# taz.de -- Frankfurter Buchmesse: Kein Buch am Strand
       
       > Dass das Gastland Brasilien heißt, lässt die Brasilianer kalt. Eine
       > Lesekultur konnte sich aus historischen Gründen dort nur zaghaft
       > entwickeln.
       
 (IMG) Bild: Lesen? Tsss. An den Strand geht man doch, um zu spielen!
       
       Vor einigen Jahren, auf der umtriebigen Buchmesse von Buenos Aires,
       vertraute mir ein in Brasilien lebender Deutscher an, er könne nun richtig
       aufatmen, weil er sich endlich wieder einmal in einer Stadt des Buches
       befinde. Bei uns wird das Buch nicht geachtet, seufzte er.
       
       Ich hielt dies für eine Übertreibung. Gewiss, Buenos Aires bietet mit El
       Ateneo einen der schönsten Buchtempel der Welt, und jeder Stadtteil hat
       seine ansprechenden, zumindest was einheimische Autoren und Autorinnen
       angeht, gut sortierten Buchhandlungen. Brasilien mochte dagegen abfallen,
       dachte ich, aber so schlimm wie behauptet konnte es nicht sein.
       
       Nach drei Wochen in diesem Land habe ich eher den Eindruck, diese düstere
       Behauptung war untertrieben. Auf der Frankfurter Buchmesse wird sich ein
       Land vorstellen, im dem das Buch öffentlich fast völlig abwesend ist. Ob in
       der U-Bahn in Rio de Janeiro, in den Bussen zu den Vororten, die in
       Stoßzeiten bis zu zwei Stunden unterwegs sind, ob auf den Plätzen und Parks
       in Salvador oder auf den Stränden entlang der Küste, nirgendwo ist ein Buch
       zu sehen, niemand liest, nicht einmal flüchtig in Zeitungen oder
       Zeitschriften.
       
       Meine Begeisterung ist demgemäß groß, als mir auf einer Fähre zwischen
       Salvador da Bahia und der Insel Itaparica ein lesender Jüngling
       gegenübersaß, der trotz der Meereswogen in einen Schmöker vertieft war
       (einen der Romane von G. R. R. Martin, wie sich herausstellte). Die
       einzigen Texte, die überall rezipiert werden, sind jene, die das Smartphone
       hergibt.
       
       ## Wo sind die Buchläden?
       
       An den Strand geht man doch nicht, um zu lesen, erklärte mir ein junger
       Brasilianer, sondern um zu schwatzen oder zu spielen. Wir sind ein
       visuelles und ein musikalisches Volk, behauptete eine literaturaffine Dame.
       
       Aber reicht das aus, um zu begründen, wieso es in der 3-Millionen-Stadt
       Salvador, der drittgrößten Metropole Brasiliens, abgesehen von einigen
       wenigen Läden in den gewaltigen Shoppingmalls weit und breit keine
       Buchhandlung gibt?
       
       Die Ursachen sind wie so oft historischer Natur. Wie Sérgio Buarque de
       Holanda in seinem klassischen Essay „Die Wurzeln Brasiliens (gerade bei
       Suhrkamp neu aufgelegt) ausführt, wurde die erste Druckerei sehr spät erst
       im Jahre 1747 in Rio eröffnet, zu einem Zeitpunkt, da in allen
       hispanoamerikanischen Zentren teilweise schon seit Jahrhunderten eine
       blühende Druckkunst existierte. Und diese erste Druckerei wurde aus
       politischen Gründen rasch wieder geschlossen, sogar die Lettern wurden nach
       Portugal zurückgeschickt.
       
       Das Mutterland wollte kontrollieren, was in der Kolonie gelesen wurde. Als
       sich Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Übersiedlung des portugiesischen
       Hofes endlich Druckereien auch in Brasilien etablierten, waren etwa in
       Mexiko-Stadt schon mehr als 10.000 Titel gedruckt worden, und selbst Lima
       konnte bis dato knapp 4.000 eigene Publikationen aufweisen.
       
       ## Missliche Bildungslage
       
       Die fast bis zum Ende des 19. Jahrhunderts vorherrschende Sklaverei dürfte
       ebenfalls einen negativen Beitrag geleistet haben, ebenso die weiterhin
       missliche Bildungslage für eine Mehrheit der Bevölkerung. Zudem sind
       Bücher, wie alle beklagen, unverhältnismäßig teuer, und Schulbibliotheken
       müssen vielerorts erst noch aufgebaut werden.
       
       Exemplarisch zeigt ein Museum in Salvador die Malaise auf. Es ist dem
       literarischen Helden der Region gewidmet, dem weltweit bekannten Jorge
       Amado, der in deftigen Romanen afrobrasilianische Figuren in den
       Mittelpunkt rückte und mit selbstbewusster Stimme ausstattete, ihre Rituale
       und Bräuche ehrte sowie die Salons durch Bars und die Klubs durch Bordelle
       ersetzte.
       
       Dieses blaue Museum ist mitten in Pelourinho gelegen, in einem der
       schönsten Gebäude der aufgerougten Altstadt, ein Unesco-Weltkulturerbe. Das
       Museum ist eher Behauptung als Beweis, eher Hagiografie als Annäherung an
       einen Autor und seine Werke.
       
       Die Behauptung wird gestützt von unzähligen Orden, die in den Vitrinen
       liegen wie militärische Auszeichnungen (wie viele Klunker in Brasilien für
       literarische Verdienste verteilt werden!). Die Hagiografie wird untermalt
       von unzähligen Buchumschlägen aus aller Welt und Filmplakaten. Einsicht in
       den Schaffensprozess, Reflexion über die kreative Entwicklung fehlt fast
       völlig.
       
       Bahia verklärt Amado, auf Kosten seiner Literatur. Und in dem kleinen
       Museumsshop wird eine bescheidene Auswahl seiner Werke angeboten, hinter
       dem Tresen eine Verkäuferin, die es bislang vermeiden konnte, ihn zu lesen.
       
       9 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ilija Trojanow
       
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