# taz.de -- Zur Geschichte des Pop: Drei Minuten Rumgehopse
       
       > Auch eine Geschichte von Schurken und Helden: Karl Bruckmaier sucht die
       > geheimen Entstehungszusammenhänge von Pop in kurzen subjektiven Kapiteln.
       
 (IMG) Bild: Die Trommler trommeln, die Tänzer tanzen: Pop
       
       „Die Geschichte der Popmusik wird nacherzählt, seit Menschen den Verdacht
       haben, dass hinter drei Minuten Rumgehopse mit Musik mehr stecken könnte,
       als die fünf Sinne im ersten Moment wahrzunehmen in der Lage sind.“ Dieser
       Verdacht ist es, der auch Karl Bruckmaier dazu treibt, sich immer tiefer in
       die Popmusik zu versenken, seit er als lederbehoster bayerischer Knirps zum
       ersten Mal Elvis gehört hat. Dessen Geschichte lässt er in seiner „Story of
       Pop“ übrigens aus, denn wer sein Buch bis dahin gelesen hat, der kenne sie
       ja eh – „da können wir die Märchenstunde einfach weglassen“.
       
       Dafür erzählt Bruckmaier von ganz anderen Dingen: Pop beginnt bei ihm im 9.
       Jahrhundert, als der Musiker Ziryab neue Klänge und eine fünfsaitige Laute
       aus Bagdad mitbringt und damit den Hof des Kalifen von Córdoba in Ekstase
       versetzt. Im Weiteren wird sich das Buch nicht an der Laute, sondern am
       Bild der Trommel orientieren, die aus Afrika kommt und die Trennlinie
       zwischen Schwarz und Weiß markiert. Ihre Rhythmen erzählen auf der einen
       Seite dieser Linie von Freiheit und Selbstbestimmung, auf der anderen Seite
       vom Fremden, das so verlockend wie bedrohlich ist – und damit auf beiden
       Seiten von der Verheißung einer neuen Identität.
       
       Pop, das zeigt Bruckmaier in seiner sehr subjektiv gehaltenen
       Geschichtsschreibung, entsteht immer dort, wo Trennlinien verlaufen, denn
       Grenzüberschreitungen zu ermöglichen, ist das Wesen des Pop. In den
       Minstrel Shows des 19. Jahrhunderts wird ja nicht nur über die Schwarzen
       gelacht: Es wird auch die Gier der Weißen nach dem, was vermeintlich
       schwarze Kultur ist, befriedigt und der Boden für die ersten schwarzen
       Popstars bereitet.
       
       Mit den „coin-ops“, den ersten Jukeboxen, wird Popmusik 1899 zur Ware, aber
       eben auch allzeit verfügbar gemacht: „Bestimmte Gefühlszustände wie Trauer,
       Verliebtsein, Enttäuschung oder die Erinnerung an einen magischen Moment
       können ab jetzt mit einem Lied codiert und nach Belieben wieder abgerufen
       werden.“ Der Pursuit of Happiness erfüllt sich für zehn Cent und drei
       Minuten. Es folgt das Grammofon, das aber schon in den 20er Jahren durch
       Verbreitung des Radios zur Ramschware wird – und damit für schwarze
       Amerikaner erschwinglich. Diese kaufen etwa fünfzigmal so viele Platten wie
       vorher ihre weißen Landsleute: „Black ist noch nicht beautiful, aber für
       einen ganzen Industriezweig plötzlich überlebenswichtig.“
       
       ## Gesampelte Textfetzen
       
       Jazz Age und Country, Irving Berlin, Nancy Cunard und John Hammond, Swing
       Kids und Ahmed Ertegun, die Essener Songtage, Britpop und das China von
       heute: Vier bis fünf Seiten sind die Kapitel lang, in denen Karl Bruckmaier
       von Menschen und Momenten erzählt, in denen Pop einen Funken ausgelöst und
       schließlich Feuer gefangen hat – in denen aus drei Minuten Rumgehopse so
       viel mehr wurde, ein Widerstand, eine Befreiung, aber auch eine Ideologie,
       ein Verrat und ganz oft ein großes Geschäft. Und Bruckmaier liebt die
       Sprache so sehr wie die Musik, über die er schreibt.
       
       Er sampelt Textfetzen aus Songs, Gedichten und anderen unbenannten Quellen,
       vermischt Deutsch, Englisch und Comicsprache, und man lernt ein paar tolle
       neue alte Worte („Flapper“ – vergnügungssüchtige junge Frau Ende des 19.
       Jahrhunderts) und Zitate (Ike Turner: „Da werde ich in die Hall of Fame
       aufgenommen, weil ich den ersten Rock-’n’-Roll-Song aufgenommen habe, und
       dann nennt man meine Musik Rhythm & Blues, wegen meiner Hautfarbe. Wenn
       aber Jerry Lee Lewis Boogie Woogie spielt, ist es Rock ’n’ Roll. Aber egal.
       Meine Lieblingsmusik ist eh Country“).
       
       Na gut, durch seine Abhandlung der Sklaverei muss man sich erst mal
       hindurchkämpfen, ihr fehlt, vielleicht dem Thema geschuldet, jede
       Leichtigkeit und verärgert durch unnötige KZ-Vergleiche. Aber ansonsten
       gilt für „The Story of Pop“ genau das, was der Journalist Bruckmaier sich
       auch schon für seine kurzen Texte über Musik vorgenommen hat: „Ich wollte
       immer so einfach wie möglich schwierige Zusammenhänge oder Gefühlszustände
       benennen.“ Da ist Musik drin.
       
       15 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dirk Schneider
       
       ## TAGS
       
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