# taz.de -- Preise der Leipziger Buchmesse: Weltgeschichte im Kleinsten
       
       > Die Preisjury der Leipziger Buchmesse entschied sich für den
       > Schriftsteller Sasa Stanisic, den Übersetzer Robin Detje und den
       > Essayisten Helmut Lethen.
       
 (IMG) Bild: Sasa Stanisic, Preisträger der Kategorie Belletristik auf der Leipziger Buchmesse.
       
       LEIPZIG taz | Katja Petrowskaja und Sasa Stanisic waren Favoriten für den
       Preis der Leipziger Buchmesse. Beide haben Romane geschrieben, in denen die
       Vergangenheit die Gegenwart durchdringt. Sasa Stanisic' Buch, das
       vielerorts begeistert besprochen worden ist, hat die siebenköpfige Jury für
       sich einnehmen können.
       
       Es trägt den Titel „Vor dem Fest“. Seine Handlung erstreckt sich über den
       kurzen Zeitraum des Tages vor dem jährlichen Fest des fiktiven Dorfes
       Fürstenfelde. Es erzählt dabei zugleich von Ereignissen, die weit
       zurückreichen. Zum Beispiel von der Frau des Schultzen, die im Jahre 1589
       das Kind, das ihr Sohn der Magd gemacht hat, erwürgte. Stanisic hat für
       seinen Roman die Geschichten einiger Gemeinden in Ostdeutschland und ihren
       Alltag am Beginn des 21. Jahrhunderts recherchiert, und das mit Erzählungen
       und Beobachtungen aus Bosnien verknüpft, wo er geboren wurde.
       
       „[1][Vor dem Fest]“ erfindet eine Weltgeschichte im Kleinsten, die aber
       nicht als Historie, sondern als Abfolge von Legenden daherkommt, in denen
       die Pest wütet, die Rote Armee einmarschiert und die DDR verschwindet. Es
       ist ein „Wir“, das uns aus der uckermärkischen Welt berichtet. Der sehr gut
       gelaunte und witzige Erzähler repräsentiert das Kollektiv der wenigen
       lebenden Dorfbewohner und ihrer ungezählten Ahnen, die über das Jetzt
       sinnieren und über das, was vorher war.
       
       Auch wenn das Vorher möglicherweise aus der blühenden Fantasie der
       Dorfarchivarin Johanna Schwermuth stammt, gibt es doch Fakten, an denen die
       Fürstenfelder nicht vorbei kommen. „Es gehen mehr tot, als geboren werden.
       Wir hören die Alten vereinsamen. Sehen den Jungen beim Schmieden zu von
       keinem Plan. Oder vom Plan, wegzugehen. Im Frühling haben wir den
       Stundentakt vom 419er eingebüßt.“
       
       ## Viele wünschten sich eine Überraschung
       
       Mit dem Preis in der Kategorie Übersetzung wurde der Berliner Robin Detje
       ausgezeichnet für seine Übertragung von William T. Vollmanns fulminanten
       und hoch gelobten Roman „Europe Central“ (Suhrkamp Verlag) aus dem
       amerikanischen Englisch. „Europe Central“ ist ein postmodernes Konvolut von
       Geschichten über Revolution, Krieg und Terror im 20. Jahrhundert.
       
       Im Bereich Sachbuch haben sich viele eine Überraschung gewünscht. Die hätte
       Diedrich Diederichsen gehießen. Der Poptheoretiker war mit seinem Buch über
       Pop-Musik nonimiert. Andererseits hat man so viel Mut wiederum doch nicht
       erwartet, und es ist anders gekommen.
       
       Helmut Lethen, Leiter des Internationalen Forschungszentrums
       Kulturwissenschaften in Wien und Gottfried-Benn-Biograf, wurde für seinen
       „nachdenklichen wie eleganten“ Essay, so die Jury, [2][„Der Schatten des
       Fotografen“ (Rowohlt Berlin) ausgezeichnet] (s. literataz v. 12.3.).
       
       Lethen entwerfe in dem Buch eine „Schule des Sehens“, hatte die Kritik ihn
       gerühmt. In „Der Schatten des Fotografen“ begibt sich der 1939 geborene
       Literaturwissenschaftler auf eine autobiografische Reise durch die Welt der
       Bilder, die ihn geprägt haben. Die Reise beginnt im Jahr 1952, als Lethen
       13 Jahre alt ist, führt ins Jahr 1977 zu einer Peformance Marina
       Abramovics, führt weiter zu Robert Capas „D-Day“-Foto von der Landung der
       Alliierten in der Normandie und zur zweiten Werhrmachtausstellung.
       
       Oft sind es einfachste Assoziationen, in denen sich vor seinen Augen oder
       seinem Inneren das wilde Zusammentreffen von Gegenstand, Bild und
       Vorstellung ereignet. Zäsuren, Affekte – immer geht es um die Frage, wie
       kommt es eigentlich, dass Fotos eine so ungeheure Wirkung auf uns haben?
       Und was ist die Wirklichkeit hinter den Bildern?
       
       Mit Roland Barthes und Siegfried Kracauer deutet der ehemalige Maoist seine
       Referenzpunkte in der Auseinandersetzung zwischen idealistischer und
       materialistischer Bildtheorie an. Aber ist diese autobiografisch wichtige
       und interessante Diskussion auch aufschlussreich, wenn es um die digitale
       Gegenwart geht? Darauf gibt Lethens schöner Essay keine Antwort.
       
       13 Mar 2014
       
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