Was das
       Trio im Heim der Haasenburg GmbH mitmachen musste, sei „schockierend“.
       
 (DIR) Ermittler durchsuchen Kinderheime: Ministerin Münch rechtfertigt sich
       
       Während die Kinderheime der Haasenburg GmbH durchsucht werden, gerät die
       zuständige SPD-Ministerin unter Druck. Derzeit gäbe es keine Beschwerden.
       
 (DIR) Missbrauch in Kinderheimen: Ministerium widerspricht Haasenburg
       
       Das Brandenburger Bildungsministerium bestätigt einen taz-Bericht, nachdem
       sich ein Heimbewohner bei einem Fenstersturz 2006 schwer verletzte.
       
 (DIR) Kommentar Haasenburg: Übergriffe öffenlich machen
       
       Eine Expertenkommission soll die Übergriffe in der Haasenburg untersuchen.
       Das ist zu begrüßen. Trotzdem: Ein öffentlicher Ausschuss des Parlamentes
       wäre besser.
       
 (DIR) Untersuchung der Haasenburg-Heime: „Massive Menschenrechtsverletzungen“
       
       Eine Expertenkommission untersucht jetzt die Misshandlungsvorwürfe
       gegenüber der Haasenburg GmbH. Die Staatsanwaltschaft Cottbus ermittelt in
       zwei Fällen.
       
 (DIR) Staatsanwaltschaft und Haasenburg: Unklare Ursachen für Knochenbrüche
       
       Es gibt widersprüchliche Unterlagen dazu, wie sich drei Mädchen in einem
       Haasenburg-Jugendheim die Arme gebrochen haben. Die Staatsanwaltschaft
       ermittelt.
       
 (DIR) Brandenburger Skandalheime: Kein Nachschub für die Haasenburg
       
       Der Hamburger Sozialsenator Detlev Scheele will keine weiteren Kinder und
       Jugendlichen in das Heim schicken. Derzeit sind aber noch zwölf dort.
       
 (DIR) Die Politik und die Haasenburg GmbH: Macht das Ding zu!
       
       Die Jugendhilfeeinrichtung Haasenburg GmbH gerät in Bedrängnis. Jetzt
       unterbricht der Brandenburger Landtag sogar seine Sommerpause.
       
 (DIR) Skandal um Haasenburg-Heime: Das Versagen in Cottbus
       
       Eigentlich müsste die Staatsanwaltschaft Cottbus längst ermitteln, sagt ein
       Hauptkommissar a. D. Doch die Behörde tut nichts. Und es ist noch
       schlimmer.
       
 (DIR) Kinderheim in Brandenburg: Der Horror am Waldrand
       
       Der Staat schickt Kinder und Jugendliche in Heime der Haasenburg GmbH, in
       denen brutaler Drill herrscht. Die Behörden wissen von den Missständen.