# taz.de -- Pro & Contra Energiewende: Sabotiert die GroKo die Energiewende?
       
       > Ja, denn das Klimaziel für Deutschland rückt mit den Beschlüssen der
       > Großen Koalition in weite Ferne. Iwo, das ist alles sehr pragmatisch.
       
 (IMG) Bild: Energiewende in Deutschland - Hoffnungsschimmer für die ganze Welt?
       
       ## Ja
       
       Bisher war die Energiewende in Deutschland ein Erfolgsprojekt, das in der
       ganzen Welt Hoffnungen geweckt hat. Ein Viertel des Stroms stammt
       inzwischen aus erneuerbaren Energien – ihr Anteil ist damit schneller
       gestiegen, als selbst von Optimisten erhofft. Gleichzeitig änderte sich
       auch die Struktur der Energieversorgung: Während bei konventionellen
       Kraftwerken wenige große Konzerne den Markt dominieren, werden Wind-,
       Solar- und Biomassekraftwerke vor allem von Genossenschaften und einzelnen
       BürgerInnen realisiert, was die Akzeptanz des Projekts deutlich erhöhte.
       
       Doch damit dürfte es bald vorbei sein. Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU
       und SPD bekennt sich zwar mit vielen schönen Worten zur Energiewende. Doch
       in Wahrheit tritt die Große Koalition so massiv auf die Bremse, dass das
       Projekt kaum noch gelingen kann. Zentrales Problem ist, dass erstmals ein
       Deckel für den Ausbau von erneuerbarer Energie eingeführt wird: Durch
       sinkende Förderung und neue Auflagen soll der Ökostrom-Anteil auf maximal
       45 Prozent im Jahr 2025 begrenzt werden.
       
       Das ist nicht nur weniger als das bisherige Mindestziel von 38,6 Prozent
       bis zum Jahr 2020, das Deutschland verbindlich an die EU gemeldet hat; das
       künftige Ausbautempo liegt sogar um ein Drittel niedriger als in den
       letzten vier Jahren unter Schwarz-Gelb. Zudem sollen die Fördermodalitäten
       durch Direktvermarktung und Ausschreibungen so verändert werden, dass
       kleine Bürgerprojekte gegenüber großen Konzernen künftig deutlich im
       Nachteil sind.
       
       Offiziell begründet werden die Einschnitte damit, dass anderenfalls die
       Kosten zu stark steigen und der notwendige Ausbau der Netze nicht
       rechtzeitig gelingt. Beide Argumente ziehen aber nicht. Die aktuell
       gültigen Netzausbaupläne gehen von 45 bis 50 Prozent Ökostrom im Jahr 2022
       aus – deutlich mehr, als die Koalition nun plant.
       
       Und den Preisanstieg bremst Schwarz-Rot auch nicht wirklich, denn die
       Einschnitte treffen vor allem Windkraft an Land und große Solaranlagen –
       und damit die billigste Form der erneuerbaren Energie, deren Ausbau die
       Preise kaum noch merklich steigen lässt. Die besonders teure Windkraft auf
       See wird hingegen weiter gefördert und Industrieausnahmen bleiben
       weitgehend bestehen. Zudem soll es neue Subventionen geben, um unrentable
       Kohlekraftwerke am Netz zu halten – obwohl etwa die zuständige
       Bundesnetzagentur dies derzeit für völlig unnötig hält. Der wahre Grund für
       die Pläne liegt darin, dass vor allem die großen Energiekonzerne davon
       profitieren.
       
       Weil es neben der Vollbremsung beim Strom auch keinerlei neue Impulse in
       den Bereichen Wärme und Verkehr gibt, scheint es mit diesem
       Koalitionsvertrag praktisch ausgeschlossen, dass Deutschland sein Klimaziel
       noch erreicht. Falls Union und SPD nicht noch zur Vernunft kommen, ist die
       Energiewende als internationales Vorbild damit in akuter Gefahr. MALTE
       KREUTZFELDT 
       
       ***
       
       ## Nein
       
       Was ist das Ziel der Energiewende? Atomausstieg? Gut, der ist beschlossen.
       Das zweite Ziel ist nicht, Deutschland möglichst schnell auf erneuerbare
       Energien umzustellen. Oberste Priorität muss sein, China, Indien und die
       USA zu einer radikalen Senkung ihres CO2-Ausstoßes zu bewegen. Das ist der
       einzige Weg, den Klimawandel aufzuhalten, der einen Großteil der Arten und
       die Lebensgrundlage vieler Menschen vernichtet.
       
       Das kapieren viele, handeln aber nicht danach, schon gar nicht, wenn sie
       als Staaten und Konzerne im knallharten globalen Wettbewerb stehen. Wenn
       Deutschland eine historische Aufgabe hat, dann die eines Vorbildes:
       Energiewende zu machen und zu zeigen, dass damit Stahl- und Chemiewerke im
       Land bleiben und Autos gebaut werden können. Das einzige Argument, das der
       Rest der Welt versteht, wäre der Beweis, dass Energiewende und
       Industriestandort kein Widerspruch sind. Die Frage, ob im Jahr 2025 in
       Deutschland 45 oder 55 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen,
       ist dabei zweitrangig.
       
       Der so oft beschworene „Erfolg der Energiewende“ bemisst sich primär nicht
       an der Zahl der Windräder und Solarzellen. Sondern daran, ob eine
       Industriegesellschaft ökologisch wirtschaften kann, ohne die schmutzigsten
       Produktionsschritte einfach ins Ausland abzuschieben und danach
       scheinheilig wieder zu importieren. Wer einfach ausrechnet, dass in der
       letzten Dekade erneuerbare Energien schneller zugebaut werden, als von
       Union und SPD angedacht, der übersieht, dass das mit jedem Prozent Ökostrom
       schwerer wird. Es ist technologisch komplexer, 50 Prozent regenerative
       Energien effektiv zu nutzen als ein Viertel, so wie heute. Es geht ums
       Speichern, um intelligente Netze, eine Kopplung mit dem Gas- und Wärmenetz,
       was die effektivste Nutzung verspricht.
       
       Das größte Problem dieser Argumentation ist, dass sie meist missbraucht
       wird. Wenn Industrieverbände die Deindustrialisierung Deutschlands wegen
       der Energiewende befürchten, ist das hauptsächlich Panikmache. Vor allem,
       wenn in dieser Rhetorik nur die Kosten, nicht aber die
       gesamtwirtschaftlichen Chancen der Energiewende betont werden.
       
       Nun ist ein Koalitionsvertrag kein Gesetz. Aber wenn man schon bis zum
       Abwürgen eine Exegese betreibt, dann erstaunt doch, dass Union und SPD eben
       nicht dieser Rhetorik anheimfallen. Man kann ständig den Satz zitieren,
       nach dem „konventionelle Kraftwerke (Braunkohle, Steinkohle, Gas) als Teil
       des nationalen Energiemixes“ auf „absehbare Zeit unverzichtbar“ seien. Da
       steht aber auch: „Die Energiewende ist ein richtiger und notwendiger
       Schritt auf dem Weg in eine Industriegesellschaft, die dem Gedanken der
       Nachhaltigkeit und der Bewahrung der Schöpfung verpflichtet ist.“ Punktum.
       Insofern macht die GroKo das, was ihrem Wesen entspricht: Sie gleicht
       Interessen aus. Das ist keine Sabotage an der Energiewende, sondern
       Pragmatismus. INGO ARZT
       
       4 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ingo Arzt
 (DIR) Malte Kreutzfeldt
       
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