# taz.de -- Debatte Flüchtlingspolitik: Die Grenze selbst ist die Gefahr
       
       > Europa muss für alle offen stehen, nicht nur für eine kleine Elite. Der
       > Versuch, Migration zu kontrollieren, ist unmenschlich, teuer und sinnlos.
       
 (IMG) Bild: Lampedusa: Flüchtlinge sollen nicht illegal nach Europa einreisen müssen.
       
       Einen mutigen Beitrag hat Paul Collier, Professor für Economics and Public
       Policy, vor kurzem in der taz [1][veröffentlicht]. Angesichts eines
       unmenschlichen Umgangs mit Flüchtlingen und unhaltbarer Zustände in
       Unterkünften auf Lampedusa, aber auch überall sonst in der EU schreibt er,
       dass unsere Menschenrechtsrhethorik bei Flüchtlingen falsche Hoffnungen
       weckt. Statt offizieller Einreise gebe es kriminelle Gangs, die
       Fluchtreisen organisierten. Und bei ihrer Ankunft auf europäischem Festland
       würden die Geflüchteten dann mit Rechten überschüttet, so Collier. Das kann
       schon nicht mehr als nur naiv betrachtet werden.
       
       Collier hat recht, wenn er schreibt, dass es nicht sein kann, dass Menschen
       ihr Leben bei einer hoch gefährlichen Fahrt über das Mittelmeer riskieren.
       Die europäische Migrationspolitik muss sich ändern. Und Collier hat auch
       damit recht, dass die Flüchtlinge, die es trotz allem bis nach Europa
       schaffen, nicht zu den Ärmsten der Armen gehören. Zu kostspielig sind die
       durch Frontex und durch in Drittstaaten vorverlagerte Kontrollen
       aufgezwungenen Routen.
       
       Collier zieht daraus den Schluss, dass Europa den Afrikanern einfach mehr
       Studienplätze zur Verfügung stellen muss, in beiderseitigem Interesse, und
       ansonsten die Grenzen dicht bleiben sollen. So würden die nach einer
       Ausbildung in Europa Hochqualifizierten einen Entwicklungsschub in ihren
       Heimatländern bewirken. Die Forderungen, die er aufstellt, sind weder
       sinnvoll, noch liefern sie einen neuen Beitrag zur Debatte über Migration.
       
       Schon Wolfgang Schäuble und Nicolas Sarkozy, damals die Innenminister in
       Deutschland und Frankreich, hatten 2006 das Konzept der zirkulären
       Migration ersonnen, das heute integraler Bestandteil der europäischen
       Migrationspolitik ist. Das Konzept sieht vor, dass Menschen aus
       Drittstaaten für eine gewisse Zeit in der EU studieren oder arbeiten, schon
       während ihres Aufenthalts durch Geldsendungen ihre Herkunftsländer
       unterstützen und schließlich bei ihrer Rückkehr ihre in der EU erworbenen
       Fähigkeiten in ihrer Heimat nutzen und somit die Entwicklung dieser
       vorantreiben.
       
       An diesem Konzept gibt es jedoch erhebliche Zweifel. Die EU behauptet, der
       Abwanderung von Fachkräften aus den kapitalistischen Peripherien
       entgegenwirken zu wollen und stattdessen eine für alle vorteilhafte Politik
       zu betreiben: Afrikaner erhalten eine Ausbildung und Europa kann zugleich
       die Einwanderung kontrollieren und wirtschaftliche Bande für die Zukunft
       knüpfen.
       
       ## Platz nur für wirtschaftlichen Eliten
       
       Die Realität ist aber, dass die EU lediglich ein Nadelöhr für genau die
       Fachkräfte und wissenschaftlichen und politischen Eliten offen hält, die
       den Ökonomien der EU-Mitgliedstaaten nützen. Welche Art der Migration den
       Volkswirtschaften der afrikanischen Staaten nützen würde, bleibt bei
       gegenwärtiger Machtasymmetrie unberücksichtigt. Von dieser Elite wiederum
       zu verlangen, in die Heimat zurückzukehren, scheitert nicht nur an der
       Wirklichkeit. Denn nach Studium, ersten Arbeitserfahrungen, geschlossenen
       Freundschaften, Familiengründung besteht meist gar kein Interesse
       zurückzukehren.
       
       Diese Forderung enthüllt auch die nationalistische Vorstellung der
       Vertreter der zirkulären Migration, dass Menschen dahin gehören, wo sie
       geboren wurden. Dass auch Europa zur Heimat werden kann, will man einmal
       bei diesem Wort bleiben, ist nicht vorgesehen, es offenbart ein Denken in
       rassistischen Kategorien. Eine Vorstellung, die auch Collier zu teilen
       scheint, wenn er von Afrikanern schreibt, die in ihre Heimat zurücksollen.
       Natürlich nicht, ohne vorher „von uns Fertigkeiten zu erlernen und
       Einstellungen zu absorbieren“. Der Weg zum wohlmeinenden Kolonialherren ist
       dann nicht mehr weit.
       
       Europa ist mit seinen desaströsen Agrarsubventionen, einseitigem Interesse
       dienenden Freihandelsabkommen und Kriegseinsätzen – um nur einige Punkte zu
       nennen – für das Elend im Mittelmeer mitverantwortlich. Es reicht nicht,
       ein paar mehr Studienplätze zur Verfügung zu stellen und ansonsten
       weiterhin an der Militarisierung der Außengrenzen festzuhalten. Nicht eine
       lediglich an Nützlichkeitserwägungen ausgerichtete Politik, die Menschen je
       nach Bedarf ein- oder ausschließt, ist angezeigt.
       
       ## Migration nicht kontrollierbar
       
       Ganz im Gegenteil bedarf es einer solidarischen internationalen Politik,
       deren elementarer Bestandteil eine für alle Menschen offene europäische
       Grenze ist. Dies wird der Tatsache gerecht, dass es Migration immer gab und
       geben wird und sie nicht beliebig zu steuern ist.
       
       Der vom Rat der Europäischen Union 2005 beschlossene „Gesamtansatz zur
       Migrationsfrage“, der nach wie vor handlungsleitend ist, plädiert für eine
       Politik, welche das Zusammenwirken von Migration und Entwicklung fördert.
       Im Gegenteil sind die konkreten Schritte vor allem von
       sicherheitspolitischen Erwägungen, Illegalisierung von Flucht und Migration
       sowie Maßnahmen der Migrationskontrolle geprägt.
       
       Dass es zu einer Kehrtwende in der europäischen Migrationspolitik kommt,
       ist leider nicht allzu wahrscheinlich, wie gerade wieder unter Beweis
       gestellt wurde. Die Chance auf eine Entwicklungspolitik auf Augenhöhe und
       eine menschliche Migrationspolitik haben die Staats- und Regierungschefs
       auf der gestern endenden Tagung des Europäischen Rats vertan. Zu groß ist
       die Angst vor einsetzenden „Flüchtlingsströmen“, die nicht nur von der
       extremen Rechten geschürt wird, sondern auch von der sogenannten Mitte der
       Gesellschaft.
       
       Außer Acht gelassen wird dabei nicht nur, dass es sich schlicht nicht alle
       Menschen leisten können, in ein anderes Land zu emigrieren. Auch muss klar
       sein, dass Europa nicht die einzige Region der Welt ist, in deren Richtung
       Wanderungsbewegungen stattfinden.
       
       Der Versuch, Migration zu kontrollieren, ist unmenschlich, sinnlos, teuer
       und letztlich für die wirtschaftliche Entwicklung sowohl Europas als auch
       Afrikas nicht nützlich. Die Menschen an der Grenze stellen keine Gefahr dar
       – die Grenze selbst ist die Gefahr.
       
       26 Oct 2013
       
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