# taz.de -- Hinter den Kulissen: Weniger Demokratie wagen
       
       > Ver.di will einen Volksentscheid zur Rekommunalisierung der Bremer
       > Müllabfuhr. Der rot-grüne Senat arbeitet hinter den Kulissen fieberhaft
       > an der Verhinderung.
       
 (IMG) Bild: Manchmal mögen die Grünen Volksentscheide - aber offenbar nicht immer ...
       
       BREMEN taz | „Mehr Demokratie und Bürgerbeteiligung“ haben die SPD und die
       Grünen in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen. „Die Kultur der
       Bürgerbeteiligung soll auf allen Ebenen gefördert werden“, heißt es da.
       Insbesondere wenn Unternehmen der Daseinsvorsorge privatisiert werden, dann
       „muss“ darüber ein Volksentscheid stattfinden, wurde in die
       Landesverfassung geschrieben.
       
       Seit dem Beginn der Koalition 2011 gab es kein Volksbegehren. Nun hat die
       Gewerkschaft Ver.di zum Jahresbeginn angekündigt, dass sie die
       Rekommunalisierung der Müllabfuhr fordert – und notfalls per Volksentscheid
       durchsetzen will. Wer nun gedacht hat, die beiden Koalitionspartner hätten
       das begrüßt als Chance, endlich einmal ein praktisches Beispiel für
       Bürgerbeteiligung zu finden, der irrt. Seit Monaten arbeitet die Koalition
       hinter den Kulissen fieberhaft an der Frage, wie ein Volksentscheid
       vermieden werden kann.
       
       „Je mehr Menschen sich an Entscheidungen beteiligen und diese miteinander
       diskutieren, desto höher ist in aller Regel die Chance, gute Ergebnisse zu
       erzielen“, heißt es in der Koalitionsvereinbarung. Mittlerweile scheint die
       rot-grüne Koalition vom Gegenteil überzeugt zu sein.
       
       Senatsintern ist seit Juni klar, dass der Senat eine
       Minderheits-„Beteiligung“ an einem privaten Modell der Müllentsorgung will,
       aber keine Rekommunalisierung. Man traut es sich nicht zu, die Müllabfuhr
       so effizient zu organisieren wie die private Firma Nehlsen. Die Forderung
       der Gewerkschaft Ver.di soll abgelehnt werden.
       
       Das kann schon mit dem formalen Argument passieren, dass es in der Kommune
       Bremen gar keine Rechtsgrundlage für die von Ver.di geforderte Gründung
       einer „Anstalt öffentlichen Rechts“ (AÖR) gibt. „Eine Gesetzeslücke“, räumt
       der Grünen-Abgeordnete Hermann Kuhn ein. Nur wenn diese Gesetzeslücke
       geschlossen wird, kann ein Volksbegehren zur Rekommunalisierung in Gang
       kommen. So sammelte Ver.di im Sommer Unterschriften, um erst einmal diese
       Gesetzeslücke zu schließen.
       
       Eine Volksabstimmung darüber könnte im Herbst 2015 stattfinden, hat die
       Senatsverwaltung in einem internen Papier einmal dargestellt. Danach wäre
       es für ein substantielles Volksbegehren zur Rekommunalisierung schlicht zu
       spät.
       
       Aufgrund der Ver.di-Initiative wird das Thema „Volksentscheid für ein
       Gesetz zur Gründung einer AÖR“ im Oktober vermutlich auf die Tagesordnung
       der Bürgerschaft kommen. Wir werden SPD und Grüne sich dann verhalten? „Wir
       haben das bisher nicht beraten“, sagt Arno Gottschalk, unter anderem für
       Müll zuständiger Politiker der SPD. Klar ist: Wenn der Antrag im Oktober in
       die Ausschüsse überwiesen wird, passiert bis zum Ende des Jahres wieder
       nichts.
       
       Sehr aktiv war der rot-grüne Senat dagegen in einer anderen Frage: Die 300
       ehemaligen kommunalen Müllwerker der ENO, die 1998 mit der ENO an Nehlsen
       verkauft wurden, haben ein Rückkehrrecht in den öffentlichen Dienst, wenn
       ein Bieter ohne ENO das günstigste Angebot bei der erforderlichen
       europaweiten Ausschreibung macht. Intensive interne Beratungen gab es um
       die Frage, wie man das vermeiden kann. Das Ergebnis: Der Senat muss die ENO
       zurückkaufen, um ihren Verkauf dann mit dem Entsorgungsauftrag zusammen
       ausschreiben zu können.
       
       Doch droht dann nicht eine Volksabstimmung? Nein, so konnte der
       Justizsenator in einem internen Vermerk Entwarnung geben: Wenn der Senat
       eine Firma nur für einen kurzen Moment übernimmt, um sie in eine
       Privatisierung einbringen zu können, dann handelt es sich um einen
       „Durchgangserwerb“, für den die Verfassungsbestimmungen der
       Privatisierungsbremse“ nicht zwingend sind.
       
       Hermann Kuhn hat dafür gestritten, dass das Quorum für Volksentscheide
       gesenkt wird. Und nun, konkret? Er immerhin ist dafür, dass die formale
       Hürde „AÖR-Gründung“ von der Koalition beseitigt wird, sagt er auf
       Nachfrage – seine persönliche Meinung. Öffentlich diskutiert und offiziell
       beraten hat die Koalition das Thema bisher nicht. Es geht dabei um die
       Frage, ob es überhaupt in dieser Legislaturperiode zu einem Fall von
       Volksentscheid kommen kann. „Wir haben doch für eine lebendige Praxis
       gestritten“, sagt Dirk Schumacher von der Initiative „Mehr Demokratie“,
       „und nicht für schöneres graues Papier.“
       
       11 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Wolschner
       
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