# taz.de -- Sexualisierte Gewalt im Krieg: „Es fehlt Traumasensibilität“
       
       > Sie wird nicht geleugnet, aber sexualisierte Gewalt hat in Deutschland
       > noch immer keine politische Relevanz, sagt die Frauenrechtlerin Monika
       > Hauser.
       
 (IMG) Bild: In Ruanda wurden mehr als 250.000 Frauen vergewaltigt. Foto aus einer Serie von Jonathan Torgovnik.
       
       taz: Frau Hauser, sexualisierte Gewalt ist spätestens seit dem Krieg in
       Bosnien ein bekanntes Phänomen. Warum gibt es erst jetzt den ersten
       internationalen Gipfel dazu? 
       
       Monika Hauser: Das Phänomen ist bekannt, aber es wird von der
       internationalen Politik nach wie vor nicht sehr wichtig genommen. Ohne die
       Initiative des britischen Außenministers William Hague hätten wir keine
       Konferenz. Ihm ist es zu verdanken, dass beim letzten G-8-Gipfel 2013 eine
       Erklärung unterzeichnet wurde, die sexualisierte Gewalt ächtet. Das war
       sehr wichtig. Auch sehr wichtig ist das Engagement von Angelina Jolie. Seit
       ihrem Film „Liebe in Zeiten des Krieges“ (2011) lässt sie das Thema in
       ihrer Funktion als UN-Botschafterin einfach nicht mehr los.
       
       Diesen beiden ist etwas gelungen, was feministische Frauenorganisationen
       nicht geschafft haben? 
       
       Die kritischen Stimmen von feministischen Organisationen haben nicht das
       Gewicht dieser beiden Schlüsselfiguren. Das kann ich sarkastisch mit einer
       gewissen Selbstkritik sehen!
       
       Baut die deutsche Politik Brücken? 
       
       Nein. Sexualisierte Gewalt hat bei uns weitgehend keine politische
       Relevanz. Die Rede von Frank-Walter Steinmeier anlässlich des 20.
       Jahrestages des Kriegs in Ruanda vor Kurzem ist typisch: Sexualisierte
       Gewalt kam nicht einmal vor. In Ruanda wurden mehr als 250.000 Frauen
       vergewaltigt.
       
       William Hague dagegen sagte bei der Eröffnung: „Wir haben die moralische
       Verpflichtung und die diplomatische Macht, etwas zu verändern.“ 
       
       Von einem deutschen Politiker habe ich so etwas noch nicht gehört.
       Stattdessen wird mir in Gesprächen häufig gesagt: Na ja, die Frauen sind
       vergewaltigt worden, aber jetzt müssen sie auch mal wieder ins Leben
       kommen.
       
       Sieht die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen das anders? 
       
       Bislang ist das nicht erkennbar. Wir bedauern sehr, dass die Ministerin die
       Einladung ausgeschlagen und die Regierung nur eine Delegation unterhalb der
       Ministerebene geschickt hat.
       
       Unterm Strich wird also die Erschütterung von Gesellschaften durch diese
       Gewalt munter kleingeredet? 
       
       Ja. Das Gefühl bei den Überlebenden, keinen sicheren Ort mehr in ihrer
       Gesellschaft und auch nicht in der Welt zu haben, wird einfach nicht
       verstanden. Es herrscht vielerorts die Meinung vor: Vergewaltigungen sind
       unvermeidlich. Damit muss man eben leben. Diese Naturalisierung verkennt
       die zerstörerische Dynamik von sexualisierter Gewalt in Kriegen.
       
       Wie ist Prävention möglich? 
       
       Das Aufheben der Straflosigkeit ist ein wesentlicher Punkt. Die Führungen
       in Politik und Militär müssen klarstellen, dass Vergewaltigungen
       juristische Folgen haben, für alle Täter.
       
       Sind Militärs anwesend? 
       
       Einige sind da. Aber die Sensibilisierung ist mit einem Gipfel natürlich
       nicht erledigt.
       
       Welche konkreten Maßnahmen wurden bislang diskutiert? 
       
       Im Vorfeld der Konferenz haben das britische Außenministerium und
       verschiedene ExpertInnen, darunter auch wir, einen 100-seitigen Leitfaden
       zur Ermittlung und Dokumentation von sexualisierter Gewalt erarbeitet. Die
       britische und andere Regierungen müssen sich nun daran messen lassen, ob
       sie die Leitlinien auch umsetzen. Und Überlebenden von Vergewaltigungen
       Asyl gewähren, zum Beispiel.
       
       Was sind die wichtigsten Punkte? 
       
       Dass juristische, psychologische und medizinische Hilfe miteinander
       verbunden werden. Inzwischen ist dieser ganzheitliche Ansatz Konsens. Auch
       dafür haben wir 20 Jahre gearbeitet. Leider fehlt häufig noch der
       traumasensible Ansatz: Häufig schicken Organisationen die Opfer zur
       Polizei, wo sie gedemütigt werden, manchmal auch neuerliche sexualisierte
       Gewalt erfahren. PolizistInnen, ÄrztInnen und RichterInnen müssen
       kooperieren und entsprechend geschult werden. Nur dann sind Opfer und auch
       ZeugInnen vor weiterer Gewalt und Retraumatisierung geschützt.
       
       Müssen nicht auch die Helfer und Helferinnen geschützt werden? 
       
       Der Schutz der HelferInnen und AktivistInnen wird leider noch unterschätzt
       und ist völlig unterfinanziert. Sich jeden Tag furchtbare Erfahrungen
       anzuhören, ist eine in sich verletzende Tätigkeit. Häufig leben die Helfer
       zudem in einem brutalisierten Umfeld: Erst kürzlich wurde die Nichte einer
       kongolesischen Kollegin vergewaltigt und anschließend ermordet. Die
       Kontinuität von Gewalt auch nach dem Friedensschluss muss verstanden werden
       – auch das ist entscheidend für Prävention.
       
       Das müssen Sie erklären. 
       
       Gerne wird nur auf die Gräueltaten während des Kriegs gestarrt – aber
       sexualisierte Gewalt geht auch in Nachkriegsgesellschaften weiter.
       Stichwort Peacekeaper: Sie sind häufig Teil des Problems. Gleichzeitig
       fällt es Männern in brutalisierten Gesellschaften oft schwer, Gewalt als
       Mittel der Konfliktlösung aufzugeben.
       
       In Bosnien ist es gelungen, vergewaltigten Frauen einen Veteranenstatus zu
       verschaffen, also das Recht auf Entschädigung. 
       
       Das war 2006 ein großer Erfolg.
       
       Es gibt die Kritik, dass das der Instrumentalisierung den Weg ebnete. Nach
       dem Motto: Notfalls lass ich mich vergewaltigen, um meine Familie zu
       ernähren. 
       
       Wer so etwas sagt, hat keine Ahnung. Frauen und Männer noch mehr tun sich
       so schwer damit, über ihre Erfahrungen zu sprechen, weil die
       gesellschaftliche Ächtung so massiv ist – die Sorge über Missbrauch ist
       zynisch.
       
       In Flüchtlingslagern ist Prävention viel einfacher als in Kriegsgebieten.
       Trotzdem fehlt sie. Häufig sind nicht mal die Toiletten nachts beleuchtet
       und können von Frauen nicht aufgesucht werden. Woran liegt das? 
       
       Das ist wirklich unglaublich! Es liegt an der mangelnden Sensibilisierung
       für das Thema auch bei großen Hilfsorganisationen wie dem UNHCR oder dem
       Roten Kreuz.
       
       Was war für Sie die größte Überraschung bei dem Gipfel? 
       
       Wie viel Wertschätzung den Überlebenden entgegengebracht wurde und dass sie
       ohne Scham berichten konnten. Endlich wird das Unrecht öffentlich
       anerkannt. Dieses politische Momentum ist nicht zu überschätzen! Auch dass
       die Politik sich gegenüber der Arbeit und Expertise von NGOs und
       Mitarbeiterinnen vor Ort sehr respektvoll gezeigt hat, war eine sehr schöne
       Überraschung.
       
       13 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ines Kappert
       
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