# taz.de -- Kommentar Rot-Rot-Grün in Thüringen: Das Ende der linken Selbstfesselung
       
       > Rot-Rot-Grün in Thüringen wäre kein wildes Experiment. Die
       > SPD-Entscheidung ist ein Sieg der Gegenwart über die lähmende
       > Vergangenheit.
       
 (IMG) Bild: Thüringens SPD-Führung hat sich für Rot-Rot-Grün ausgesprochen: der designierte Landeschef Andreas Bausewein am Montag in Erfurt
       
       Es gibt, sollte Bodo Ramelow wirklich Ministerpräsident in Thüringen
       werden, zwei mögliche Deutungen – eine kleine, detaillierte und eine
       großformatige. Die Kleinteilige geht so:
       
       Faktisch sind die Unterschiede zwischen CDU, SPD und Linkspartei in
       Thüringen denkbar gering geworden. Ob bei der Energiewende oder dem Kampf
       gegen Nazis, in der Schulpolitik oder bei den Finanzen – fundamentale
       Differenzen sind, anders als noch vor zehn Jahren, nicht mehr erkennbar.
       Die CDU ist unter Christine Lieberknecht liberaler, offener, auch wirrer
       geworden und jedenfalls nicht mehr der autokratische Verein, der sie unter
       Bernhard Vogel und Dieter Althaus war.
       
       Auf der anderen Seite ist die Linkspartei bis in ihre Mikrofasern hinein
       sozialdemokratisch eingefärbt. Hinzu kommt die Schuldenbremse, die die
       Spielräume für ganz Neues in der Landespolitik ohnehin radikal einschränkt.
       Aber nicht die Schuldenbremse hat Ramelow und die Linkspartei zu Realos
       geformt. Es war nicht äußerer Zwang, sondern innere Überzeugung.
       
       Rot-Rot-Grün wird also kein wildes Experiment. Ramelow ist kein
       verkleideter Sozialromantiker, sondern ein pragmatischer Profi, für den
       nicht das Grundsatzprogramm der Linkspartei zählt, sondern die Prinzipien
       von good governance. Gewiss werden nun ein paar schreckliche
       Prophezeihungen ausgestoßen und der Marsch der Linkspartei an die Macht in
       dunklen Farben gemalt. Hat Wolf Biermann eigentlich schon seine warnende
       Stimme erhoben?
       
       Doch schon ein paar Wochen nach der Wahl von Ramelow zum
       Ministerpräsidenten werden auch die Aufgeregten merken, dass die Busse in
       Erfurt noch immer fahren. Und in Berlin wird das Interesse für Thüringen
       wieder auf den Stand vor Rot-Rot-Grün sinken: nämlich auf null.
       
       ## Vom GroKo-Zwang befreit
       
       Die zweite Deutung klingt so: Rot-Rot-Grün, bisher in Hessen und im
       Saarland stets tragisch gescheitert, kann eine Tiefenwirkung entfalten, die
       die bundesrepublikanische Koalitionsdramaturgie verändern wird. Denn die
       SPD hat in Erfurt eine historische Entscheidung getroffen. Sie gibt die
       törichte Doktrin auf, stets die führende linke Volkspartei zu sein.
       
       Damit öffnet sie endlich die Tür für ein langfristiges Mitte-links-Bündnis
       und befreit sich von dem Zwang zur Großen Koalition. Die Entscheidung der
       SPD in Erfurt ist, 25 Jahre nach dem Mauerfall, somit der Sieg der
       Gegenwart über die lähmende Geschichte, der Beginn des Endes der
       Selbstfesselung der politischen Linken in Deutschland.
       
       Falls Rot-Rot-Grün in Erfurt sogar mit nur einer Stimme Mehrheit stabil
       regieren kann, wird dies viele der noch immer tiefsitzenden Vorurteile
       gegenüber der Linkspartei zerstäuben. Damit öffnen sich automatisch neue
       Spielräume, die jetzt noch verbarrikadiert scheinen.
       
       ## Begrenzte Strahlkraft
       
       Was ist wahr? Der nüchterne Blick aus der Provinz oder der
       hoffnungsschwangere aus Berlin? Wahrscheinlich der erste. Wir leben in
       einer Ära des Postpolitischen, in dem das meiste pragmatisch
       heruntergedimmt ist. Wer sich kurz vor Augen führt, was die Linkspartei in
       Berlin und Brandenburg in rot-roten Koalitionen bewirkt hat, weiß, wie
       begrenzt die bundespolitische Strahlkraft solcher Regierungsbeteiligungen
       ist.
       
       Die SPD hat sich in Erfurt auch weniger für Ramelow entschieden als gegen
       die Rolle, sich zum dritten Mal als Mehrheitsbeschaffer der CDU zu
       verdingen. Sehenden Auges ins politische Nichts zu marschieren, wäre ein
       Indiz für masochistische Lernunfähigkeit gewesen.
       
       Es gibt für Rot-Rot-Grün also vernünftige, pragmatische Gründe. Diese
       Koalition ist ein Versuch wert. Nicht so sehr, weil Thüringen nun von einem
       Feuerwerk von Ideen erleuchtet werden wird und ein mitreißender Aufbruch
       ins Neue bevorsteht. Sondern weil die CDU nach 25 Jahren an der Regierung
       schlicht verbraucht ist. Vor allem Dieter Althaus' Plan, das Land als
       Niedriglohngebiet zu verramschen, war fatal. Die CDU trägt die politische
       Verantwortung für das Agieren des Verfassungsschutzes in dem NSU-Skandal
       und damit für eine Verstrickung von staatlichen Organen und Terrorismus,
       die aus der Fantasie von Anhängern von Verschwörungsthesen stammen könnte.
       
       Dass Rot-Rot-Grün nun die V-Leute im Naziumfeld abschalten will, ist
       richtig und überfällig. Vor dem Abgrund des NSU-Skandals erscheinen die
       mannigfachen Affären und Personalquerelen der Regierung Lieberknecht fast
       als Marginalien. Sie sind noch ein weiteres Signal, dass 25 Jahre genug
       sind. Für die Demokratie ist es schlicht schädlich, wenn eine ausgelaugte,
       machtsatte Partei ein Abonnement auf die Regierung hat – nur weil die
       Opposition sich selbst hemmt.
       
       ## Und wenn Rot-Rot-Grün scheitert?
       
       Die Grünen werden in drei Tagen Ja zu Rot-Rot-Grün sagen. Es gibt wenig
       Zweifel, dass auch die SPD-Basis Rot-Rot-Grün durchwinken wird. Das
       Entscheidende passiert, wenn im Landtag in Erfurt die Wahl von Bodo Ramelow
       ansteht. Für das demokratische Prozedere wäre es gut zu wissen, was
       geschieht, wenn die rot-rot-grüne Regierungsbildung scheitert. Halten es
       sich die Grünen und die SPD in diesem Fall offen, den Staatsnotstand
       auszurufen und doch Mehrheitsbeschaffer für eine von der CDU geführte
       Regierung zu werden?
       
       Diese Frage ist keine Nebensächlichkeit. Falls dies möglich ist, dürfte es
       für zögernde Abgeordnete weit verlockender sein, Ramelow nicht zu wählen.
       Sie riskieren dann ja ihr Mandat nicht. Und falls sie den Grünen und der
       SPD angehören, katapultieren sie ihre Fraktionen auch nicht auf die
       Oppositionsbänke.
       
       Dieses Verfahren ist formal legitim – aber es ist nicht fair. Die
       Entscheidung für Rot-Rot-Grün ist in einem transparenten Prozess gefallen.
       Sie würde dann in einer geheimem Abstimmung gekippt, mit dem Kalkül, so
       einer anderen Koalition an die Macht zu verhelfen. SPD, CDU und Grüne aber
       haben noch nicht mal miteinander sondiert – die Grünen wollten nicht.
       
       Vor allem auf die Grünen würde im Falle einer CDU-SPD-Grünen-Koalition der
       Verdacht fallen, von Beginn an ein doppelbödiges Spiel getrieben zu haben:
       nämlich stets entschlossen die Abwahl der CDU gefordert zu haben, und im
       Hinterkopf den Plan B gehabt zu haben. Deshalb ist es redlich, die
       Alternative klar zu benennen: Falls Rot-Rot-Grün misslingt, gibt es
       Neuwahlen.
       
       Mal sehen, ob sich die Grünen dazu durchringen.
       
       21 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
       
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