# taz.de -- Sprache und Rassismus: Reden wir endlich über „Räiß“!
       
       > Kann man von „Rassenunruhen“ in Ferguson sprechen? Die Ereignisse dort
       > haben offengelegt, wie ungehobelt die deutsche Sprache ist.
       
 (IMG) Bild: Wir reden von Sterbehilfe und Abschiebungen, ohne Nazi-Wörter zu verwenden – wir können auch über „race“ sprechen
       
       Wir müssen wieder über Rassen sprechen. Die Ereignisse in Ferguson haben
       uns das beschert. Waren das Rassenunruhen? Und was sagen sie über
       Rassenbeziehungen aus? Bei Diskussionen über „race relations“ haben wir nur
       dieses Wort, besudelt von den Nazis, als hätte es 70 Jahre Nachkriegszeit
       nicht gegeben. Eine Verständigung darüber, wie wir über Rassismus sprechen
       wollen, täte gut, denn den gibt es nicht nur in Ferguson, sondern auch in
       Deutschland. Und um über Rassismus sprechen zu können, müssen wir auch über
       Rasse sprechen. Oder besser: über race. Räiß. 
       
       Das Wort „race“ einfach mit „Rasse“ zu übersetzen geht nicht, denn im
       Deutschen hat dieses Wort nicht denselben Bedeutungswandel durchlebt.
       Menschenrassen im Sinne einer zoologischen Taxonomie gibt es nicht, aber
       Menschen, Institutionen und Staaten behandeln andere Menschen, als gäbe es
       sie. Darüber müssen wir sprechen können. Auf Englisch tut man das mit
       „race“, was nichts anderes bedeutet als „willkürlich zusammengestellte
       Menschengruppen, die behandelt werden, als seien sie eine Rasse“. Es ist
       eine politische Kategorie.
       
       Dieses Vokabular brauchen wir auch auf Deutsch, denn race wird auch hier
       tagtäglich verhandelt. Wenn die NPD den Slogan „Deutsche helfen Deutschen“
       verwendet, meint sie damit selbstverständlich nur weiße Deutsche – wenn die
       taz ironisierend [1][dazu titelt „Bratwurst nur für Deutsche“], übernimmt
       sie diese Gleichsetzung von weiß und deutsch. Wenn Unionspolitiker [2][von
       „Deutschenfeindlichkeit“ faseln], ist das Täter-Opfer-Schema
       unausgesprochen deutlich: nichtweiße deutsche Jugendliche mobben weiße
       deutsche Jugendliche. „Deutsch“ ist „weiß“.
       
       Diese Gleichsetzung hat ihre Weiterführung im Scheingegensatz
       „deutsch/Migrant“, mit dem JournalistInnen verkrampft versuchen, über race
       zu sprechen. Nur in den seltensten Fällen geht es wirklich um Migration;
       meist sind es nur schlecht formulierte Stellvertreter für „Weiße“ und
       „Nichtweiße“.
       
       Wenn taz-Chefredakteurin Ines Pohl [3][eine Migrantenquote fordert], sind
       damit auch weiße Deutsche mit einem österreichischen Elternteil gemeint?
       Vermutlich nicht. Absurd wird es, wenn Spiegel Online unseren Krampf wieder
       in die USA exportiert und in einem [4][Bericht über weiße Kinder] in
       US-Schulen diese als „Kinder ohne Migrationshintergrund“ beschreibt.
       
       ## Pauschalisierungen sind überall
       
       Die Angst vor den Nazis und ihrer Wortwahl hat uns unfähig gemacht, über
       Probleme zu sprechen, die weitaus aktueller sind. Wir müssen darüber
       sprechen können, welche Privilegien weiße Deutsche haben und welchen
       Anfeindungen Afrodeutsche ausgesetzt sind. Wir müssen darüber sprechen,
       dass Türkischdeutsche und Arabischdeutsche oft in eine Gruppe rassifiziert
       werden, ihnen trotz aller Vielfalt pauschal zugeschrieben wird, MuslimInnen
       zu sein und – im ausgedachten Gegensatz etwa zu Vietnamesischdeutschen –
       unterstellt wird, „schlecht integriert“ zu sein.
       
       Rassistische Pauschalisierungen sind überall. Die Diskussion täte auch dem
       Deutschsein gut, denn „deutsch“ als rassistische Kategorie ist mindestens
       so alt wie der Slogan „Deutsche, kauft nicht bei Juden“.
       
       Dass die Nazis das Wort „Rasse“ besetzt haben, muss kein Hindernis sein.
       Wir schaffen es über Sterbehilfe – im Englischen „euthanasia“ – zu
       sprechen, ohne das Nazi-Wort „Euthanasie“ zu verwenden. Wir sprechen über
       Abschiebungen – auf Englisch „deportations“ – ohne gleich an den Holocaust
       zu erinnern.
       
       Wir können auch über race sprechen, oder wie wir es zuletzt am Rande einer
       Sitzung eindeutschten: über Räiß. Angesichts der Mühe, die wir uns sonst
       geben, einfach alles falsch zu machen, ist das vielleicht nicht die
       schlechteste Übersetzung.
       
       4 Sep 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /!dit=2014-08-26-a0042/
 (DIR) [2] http://youtu.be/4jZqUIQ_o5w?t=1m18s
 (DIR) [3] http://derstandard.at/1381369023878/taz-peilt-Migranten-Quote-an
 (DIR) [4] http://www.spiegel.de/schulspiegel/ausland/weisse-schueler-an-us-schulen-erstmals-in-der-minderheit-a-986162.html
       
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