# taz.de -- Vergewaltigungen und Strafrecht: Wenn ein „Nein!“ nicht reicht
       
       > Grüne und Linke fordern eine Verschärfung des Vergewaltigungsparagrafen
       > in Deutschland. Justizminister Maas sieht keinen Änderungsbedarf.
       
 (IMG) Bild: Nächtlicher Park – kein Ort, wo Opfer Hilfe erwarten
       
       BERLIN taz | Die Opposition im Bundestag ruft die Regierung auf, Menschen
       in Deutschland besser vor Vergewaltigungen zu schützen. Die
       frauenpolitische Sprecherin der Grünen, Ulle Schauws, drängt die Regierung
       zum Handeln: Warum diese eine Sexualstrafrechtsreform vorgelegt habe, den
       entsprechenden Paragrafen 177 aber unangetastet ließ, habe ihr das
       Justizministerium noch nicht erklärt, kritisiert Schauws.
       
       Auch der Familienpolitiker der Linkspartei, Jörn Wunderlich, sieht
       „dringenden Änderungsbedarf“ beim Vergewaltigungsparagrafen. Hintergrund
       sind Urteile, unter anderem des Bundesgerichtshofs, die als opferfeindlich
       kritisiert wurden. Eigentlich wurde das Prinzip „Nein heißt nein“ bereits
       1998 im Strafrecht umgesetzt – in der Novelle des
       Vergewaltigungsparagrafen.
       
       So sollte eine Tat nicht nur als Vergewaltigung gelten, wenn das Opfer sich
       tatkräftig gewehrt hatte. Zusätzlich galt als Vergewaltigung, wenn die Tat
       „unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters
       schutzlos ausgeliefert ist“, erfolgte. Die Begründung lautete damals, dass
       es Situationen gebe, in denen „das Opfer nur deshalb auf Widerstand
       verzichtet, weil es sich in einer hilflosen Lage befindet und Widerstand
       gegen den überlegenen Täter aussichtslos erscheint“. Gemeint waren etwa
       Übergriffe auf einsamen Waldwegen, wo Opfer keine Hilfe erwarten können.
       
       Der BGH aber legte diese Neuerung sehr eng aus. So hob der 4. Strafsenat
       des BGH 2012 eine Verurteilung auf, weil die vergewaltigte Frau zwar gesagt
       hatte, dass sie den Verkehr nicht wolle, sich zudem wand und weinte – aber
       sie hatte nicht versucht zu fliehen und nicht laut um Hilfe geschrien. Sie
       hatte Angst vor Gewalttätigkeiten des Mannes und wollte deshalb nicht
       riskieren, dass die Kinder aufwachen und auch noch Schläge abbekommen – was
       schon öfter vorgekommen war.
       
       Laut BGH aber habe sie sich vielleicht schutzlos „gefühlt“, bei „objektiver
       Betrachtung“ sei sie das aber nicht gewesen. So sei nicht klar gewesen, ob
       der Täter die Türen abgeschlossen habe. Vielleicht hätte sie fliehen
       können. Frauenrechtsorganisationen haben deshalb immer wieder darauf
       hingewiesen, dass in Deutschland der „entgegenstehende Wille“ des Opfer,
       ein „Nein“ nicht ausreiche, um eine Vergewaltigung zu begründen.
       
       ## Meinungsbildungsprozess nicht abgeschlossen
       
       „Die Rechtsprechung des BGH hat sich sukzessive weiter von dem Ziel der
       Sexualstrafrechtsreform von 1997/98 entfernt. Sie legte die Hürden für die
       Anerkennung des Ausnutzens einer ’schutzlosen Lage‘ fast unerreichbar hoch
       und schränkt damit die Rechtsprechung der Gerichte in opferfeindlicher
       Weise ein“, beklagte schon ein „offener Brief“ von Frauenorganisationen an
       den BGH im Jahr 2013, den 2.500 Menschen unterschrieben.
       
       Verstärkung sollten sie eigentlich durch die „Istanbul-Konvention“ des
       Europarats zur Gewalt gegen Frauen von 2011 bekommen, die Deutschland
       unterzeichnete. Artikel 36 bestimmt, dass „nicht einverständliche sexuell
       bestimmte Handlungen“ unter Strafe zu stellen sind. Das
       Bundesjustizministerium meint jedoch, dass der bisherige
       Strafrechtsparagraf dafür ausreicht, weil ja das „Ausnutzen einer
       schutzlosen Lage“ unter Strafe stehe.
       
       „Die Tatbestandsvariante des Ausnutzens einer schutzlosen Lage soll
       Strafbarkeitslücken in Fällen schließen, in denen das Opfer wegen der
       Aussichtslosigkeit von Widerstand auf Gegenwehr verzichtet und der Täter
       dies ausnutzt. Insoweit genügt das geltende Recht den Vorgaben der
       Istanbul-Konvention“, erklärte die Ministeriumssprecherin Anne Zimmermann
       der taz. Womit wir wieder am Anfang der Diskussion wären.
       
       „Ich finde diese Lage schlimm“, sagt Linken-Politiker Wunderlich. „Nein
       heißt nein, das muss in Deutschland natürlich auch Gesetz werden.“ Die
       Koalitionsfraktionen im Bundestag verweisen darauf, dass über einen
       weiteren Reformbedarf des Sexualstrafrechts noch beraten werden müsse. Auch
       Jutta Bieringer, die Sprecherin des Familienministeriums, meint – im
       Gegensatz zum Justizministerium: „Der Meinungsbildungsprozess in der
       Bundesregierung ist noch nicht abgeschlossen.“
       
       Nach einer Studie des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen
       werden in Deutschland immer weniger Vergewaltiger verurteilt: Vor 20 Jahren
       hätten in 21,6 Prozent der Fälle Frauen, die Anzeige erstatteten, die
       Verurteilung des Täters erlebt – 2012 seien es noch 8,4 Prozent gewesen.
       Eine Ursache sieht Direktor Christian Pfeiffer in der Rechtsprechung.
       
       10 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heide Oestreich
       
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