# taz.de -- Ex-NSA-Chef William Binney über Deals: „Jeder benutzt Snowden“
       
       > William Binney war technischer Direktor der NSA und soll vor dem
       > Untersuchungsausschuss aussagen. Edward Snowden rät er, in Russland zu
       > bleiben.
       
 (IMG) Bild: „Als Putin Obama traf, hat man deutlich gesehen, wie sehr der das genießt. Jeder benutzt Snowden mit unterschiedlichen Motiven“, sagt William Binney.
       
       taz: Herr Binney, in Deutschland beraten Parlamentarier eines
       NSA-Untersuchungsausschusses gerade, wie sie Edward Snowden anhören können.
       Auch Sie stehen als ehemaliger technischer Direktor der NSA auf der
       Vorladungsliste. Haben Sie schon eine Einladung bekommen? 
       
       William Binney: Nein. Aber ich weiß, dass ich offenbar aussagen soll.
       
       Für die Anhörung von Edward Snowden stehen drei Optionen im Raum: Er kommt
       nach Deutschland. Er wird in einer Moskauer Botschaft gehört. Oder man
       macht eine Videoübertragung übers Netz. Was würden Sie ihm raten? 
       
       Das Beste wäre, das übers Netz zu erledigen. Dann könnte er seinen
       Aufenthaltsort weiter verbergen. Jeder weiß, wo die Deutsche Botschaft ist.
       Da kriegen sie ihn, wenn er das Gebäude verlässt.
       
       Der Vorsitzende des Ausschusses hat die Schweizer Botschaft vorgeschlagen. 
       
       Ich würde keiner einzigen Botschaft trauen.
       
       Könnte Edward Snowden ein Interesse haben, nach Deutschland zu kommen? 
       
       Russland ist eines der wenigen Länder, mit denen die USA kein
       Auslieferungsabkommen haben. Deutschland hat eines.
       
       Was würde passieren, wenn er käme? 
       
       Sie würden wahrscheinlich versuchen, ihn zu entführen. Das haben sie immer
       wieder gemacht – egal in welchem Land.
       
       Sollte Snowden etwas zustoßen, würde jeder die USA verdächtigen. 
       
       Ich bin mir nicht sicher, ob sie das stört. Unsere Arroganz ist derzeit so
       unglaublich groß. Wir töten wahllos Menschen mit Drohnen. Ich bin im Westen
       Pennsylvanias aufgewachsen. Wir haben da viel gejagt. Die goldene Regel des
       Jagens heißt: Versichere dich, dass du auf dein Ziel schießt. Die USA tun
       das nicht. Der ehemalige NSA-Chef Michael Hayden hat kürzlich gesagt, die
       Armee nutze Metadaten, um Menschen mit Drohnen zu töten. Damit kann man
       doch niemals sicherstellen, dass man den Richtigen erwischt. Das ist
       undiszipliniert und unprofessionell.
       
       Was kann sich ein NSA-Untersuchungsausschuss überhaupt von dem
       Systemadministrator Edward Snowden versprechen? 
       
       Er kann aus seiner Perspektive erzählen, was da ablief. Es geht um die
       Politik, die dahinter steht, nicht in erster Linie um die Technik, die man
       natürlich auch verstehen muss. Das ist das, was er mit seinem Material
       bisher gezeigt hat.
       
       In Deutschland war eine der größten Nachrichten, dass das Smartphone der
       Kanzlerin ausspioniert wurde. 
       
       Na klar, da wird es personalisiert.
       
       Wenn nun ein Vertreter der Obama-Regierung sagt, Merkels Handy werde nicht
       mehr ausspioniert, bedeutet das, dass es nicht mehr ausspioniert wird? 
       
       Man bräuchte eine Möglichkeit zu überprüfen, ob das, was NSA, FBI oder CIA
       erzählen, stimmt. Das ist einer der wesentlichen Reformvorschläge, den wir
       Whistleblower gemacht haben. Gerichte und Kongress müssten das überprüfen
       können. Denn gerade werden sie permanent belogen. Das ist es ja, was
       Snowdens Dokumente zeigen.
       
       Es wäre also gut möglich, dass das, was der Kanzlerin versichert wird, gar
       nicht stimmt. 
       
       Wie soll man einem notorischen Lügner vertrauen? Die NSA wird immer die
       Möglichkeit haben, Merkels Handy auszuspionieren. Egal, wo die sich gerade
       aufhält. Eine NSA-Folie zeigt das ganz klar. Es gibt mehr als 50.000
       Abhör-Implantate in Servern, in Routern, in Verteilern überall auf der
       Welt. Wenn ich so etwas in einen Server eingebaut habe, ist er meiner.
       Sollte mich interessieren, wer mit wem telefoniert und worüber, muss ich
       nur auf dem Server nachsehen und mir die Daten von dort besorgen.
       
       Das hieße: Es kommt auf die Definition von „Handy ausspionieren“ an. Die
       NSA müsste gar nicht an das Gerät selbst ran. 
       
       Sie kennen die Handynummer. Wenn ihnen die Verteilstation gehört, kriegen
       sie alles mit.
       
       Glenn Greenwald, der Reporter, an den sich Snowden vor knapp einem Jahr
       gewandt hat, erzählt die ganze Geschichte noch einmal in einem Buch, das
       diese Woche erschienen ist. Er enthüllt auch, dass die USA genau das tun,
       was sie China vorwerfen: Router so präparieren, dass sie den Verkehr, der
       darüber läuft, überwachen können. 
       
       Ihnen gehört das Netz.
       
       Gerade wird ein Freihandelsabkommen zwischen Deutschland und den USA
       verhandelt. Wirtschaftsspionage wird hier bisher eher mit China in
       Verbindung gebracht. Sollten wir in dem Zusammenhang stärker über die USA
       nachdenken? 
       
       Auf jeden Fall. Ein Großteil der Geheimdienstindustrie ist in den USA
       privatisiert. Die Angestellten dieser privaten Firmen können sich die Daten
       ansehen, wie es auch Edward Snowden getan hat. Sie können feststellen, was
       ihre Konkurrenten so planen. Solche Industriespionage kann völlig ohne das
       Wissen der Regierung stattfinden. So wie Snowden seine Daten kopierte. So
       wie manche Geheimdienst-Analysten in Liebesdingen herumspionieren.
       
       Sie wollten einen Kontrollmechanismus einrichten, der Snowden hätte schnell
       auffliegen lassen. 
       
       Wir haben das Anfang der 1990er Jahre vorgeschlagen: alles überprüfen, was
       im NSA-Netzwerk passiert. Jeder Zugang, jeder Abruf einer Datei hätte dann
       fast in Echtzeit nachverfolgt werden können. Wir hatten zwei Gegner: die
       Analysten der NSA wollten nicht überwacht werden, die Manager der privaten
       Firmen auch nicht. Dann wäre vielleicht aufgeflogen, mit welchen Summen da
       hantiert wurde, wie Verträge mit dem Staat manipuliert worden sind. Mit
       unserem System wäre Snowden sofort aufgeflogen. Im Moment, in dem er die
       erste Datei heruntergeladen hat.
       
       Würden Sie Edward Snowden immer noch raten, sich einem Prozess in den USA
       zu stellen? 
       
       Ich habe das mal getan. Aber nach allem, was jetzt herausgekommen ist,
       würde ich nicht mehr davon ausgehen, dass er einen fairen Prozess bekäme.
       
       Snowden sollte in Russland bleiben? 
       
       Fürs Erste, ja. Ich war dafür, ihn vor Gericht zu bringen. Weil ich dafür
       bin, dass Gesetze angewendet werden. Das hieße aber auch, dass wir
       nacheinander Präsident George W. Bush, seinen Vizepräsidenten Dick Cheney,
       deren Geheimdienstchefs, alle Senatoren aus den Aufsichtsgremien, alle
       Richter der Fisa-Gerichte anklagen, dann müssten wir uns die
       Obama-Regierung vornehmen. Und dann erst wäre Edward Snowden dran. Sie alle
       haben Verbrechen begangen.
       
       Wächst die Akzeptanz für Whistleblower in den USA? 
       
       Snowden sehen viele Amerikaner immer positiver. Ein Gesetz von 2008, das
       die Fisa-Gerichte für rechtens erklären soll, muss immer noch
       verfassungsmäßig überprüft werden. Dazu laufen auch Prozesse, Jewel vs. NSA
       etwa. Sollte der Supreme Court entscheiden, dass das Gesetz nicht
       verfassungsgemäß ist, dann stürzen all diese rechtlichen Konstruktionen in
       sich zusammen und die Verantwortlichen können strafrechtlich verfolgt
       werden. Gerade versuchen sie ja nachträglich, den Internet Service
       Providern Immunität zu bescheinigen, weil sie beim Überwachungsprogramm
       Prism mitgemacht haben. Die werden schließlich auch angeklagt.
       
       Und dann? 
       
       Ich würde diese Pfeifen alle rausschmeißen. Das amerikanische Volk muss
       diese Penner rauswerfen. Die gehören ins Gefängnis. Die NSA will den
       Kongress und alle Amerikaner hinters Licht führen. Sie veröffentlicht
       Lügen, um ihre Spuren zu verwischen. Die NSA hat eine klare Aufgabe: die
       USA vor Gefahren und kriminellen Aktivitäten aus dem Ausland schützen. Das
       ist legitim. Der Rest ist es nicht. Jeden in der Welt auszuspionieren, ist
       es nicht. In den USA ist das ein Bruch der Verfassung. Was das Ausland
       angeht: Da sammeln sie so viele Daten, dass ihre Analysten darin ersaufen.
       Das System funktioniert dadurch nicht mehr. Haben die USA irgendjemanden
       davor gewarnt, dass Russland die Krim einnehmen würde? Ich kann mich nicht
       erinnern. Warum? Weil sie sich übernehmen. Weil sie nicht mehr klug
       vorgehen.
       
       Als Sie noch bei der NSA waren, haben Sie sich um Russland und die
       Sowjetunion gekümmert. Macht sich Snowden nicht zu sehr von Putin abhängig,
       wenn er dort bleibt? Kürzlich ist er in einer Propagandashow des
       Präsidenten aufgetreten. 
       
       Er hat da eine Frage gestellt. Warum sollte er das nicht dürfen?
       
       Russland wird von einem Geheimdienst-Regime regiert. Muss Snowden sich da
       nicht zwangsläufig auf Deals einlassen, wenn er bleiben will? 
       
       Das wird sicher so sein, ja. Als Putin Obama traf, hat man ganz deutlich
       gesehen, wie sehr der das genießt. Der genießt das so richtig. Jeder
       benutzt Snowden mit unterschiedlichen Motiven.
       
       20 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Johannes Gernert
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Edward Snowden
 (DIR) NSA
 (DIR) Geheimdienst
 (DIR) Barack Obama
 (DIR) Wladimir Putin
 (DIR) Schwerpunkt Überwachung
 (DIR) Wikileaks
 (DIR) Glenn Greenwald
 (DIR) Hamid Karsai
 (DIR) Edward Snowden
 (DIR) NSA-Untersuchungsausschuss
 (DIR) Edward Snowden
 (DIR) NSA-Affäre
 (DIR) Glenn Greenwald
 (DIR) Schwerpunkt Überwachung
 (DIR) NSA-Untersuchungsausschuss
 (DIR) Edward Snowden
 (DIR) Henri-Nannen-Preis
 (DIR) 9/11
 (DIR) Snowden
 (DIR) NSA-Untersuchungsausschuss
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Wikileaks-Enthüllungen zu Frankreich: NSA hört Präsidenten zu
       
       François Hollande wurde laut Wikileaks ebenso wie seine beiden Vorgänger
       Sarkozy und Chirac von der NSA bespitzelt. Paris ist sauer.
       
 (DIR) Glenn Greenwald über NSA: „Mir droht Strafe wegen Spionage“
       
       Glenn Greenwald will dem Bundestag keine Snowden-Dokumente geben. Auch bei
       der Zusammenarbeit mit Medien will er die Kontrolle behalten.
       
 (DIR) Obama dankt Truppen in Afghanistan: Karsai verweigert Treffen
       
       US-Präsident Obama besucht überraschend US-Truppen am Hindukusch. Aber
       nicht seinen afghanischen Amtskollegen Karsai. Der wirft Obama zu viel
       Einmischung vor.
       
 (DIR) Vorerst kein Ehrendoktor für Snowden: Rostocks Rektor stoppt Philosophen
       
       Edward Snowden bleibt die Ehrendoktorwürde der Ostsee-Uni vorerst versagt.
       Dessen oberster Akademiker mag den US-Whistleblower nicht auszeichnen.
       
 (DIR) Sitzung des Untersuchungsausschusses: Böse NSA? Böser BND!
       
       Die Abhörpraxis des deutschen Auslandsgeheimdiensts sei nicht besser als
       die der USA, bemängeln Sachverständige. Es fehle eine rechtliche Grundlage.
       
 (DIR) Fragen und Antworten zum NSA-Buch: Ansichten eines Heldenjournalisten
       
       Edward Snowden wandte sich mit seinem Wissen an Journalist Glenn Greenwald,
       der darüber ein Buch schrieb. Spannend, aber ohne neue Erkenntnise.
       
 (DIR) Kommentar NSA-Leisetreterei: De Maizières Fatalismus
       
       Die Zurückhaltung des Innenministers in den USA ist mehr als merkwürdig –
       sie ist verdächtig. Ist Deutschland beim NSA-Skandal eher Komplize als
       Opfer?
       
 (DIR) Überwachung des Internets: Wenn FBI und Microsoft tüfteln
       
       „Prism ist nun in der Lage, Skype-Kommunikation zu sammeln“, zitiert Glenn
       Greenwald ein Schreiben der NSA. Und was weiß Skype davon?
       
 (DIR) NSA-Buch des Guardian-Journalisten: Bericht aus dem Reich des Bösen
       
       Die Story seines Lebens hat Glenn Greenwald über die Überwachung der NSA
       geschrieben, als Artikelserie und als Buch. Eine Rezension.
       
 (DIR) NSA-Untersuchungsausschuss: Snowden bleibt in weiter Ferne
       
       Der Anwalt des Whistleblowers lehnt eine Befragung in Moskau ab. Die
       Opposition will Snowden nach Berlin holen, die Union schreibt den Zeugen
       ab.
       
 (DIR) Snowden-Vernehmung vor Bundestag: Gefahr der Festnahme
       
       Der NSA-Untersuchungsausschuss möchte Edward Snowden befragen. Sein
       deutscher Anwalt ist jedoch skeptisch, was die Formalitäten angeht.
       
 (DIR) Henri-Nannen-Preis 2014: NSA-Enthüllung geehrt
       
       Ein eindrückliches Gurlitt-Porträt, eine Rechercheleistung die erschüttert
       und Gedanken zur Macht des Konsumenten: Einige Texte, die den
       Henri-Nannen-Preis erhalten haben.
       
 (DIR) Obama weiht Erinnerungsort ein: 9/11-Museum eröffnet
       
       Fast 13 Jahre sind die Terroranschläge vom 11. September 2001 her. Am
       früheren Ground Zero in New York eröffnet nun das Museum zu den Ereignissen
       von 9/11.
       
 (DIR) Kommentar Untersuchungsausschuss: Snowdens Wert als Zeuge
       
       Edward Snowden kann jetzt zeigen, dass er mehr als ein Fachmann ist, der zu
       den Dateien wenig sagen kann. Denn dann wird es spannend.
       
 (DIR) NSA-Untersuchungsausschuss: Snowden wird als Zeuge befragt
       
       Jetzt doch: Der frühere Geheimdienstmitarbeiter soll als Zeuge im
       NSA-Ausschuss befragt werden. Ob live oder per Videochat, ist noch nicht
       klar.