# taz.de -- Reform des Strafgesetzbuches: Gesellschaft ohne Mord
       
       > War es Mord? Oder Totschlag? Diese Frage klingt nicht nur aus Krimis
       > vertraut. 2015 soll der Mordparagraf reformiert werden. Er ist ein
       > Nazi-Relikt.
       
 (IMG) Bild: Die Vermessung des Verbrechens: Was macht jemanden zum Mörder? Grausamkeit ist eins der Kriterien des Mordparagrafen.
       
       Für die Nazis waren Mörder immer andere. So genau wussten sie, wie diese
       Menschen sind, die erstechen, erschießen und erdrosseln, dass sie es ins
       Gesetz schrieben: Unter Roland Freisler, dem Präsidenten des
       Volksgerichtshofes im Dritten Reich, wurde 1941 der Mordparagraf geändert.
       Fortan wurde mit ihm keine Tat mehr verurteilt, wie das sonst üblich ist –
       sondern der Täter. „Mörder ist“, heißt es in Paragraf 211, „wer aus
       Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst
       aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit
       gemeingefährlichen Mitteln […] einen Menschen tötet“. Und Totschläger,
       folgerte man in Paragraf 212, „wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu
       sein“.
       
       Eigentlich ist es verwunderlich, dass man diesen Satz noch so im
       Strafgesetzbuch lesen kann. Änderungen wurden immer wieder verlangt, „schon
       vor 30 Jahren hat der Deutsche Juristentag eine Reform angemahnt“, schreibt
       Justizminister Heiko Maas der taz.am wochenende. Geplant ist sie aber erst
       für nächstes Jahr.
       
       Maas ließ eine Expertengruppe aus 16 Juristen, Kriminologen und Psychiatern
       einrichten, die unter anderem darüber berät, die Begriffe „Mord und
       „Totschlag“ zu streichen – und durch „Tötung“ zu ersetzen. Richtern, die
       sich mit der Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag oft schwer tun und
       sich verrenken müssen für ein faires Strafmaß, würde damit die
       Rechtssprechung erleichtert. Der Nazijargon könnte entfallen. Und mit ihm
       jene umstrittenen Mordmerkmale, wie Habgier oder Heimtücke.
       
       „Das Hauptproblem aus meiner Sicht“, schreibt Maas, „ist jedoch die
       zwingende Folge der lebenslangen Freiheitsstrafe, wenn ein im Gesetz
       normiertes Mordmerkmal verwirklicht wurde.“ Mord bedeutet „Lebenslänglich“,
       eine Höchststrafe, an der viele festhalten wollen. Als der Justizminister
       in dieser Woche in der Talkshow von Sandra Maischberger auftrat, wo seine
       Reform diskutiert wurde, musste er sich regelrecht rechfertigen. Was, wenn
       es keine Mordmerkmale mehr gibt – womit begründet man dann eine „Tötung“?
       Tauchen „Mordlust“ oder „gemeingefährliche Mittel“ im Laufe einer
       Verhandlung nicht automatisch wieder auf, vielleicht nur anders benannt?
       
       Wie bringt man einer Gesellschaft bei, dass es keinen Mord mehr gibt?
       
       ## Heimtücke als „Mordmerkmal der Schwachen“
       
       Die Titelgeschichte „Wie kein Mensch“ der [1][taz.am wochenende vom 18./19.
       Oktober] handelt vom Fall einer Frau, die mit dem Hammer auf ihren
       schlafenden Mann einschlug. Und ihn dann ins Krankenhaus fuhr. Sie erzählt
       vom Gerichtsprozess in Leipzig, vom Opfer, das nach der Nacht zwei Jahre
       lang schwieg, vom Anwalt, der sagt, „zum ersten Mal war ich hilflos bei
       einem Fall“ - und von der Täterin. Sie wurde zu acht Jahren Freiheitsstrafe
       verurteilt. Wegen versuchten Mordes.
       
       Es war versuchter Totschlag, meinte der Verteidiger.
       
       Geradezu ein Paradebeispiel für Heimtücke, sagte die Staatsanwältin.
       
       Heimtücke gilt als „Mordmerkmal der Schwachen“ und damit statistisch
       gesehen als das der Frauen. Der cholerische Ehemann, der im Streit
       ausrastet und seine Frau tot schlägt, sitzt in der Regel kürzer in Haft als
       die über Jahre gepeinigte Ehefrau, die ihren Mann vergiftet? Heimtücke ist
       eines der Worte, das bei Maas Justizreform wahrscheinlich gestrichen wird.
       
       Was meinen Sie? Braucht es Begriffe wie Mord und „lebenslänglich“ noch? Und
       wenn ja: wozu? Zur Abschreckung? Für den „Tatort“? Was muss sich an den
       Gesetzen ändern? Und was sagt unser Umgang mit Mördern über unsere
       Gesellschaft? 
       
       Diskutieren Sie mit!
       
       Die Titelgeschichte „Wie kein Mensch“ lesen Sie in der [2][taz.am
       wochenende vom 18./19. Oktober].
       
       17 Oct 2014
       
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