# taz.de -- Debatte Prostitution: Schöne neue Sexarbeit-Welt
       
       > Prostitution ist ein schmutziges globales Business und kein
       > Selbstverwirklichungs-Workshop. Haben Linke eigentlich vergessen, was
       > Systemkritik ist?
       
 (IMG) Bild: Wie freiwillig ist diese Arbeit? Sexarbeiterinnen in Indonesien.
       
       Sowohl innerhalb der Wertegemeinschaft der Linken als auch der Partei Die
       Linke haben sich in den letzten Monaten tiefe Gräben aufgetan. Diskutiert
       wird, ob ein Freierbestrafungsgesetz nach schwedischem Vorbild eine
       Alternative zur Legalisierung seit 2002 sein kann. Obwohl die
       ausbeuterischen und diskriminierenden Aspekte der Prostitution unübersehbar
       sind, findet sich in der Linken kein Konsens, ob Prostitution als System
       nicht vielleicht dennoch ein Ausdruck „sexueller Befreiung“ ist und als
       solches legal erhalten bleiben soll, oder ob sie aufgrund ihrer
       Unvereinbarkeit mit der Menschenwürde und ihren negativen Aspekten aus
       linker Perspektive nicht generell abzulehnen ist. Die grundsätzlich linken
       Werte der Gleichberechtigung, Solidarität und Gerechtigkeit geraten bei der
       Diskussion um „sexuelle Selbstbestimmung“ und „Freiwilligkeit“ unter die
       Räder. Kurz: Beim Thema Prostitution ist die Linke auf dem linken Auge
       blind.
       
       Es gibt in Deutschland geschätzt 400.000 Prostituierte, von denen etwa 90
       Prozent Ausländerinnen zumeist aus den ehemaligen Ostblockstaaten sind. Sie
       prostituieren sich hier für 20 Euro pro „Dienstleistung“, um horrende
       Zimmermieten aufzubringen. Sie haben keine Krankenversicherung, machen es
       oft ohne Kondom. Das bringt mehr Geld. Sie sind keine Mitglieder des immer
       wieder zitierten Berufsverbands für sexuelle und erotische
       Dienstleistungen. Verschwindet eine von ihnen, bleibt das häufig unbemerkt.
       Seit 2000 sind nachweislich 36 Prostituierte ermordet, unzählige weitere
       verletzt und vergewaltigt worden – und das sind nur die Pressemeldungen.
       
       Dort, wo Prostitution legal ist, blüht der Menschenhandel, da die Nachfrage
       nach neuen Frauen auf legalem Weg nicht gedeckt werden kann. Deutschland
       ist Zielland. Menschenhandel kann nur mit der Aussage des Opfers bewiesen
       werden, wozu kaum eine der Frauen bereit ist. Es geht um ein äußerst
       profitables Geschäft mit geringer Investition. Der Handel mit Menschen für
       Sex rangiert in der Lukrativität neben Waffen- und Drogenhandel.
       
       Diese Zwänge aus Gewalt und ökonomischer Alternativlosigkeit verteidigen
       große Teile der Linken, sowohl in der Partei als auch im linken Spektrum,
       aktuell als „Freiheit“ durch Legalität. Doch wessen „Freiheit“ wird hier
       verteidigt? Eine gesamtgesellschaftliche oder nicht eher der männliche
       Anspruch auf käuflichen Sex – der nicht selten mit der Androhung einer
       sonst steigenden Vergewaltigungsrate verbunden wird. Kurz gesagt: Nehmt ihr
       uns die „Nutten“ weg, wird es für die anderen Frauen gefährlich. Männer als
       Opfer ihrer Triebe, die eine ganze Gesellschaft in Geiselhaft nehmen.
       
       ## Was ist „freiwillig“?
       
       Hier wird eine patriarchale Bastion, ein System aus Gewalt, Ausbeutung und
       mit engen Verbindungen zum organisierten Verbrechen mit Zähnen und Klauen
       verteidigt und in schöne Worte gekleidet. Hinter der Prostitution in
       Deutschland stehen deutsche und ausländische Clans und
       Rockerorganisationen. Sie verstecken ihre Aktivitäten hinter „Stroh“männern
       und -frauen. Die Mädchen werden von einer regelrechten Industrie aus den
       Ostblockstaaten angeliefert – mit Versprechungen auf ein besseres Leben
       oder mit roher Gewalt. Es gibt dennoch viele, die sich „freiwillig“
       prostituieren.
       
       Aber was bedeutet diese „Freiwilligkeit“? Die Prostituierte „will“ den Sex
       nicht, sondern „bietet“ ihn an oder lässt ihn mit sich machen, weil davon
       ihr ökonomisches Überleben, schlicht ihre Existenz, abhängt. Wie sind
       solche Verhältnisse mit einer „gleichberechtigten“ Gesellschaft oder gar
       „sexueller Freiheit“ in Einklang zu bringen? Keiner von uns arbeitet immer
       freiwillig, aber in Sachen Sex sind wir uns einig, dass er nur dann
       stattfinden sollte, wenn beide ihn wollen. Die Prostituierte will ihn
       nicht. Sie lässt ihn nur zu, weil die Not sie dazu zwingt.
       
       Seit wann ist außerdem gerade ökonomische Alternativlosigkeit ausgerechnet
       bei den Linken ein anderes Wort für „freiwillig“? Von neoliberaler Seite
       wäre eine solche Argumentation zu erwarten – doch von Linken? Immer wieder
       fällt auch der Begriff „sexuelle Selbstbestimmung“. Eine
       9-Milliarden-Dollar-Industrie taugt aus linker Sicht plötzlich als Mittel
       zur gesamtgesellschaftlichen sexuellen Freiheit.
       
       Die Ursache für diesen Irrglauben liegt in den 1960er Jahren, als die
       Verbote gegen Prostitution und Porno tatsächlich Ausdruck eines prüden
       Moralverständnisses waren. Die heutigen „liberalen“ Gesetze versagen jedoch
       vollständig, wenn es darum geht, die Interessen und Sicherheit der sich
       prostituierenden Frauen zu schützen, sie dienen den Interessen der
       Sexindustrie. Wann, liebe Genossen, hat eine Industrie je irgendjemanden
       befreit? Hat McDonald’s für besseres Essen, für bessere Arbeitsplätze
       gesorgt? Hat Coca-Cola gesunde Trinkgewohnheiten gestärkt? Und wann hat die
       Linke vergessen, was Systemkritik ist?
       
       ## System der Unmenschlichkeit
       
       Nicht die sexuelle Selbstbestimmung wird von linken
       ProstitutionsgegnerInnen kritisiert, sondern ihr Gegenteil, denn genau das
       ist das Wesen der Prostitution. Dort bezahlen Männer Schweigegeld dafür,
       dass sie nicht auf die Bedürfnisse des anderen achten müssen und somit
       deren sexuelle Selbstbestimmung verletzen.
       
       Wie können wir unter diesen Verhältnissen von Gleichberechtigung sprechen?
       Es ist ein System der Unmenschlichkeit, und es ist die Aufgabe der Linken,
       dieses System zu benennen und es abzuschaffen, gegen alle Widerstände von
       innen und außen.
       
       Ihr linken Männer, ihr sexuell Befreiten: Entwickelt Rückgrat und zeigt,
       dass es diese Gesellschaft besser kann. Und ihr linken Frauen, die es mit
       „Ich setze mich für Frauenthemen ein“ sogar auf irgendwelche Posten
       geschafft haben – ihr verratet jede Art von Feminismus, wenn ihr das System
       Prostitution weiter am Leben erhaltet. Die aktuelle Regierung wird das
       Prostitutionsgesetz „verschärfen“ – doch nur ein Verbot des Sexkaufs kann
       ein gesellschaftliches Umdenken bewirken, wie in Schweden und Norwegen
       deutlich zu erkennen ist. Ja, liebe Genossen, wir nehmen euch die „Nutten“
       weg. Aber wir geben euch etwas dafür zurück. Eine freie und gerechte
       Gesellschaft mit echter sexueller Selbstbestimmung und Freiheit für beide
       Geschlechter.
       
       29 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mira Sigel
       
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