# taz.de -- Auf den Spuren der Gegenkultur: Vergilbte Geschichte von unten
       
       > Im Archiv der sozialen Bewegungen lagern Tausende linke Bücher,
       > Flugblätter, Videos. Eine Sammlung, für die sich mittlerweile selbst das
       > Übersee-Museum interessiert.
       
 (IMG) Bild: Alte Ideen für neue Gesellschaftsformen: das "Archiv der sozialen Bewegungen" im Keller des Infoladens.
       
       Aus den Regalen riecht es muffig, zwischen den grauen Kartons, die sich auf
       dem Boden stapeln, sammelt sich der Staub – wenn auch viel weniger, als man
       vielleicht erwartet. 6.000 Bücher lagern im Keller des Infoladens in der
       Sankt-Pauli-Straße, hier im „Archiv der sozialen Bewegungen“.
       
       Dazu 1.400 Zeitschriften, Broschüren und Flugblätter aus der Geschichte
       linker Vielschreiberei – aufbewahrt „von der Bewegung für die Bewegung“,
       sagt Bernd Hüttner, der das Archiv gegründet hat und seitdem betreut.
       
       Primärquellen bewegungsinterner Kommunikation gibt es hier unten kaum.
       Stattdessen das, was in der Bibliothekswissenschaft „graue Literatur“
       heißt: Schriften, die nie über den regulären Buchhandel erhältlich waren.
       „Die Grenzen zwischen szeneinterner Debatte und Erklärungen nach außen sind
       oft fließend“, sagt Hüttner.
       
       Am Beginn der Sammlung standen die Dokumente der „Bremer
       BürgerInneninitiative gegen Atomanlagen“ und des autonomen
       „Umschlagplatzes“, die sich 1999 zum Infoladen Bremen zusammengeschlossen
       hatten. Inzwischen allerdings wird weit über die Themen „Anti-AKW“ und
       „Antifa“ hinaus archiviert.
       
       Konserviert sind Zeugnisse bewegter Zeiten: Die Publikationen maoistischer
       K-Gruppen werden derzeit sogar vom Übersee-Museum gesichtet, um eine
       Ausstellung über den großen Kulturrevolutionär und seine deutschen Fans zu
       flankieren. Aber auch, wo nicht historisiert, Geschichte also nicht als
       abgeschlossen verhandelt wird, liegt ein Erkenntnisgewinn.
       
       Ohne mit Marx gleich die gesamte Historie als „die Geschichte von
       Klassenkämpfen“ zu begreifen, ist unübersehbar, wie linke „Schlachten“ die
       Gegenwart bestimmen: Vom heutigen Ostertor-Viertel ohne Mozarttrasse bis
       hin zum Atomausstieg.
       
       An welcher Stelle Kämpfe verloren und Traditionen abgebrochen wurden, lässt
       sich hier nachvollziehen: Chancen für eine Linke, nicht mit jeder neuen
       Generation wieder von vorn anzufangen.
       
       Mit einem schnellen Griff ins Regal ist es allerdings nicht getan. Hüttner
       und seine beiden Mitarchivare kommen schon mit bloßer Sichtung des
       Materials kaum hinterher – in einem Nebenraum stapeln sich die Neuzugänge.
       Gerade erst hat das Archiv den Nachlass des Frauenzentrums Mafalda
       übernommen – auch so ein Stück abgerissener Bewegungsgeschichte.
       
       So spricht Hüttner als Archivar, und nicht etwa als Philosoph, über
       Probleme der Aufhebung: Die Zeitschriften sind zwar in Kästen einigermaßen
       geschützt, aber dennoch sei die Kellerluft eigentlich zu feucht. Einen
       Lufttrockner gab es mal, wegen der hohen Energiekosten wurde er aber wieder
       abgebaut. Das Archiv hat keinen Sponsor, der dafür die Rechnung übernähme.
       Auch die Mitarbeiter ermöglichen die Nutzung des Archivs ehrenamtlich.
       
       Ungefähr zweimal im Monat kommen Studierende zur Recherche über linke
       Bewegungen – oder Polit-Gruppen, die sich beispielsweise über vergangene
       Nazi-Aktivitäten informieren. „Oft bleibt es allerdings bei der Anfrage“,
       so Hüttner. Wenn jemand „mal eben alles über Rassismus für ein Referat am
       Freitag“ sucht, habe er hier unten keine Chance. Auch weil die Erschließung
       des Materials das nicht hergibt. Wer sich aber beispielsweise für die
       K-Gruppen-Sektierereien seiner Bürgerschaftsabgeordneten interessiert, wird
       hier sicher fündig.
       
       Brisanter wird es aber auch nicht: Fast das gesamte Material stammt aus
       öffentlich zugänglichen Quellen und dürfte Ermittlungsbehörden kaum noch
       aufregen. Obwohl eine drohende Repression für eine Institution der linken
       Szene natürlich eine Rolle spielt, wird nichts versteckt. Als private
       Einrichtung unterliegt sie zwar nicht dem Archivgesetz, das freien Zugang
       vorschreibt, bisher aber durfte hier jeder recherchieren.
       
       Die Bewegung von heute greift ohnehin immer weniger auf Papiermedien zurück
       und ist den vergilbten Broschüren wohl ähnlich fern wie den 200
       VHS-Kassetten, die im Archiv lagern. „Natürlich wäre es schön, das
       gesammelte Material zu digitalisieren“, sagt Hüttner. Mit den gegenwärtigen
       Mitteln sei daran allerdings nicht zu denken.
       
       19 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan-Paul Koopmann
       
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