# taz.de -- Diskriminierung an Berlins Schulen: Schluss mit dem Hundegebell
       
       > In Berlin fand am Freitag das erste große Symposium über ethnische
       > Diskriminierung an Schulen statt. Berichte von Ausgrenzungserfahrungen
       > gab es zuhauf.
       
 (IMG) Bild: Hat sich was verändert? Schüler der Neuköllner Rütli-Schule im Jahr 2006
       
       BERLIN taz | 200 TeilnehmerInnen hatten sich angemeldet, doppelt so viele
       kamen: ein Hinweis auf die Relevanz des Themas, das am Freitag im Rathaus
       Schöneberg verhandelt wurde. „Diskriminierung an Berliner Schulen benennen:
       Von Rassismus zu Inklusion“, so der Titel der Veranstaltung, die in
       mehreren Podiumsdiskussionen und Workshops Formen von Diskriminierung und
       Benachteiligung sowie Beschwerde- und Klagemöglichkeiten dagegen
       behandelte. Auf den Podien und im Publikum vor allem LehrerInnen,
       Studierende, WissenschaftlerInnen, Eltern, VertreterInnen von Behörden und
       Antidiskriminierungsinitiativen – die Bandbreite an
       Diskriminierungserfahrungen und –praktiken sowie strukturellen
       Ausgrenzungsmechanismen in Institutionen, die so bei der ganztägigen
       Veranstaltung zusammengetragen wurde, war beeindruckend.
       
       Dabei hatten die Bemühungen der mitveranstaltenden Open Society Justice
       Initiative (OSJI), Teil der weltweit aktiven New Yorker
       Menschenrechtsorganisation Open Society Foundation, die Debatte über
       Diskriminierung an Berlins Schulen anzustoßen, zunächst nur langsam Fahrt
       gewonnen. Lange habe man auf Nachfragen vor allem die Antwort bekommen:
       „Bei uns kein Problem“, erzählt am Rande der Tagung Maxim Ferschtman,
       Mitarbeiter der OSJI. Die Begründung: Es gäbe keine diesbezüglichen
       Gerichtsverfahren.
       
       Warum das so ist – und warum es dennoch keineswegs die Nichtexistenz
       ethnischer Diskriminierung belegt, erläuterten auf der Tagung unter anderem
       der Berliner Rechtsanwalt Carsten Ilius, die Leiterin der Landesstelle für
       Gleichbehandlung, Eren Ünsal, und die Antidiskriminierungsberaterin Nuran
       Yigit: Es fehlt schlicht die gesetzliche Grundlage für SchülerInnen und
       Eltern, gegen Diskriminierung an Schulen juristisch vorzugehen.
       
       Das 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), auf
       dessen Grundlage die Berliner Landesstelle für Gleichbehandlung arbeitet,
       ermöglicht Klagen gegen Diskriminierungen durch Arbeitgeber oder andere
       Vertragspartner, nicht aber von Privatpersonen oder Verbänden gegen
       Behörden und Verwaltungseinrichtungen in ihrer Dienstleisterfunktion: eine
       „Schutzlücke“, die unbedingt geschlossen werden müsse, befand Nuran Yigit.
       
       Der bislang einzig mögliche Rechtsweg – verwaltungsgerichtliche Klagen
       gegen konkrete Einzelentscheidungen von Schulen – werde von Eltern äußerst
       ungern beschritten, so Anwalt Ilius: „Sie haben Angst vor den Folgen einer
       solchen Klage für ihre Kinder.“ Denn die blieben in der Regel an den
       Schulen.
       
       Erst kürzlich scheiterte Ilius mit dem bundesweit ersten Versuch einer
       solchen Klage vor dem Berliner Verwaltungsgericht. Eltern hatten die
       Nichtversetzung und den damit verbundenen Verweis ihrer Kinder vom
       Gymnasium als Folge von Diskriminierung angesehen. Die vier SchülerInnen,
       alle selbst aus Einwandererfamilien, waren in eine Klasse mit einem
       Migrantenanteil gekommen, der weit über dem anderer Klassen derselben
       Jahrgangsstufe an der Schule lag: eine diskriminierende und zu Nachteilen
       führende Aufteilung der SchülerInnen, fanden die Kläger und ihr
       Rechtsanwalt. Das Gericht mochte dieser Auffassung nicht folgen und wies
       die Klage ab.
       
       ## „Die irrste Klage des Jahres“
       
       Der Prozess hatte in Berlin für teils zynische Reaktionen und
       Medienberichterstattung gesorgt: Migrantenkinder klagen gegen zuviel
       Migrantenkinder - „die irrste Klage des Jahres!“ kommentierte der
       Bürgermeister des betroffenen Bezirks Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), in
       der Bild-Zeitung.
       
       Ethnische Segregation, also die ungleichmäßige Aufteilung von SchülerInnen
       mit und ohne Migrationshintergrund auf Schulen oder innerhalb von Schulen
       auf verschiedene Klassen, war ein großes Thema der Veranstaltung. Dass die
       teils verzweifelten Anstrengungen mancher Schulen mit hohem
       Migrantenanteil, mehr „deutsche“ Kinder zu gewinnen, wieder zu
       Diskriminierung führt, fand Erwähnung: Denn es signalisiere denen, die da
       sind, dass sie die nicht erwünschten, eben „schlechte“ SchülerInnen seien,
       so eine Teilnehmerin. Ein strukturelles Problem, das sich aus der permanent
       wiederholten Beschreibung von migrantischen SchülerInnen als
       Bildungsversager ergibt – und bis dahin führt, dass gleiche Arbeiten
       schlechter bewertet werden, wenn sie unter einem türkischen statt deutschem
       Namen abgegeben werden, wie Forscher feststellten.
       
       Ein zweites großes Thema: diskriminierende Äußerungen oder Verhaltensweisen
       von Lehrkräften gegenüber SchülerInnen – und die Schwierigkeiten, dagegen
       vorzugehen. „Hört auf mit dem Hundegebell!“: eine Lehrerin zu Schülern, die
       miteinander Kurdisch sprechen. Auf den Tafeln einer der das Symposium
       begleitenden Ausstellung, die Diskriminierungsfälle dokumentiert, erzählt
       ein Vater japanischer Herkunft, wie in der Schulklasse seiner Tochter das
       Lied von den „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“ gesungen wird – und die
       Lehrerin dabei die Kinder auffordert, die Augenwinkel mit den Fingern nach
       oben zu ziehen, damit „das typische Schlitzaugengesicht“ entstehe.
       
       Nachdem der Vater sich beim Schulleiter beschwert hat, wird die Tochter –
       ein Grundschulkind – vor der Klasse gefragt, ob sie das denn beleidigt
       hätte. Sanchita Basu von der Beratungsstelle für Rassismusopfer ReachOut
       erzählt, wie diese oft zu Problemverursachern gemacht werden: Eine Mutter,
       die über Diskriminierung ihrer Kinder klagt, gilt bei den Lehrern als
       „hysterisch“, einem Kind, das wegen wiederholter rassistischer Übergriffe
       häufig weint, wird der Besuch beim Schulpsychologen nahegelegt. Die
       Begründung des Schulleiters dafür, so Basu: Statt zu weinen, könne man sich
       doch in „zivilisierter Sprache“ unterhalten.
       
       ## Aueinanderklaffende Erfahrungswelten
       
       Wie weit die Erfahrungswelt von rassistischer Diskriminierung Betroffener
       und die Umgangspraxis der zuständigen Verwaltungen damit
       auseinanderklaffen, stellten deren Vertreter auf dem Symposium unter
       Beweis. Thomas Duveneck, Jurist in der Senatsverwaltung für Bildung, pries
       etwa die Qualitätsbeauftragte seiner Behörde als Anlaufstelle für
       Betroffene. Dass er und nicht diese selbst ihre Arbeit auf der Tagung
       vorstellte, hat allerdings einen nicht unerheblichen Grund: Diese laut
       Bildungsverwaltung „Ansprechpartnerin für Vorschläge zur
       Qualitätsentwicklung in Kita und Schule“ darf gar nicht offiziell für die
       Senatsverwaltung sprechen. Ihr Amt ist nur ein Ehrenamt – eine in der
       Verwaltung verankerte und mit entsprechenden Befugnissen ausgestattete
       Beschwerdestelle gibt es nicht.
       
       Und Bildungsstaatssekretär Mark Rackles (SPD) reihte sich beim
       Abschlusspodium der Tagung in den Chor der Zyniker ein, als er denjenigen,
       die Rassismus an Schulen abschaffen möchten, spöttisch „viel Spaß dabei“
       wünschte: das sei unmöglich, Schule sei nun mal ebenso rassistisch wie die
       Gesellschaft selbst. Sein Lösungsvorschlag: einfach den Rassismusbegriff
       enger fassen. „Nicht jeder kulturelle Konflikt ist gleich Rassismus“, so
       Rackles.
       
       Dabei ist Gleichbehandlung und Chancengerechtigkeit von Kindern das
       drängendste Thema der deutschen Bildungspolitik – auch in Berlin. Das hatte
       zu Anfang der Veranstaltung James Goldston, Direktor der OSJI, klar
       gemacht: Es war die PISA-Studie mit ihrem Ergebnis der
       Bildungsbenachteiligung von Einwandererkindern, die die Initiative bewogen
       hat, ihr Augenmerk auch auf Deutschland zu richten. Denn: Nicht nur Bildung
       ist Menschenrecht, so Goldston, sondern ebenso das Recht, nicht
       diskriminiert zu werden: „Deutschland verletzt durch diese
       Benachteiligungen deutsches und internationales Recht.“ Mit ganz realen
       Folgen für die Betroffenen: Sie haben schlechtere Zukunftschancen.
       
       Unabhängige und dennoch mit den nötigen Befugnissen wie Akteneinsicht und
       Sanktionsmacht ausgestattete Beschwerdestellen am besten auf Bezirksebene
       war eine Forderung, die am Ende der Tagung stand. Eine weitere: die
       Verankerung des Themas in der Ausbildung von Lehrer- und ErzieherInnen, um
       Bewusstsein für Diskriminierung und Rassismus zu schaffen. Und ganz
       wichtig: eine juristische Grundlage für Antidiskriminierungsklagen.
       
       In Berlin liegt ein entsprechender Gesetzentwurf übrigens seit 2011 vor:
       erarbeitet unter der damals rot-roten Landesregierung. Seit Rot-Schwarz die
       Stadt regiert, liegt der allerdings in der Schublade - obwohl auch SPD und
       CDU in ihrem Koalitionsvertrag die Verbesserung gesetzlichen
       Diskriminierungsschutzes gegenüber der Verwaltung als „öffentliche
       Dienstleisterin“ verankert haben.
       
       3 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alke Wierth
       
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