# taz.de -- Schwierige Regierungsbildung: Was reitet die Hessen?
       
       > In Berlin bastelt die große Koalition, in Hessen bastelt noch jeder mit
       > jedem. Welche Verbindung die besten Chancen hat – eine Übersicht.
       
 (IMG) Bild: Ventiliert auch schon mal eine Minderheitsregierung „nach skandinavischem Vorbild“: Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD
       
       ## 
       
       Dafür spricht, dass sich mit Volker Bouffier (CDU) und Tarek Al-Wazir
       (Grüne) die „Realos“ ihrer jeweiligen Parteien gegenübersitzen. Der
       Ministerpräsident hat sich vom „schwarzen Sheriff“ seines Vorgängers Roland
       Koch zum umgänglichen, fast präsidial agierenden Landesvater gewandelt –
       dem auch der machtpolitische Aspekt nicht entgangen sein dürfte, dass er
       den Grünen weniger Ministerposten würde zugestehen müssen als der SPD.
       
       Womit Al-Wazir gut leben könnte: Er beansprucht das Wirtschafts- und
       Verkehrsministerium für sich, um an diesen zentralen Stellen „grüne
       Inhalte“ nicht nur durchsetzen, sondern auch verantworten zu können. Zum
       wirtschaftlichen Wohl des Landes, was wiederum Bouffier gerne hören dürfte.
       Er könnte nur gewinnen, ließe er Al-Wazir hier gewähren. Scheitert der
       Grüne, hat’s der Schwarze eh schon geahnt. Glückt es ihm, kann sich
       Bouffier für seine Weitsicht feiern lassen.
       
       Dagegen spricht auf ideologischer Ebene der Unterbau beider Parteien. Hier
       Leute, die etwa die Homo-Ehe für ein Teufelswerk, und dort Leute, die
       Bouffier für den Leibhaftigen halten. Auf praktischer Ebene stört nur noch
       der Frankfurter Flughafen mit seinem Lärm die Harmonie. Hier ist es dem
       Vernehmen nach schon zu einer „Annäherung“ gekommen. Und die lässt sich
       schneller in ein Einvernehmen verwandeln als eine „unüberbrückbare
       Differenz“.
       
       ## Platz 2 Die Realistische: Schwarz-Rot
       
       Dafür spricht nicht nur, dass Volker Bouffier und Thorsten Schäfer-Gümbel
       in den vergangenen Wochen maßgeblich die Gespräche über die Große Koalition
       auf Bundesebene mit angestoßen haben. Man kennt sich. Auch stammen beide
       aus Gießen, was bei den Grünen intern und in Anspielung auf eine
       architektonische Sünde dieser Stadt als „Elefantenklo-Koalition“ beargwöhnt
       wird. Beide Parteien wollen den Flughafen wachsen und gedeihen sehen,
       überdies fühlt sich die SPD in Sachen Schul- und Arbeitsmarkpolitik von der
       CDU gut verstanden. Hier will Schäfer-Gümbel „Korridore“ gesehen haben, „in
       denen Verständigungen möglich sind“, zumal er der CDU entgegengekommen und
       von der „Gemeinschaftsschule“ abgerückt ist.
       
       Dagegen sprechen indes Korridore, in denen Verständigungen so schwierig
       sind wie in der Einflugschneise des Frankfurter Flughafens zu Stoßzeiten.
       Dazu zählt die von den Sozialdemokraten geforderte Rückkehr des Landes in
       die Tarifgemeinschaft und zur 40-Stunden-Woche für Beamte. Die Frage wird
       sein, wie wichtig diese Punkte der SPD „am Ende des Tages“ sein werden. Und
       auch, wie die demnächst befragten 26 Unterbezirke der Partei entscheiden:
       Koalition oder Opposition? Die Basis ist zwar nicht weisungsbefugt, aber
       eben doch die Basis. Und das bedeutet: Gegen ihren Willen dürfte die SPD
       wohl kaum mitregieren.
       
       ## Platz 3 Das Y-Modell: Rot-Grün-Rot
       
       Dafür spricht die alte Kunst der Arithmetik. Es verhält sich nämlich so,
       dass SPD, Grüne und Linkspartei im hessischen Landtag gemeinsam auf 57 der
       110 Sitze kämen. Das wäre eine Mehrheit. Knapp und links von der Mitte,
       aber eine Mehrheit. Das ginge also.
       
       Es würde Parteien vereinen, die mit linker Politik mühelos den
       „Politikwechsel“ herbeiführen könnten, den sie im Wahlkampf beschworen
       hatten. Sogar die Gewerkschaften wären in diesem Fall, für den sie zuvor
       laut getrommelt hatten, wahrscheinlich wunschlos glücklich.
       
       Dagegen spricht nicht nur, aber vor allem, der Ausbau des Frankfurter
       Flughafens. Hier will die SPD einen „Dialog“ zur Verminderung der
       Lärmbelastung, die Grünen wollen ein „Moratorium“ für den Ausbau. Und die
       Linkspartei sperrt sich komplett gegen den Bau eines neuen Terminals. Sie
       sperrt sich auch gegen die von der SPD geplanten Einsparungen beim
       Landespersonal. Genau genommen würde die Linkspartei am liebsten noch mehr
       Personal einstellen und die Schuldenbremse lösen. Einen Haushalt saniert
       man so nicht. Hinzu kommen historische Verwicklungen zwischen SPD und
       Linkspartei (siehe: Rosa Luxemburg, USPD, Lafontaine etc.). Offiziell
       gescheitert, wird diese Variante nur noch von Thorsten Schäfer-Gümbel am
       Leben gehalten. Eher lieblos, per Twitter: „Man sollte keine voreiligen
       Schlüsse ziehen.“
       
       ## Platz 4 Die Wackelige: Rot-Grün plus X
       
       Dafür spricht, dass Thorsten Schäfer-Gümbel die Idee einer
       Minderheitsregierung „nach skandinavischem Vorbild“ unmittelbar vor der
       letzten Sondierungsrunde mit der CDU ventiliert hat. Demnach würden, wie
       geplant, SPD und Grüne die Regierungsgeschäfte übernehmen – nur eben ohne
       Mehrheit. Die müsste sich dann ein Ministerpräsident Thorsten
       Schäfer-Gümbel mal hier, mal dort besorgen, also meistens dann doch bei der
       Linkspartei – oder bei einer eines Tages, wer weiß, zu neuem Leben
       erwachten FDP, die nicht jedem Stöckchen hinterherhoppelt, den die Herrchen
       von der CDU so werfen.
       
       Auch SPD-Generalsekretär Michael Roth hatte erklärt, man könne Mehrheiten
       auch „projektbezogen“ organisieren und auf diese Weise „fernab der
       traditionellen Konstellationen Mehrheiten finden“.
       
       Dagegen spricht, dass sowohl Grüne als auch SPD sich zu Recht nichts
       sehnlicher wünschen als „stabile Verhältnisse“ bis zum Ende der kommenden
       Legislaturperiode. Und es ist mehr als unwahrscheinlich, dass man mit
       gleichsam wöchentlich wechselnden Mehrheiten, die ja auch alle mit
       Kompromissen erkauft werden müssten, vernünftig arbeiten kann. Bei diesem
       Vorschlag dürfte es sich um ein Bonbon für die SPD-Basis gehandelt haben,
       der es vor der Großen Koalition graust. Und um eine taktische Fehlleistung
       bei den Verhandlungen mit der CDU.
       
       ## Platz 5 Die Ampel: Rot-Gelb-Grün
       
       Dafür spricht erstaunlich viel, in erster Linie eine Falschmeldung der
       Bild-Zeitung. Die hatte einen „hessischen FDP-Spitzenmann“ mit den Worten
       zitiert, Rot-Grün-Gelb hätte in Hessen eine realistische Chance: „Auch an
       der Basis schwindet der Widerstand gegen ein Bündnis mit SPD und Grünen.“
       Und aus dem FDP-Bundesvorstand wurde zitiert: „Wenn wir etwas gelernt
       haben, dann ist es, künftig nicht bestimmte Bündnisse auszuschließen.“ Denn
       genau das hatte die Hessen-FDP unter ihrem Vorsitzenden Jörg-Uwe Hahn getan
       – und sich nibelungentreu in einen gelben Wurmfortsatz der CDU verwandelt.
       
       Unterdessen hatte sich auch der Altliberale Gerhard Baum gemeldet: „Die
       Lage hat sich so dramatisch verändert, dass das alles nicht mehr gilt.“ Wo,
       wenn nicht in Hessen, wo sie einen Fuß in der Tür hat, sollte die FDP mit
       ihrer Wiederauferstehung beginnen? Immerhin ist die FDP mit zwei blauen
       Augen und mehreren gebrochenen Knochen auf den allerletzten Drücker doch
       noch in den hessischen Landtag eingezogen - und war damit immerhin
       erfolgreicher als die Bundes-FDP.
       
       Dagegen spricht erstaunlich wenig – bis auf den desolaten Zustand der FDP,
       sie sich derzeit in einer Art politischem Wachkoma befindet, auch in
       Hessen. Das Gespräch zwischen Schäfer-Gümbel und Hahn am 28. Oktober war
       weder Sondierung noch Koalitionsgespräch, eher ein Freundschaftsbesuch am
       Krankenbett. Im Februar wird die Partei den alten Vorstand abwählen. Bis
       dahin bleibt die FDP auf der Intensivstation und nicht ansprechbar.
       
       19 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Arno Frank
       
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