# taz.de -- Weltklimakonferenz in Lima: Auf dem Trockenen
       
       > Peru will den Klimaschutz populär machen. Besonders die Hauptstadt Lima
       > leidet unter Wasserarmut. Da helfen auch „Nebelfänger“ nichts.
       
 (IMG) Bild: Ernte dank „Nebelfängern“: Maria Teresa Avalos mit einem Kürbis aus ihrem Garten in Lima
       
       LIMA taz | Die Armut kann man riechen. Ein beißender Gestank von brennendem
       Plastik zieht über die staubige Piste, die sich auf den Hügel von Pamplona
       Alta windet. Das Taxi ächzt im ersten Gang durch Sand und über Steine,
       vorbei an Hütten aus Pappe, Wellblech und unverputzten Ziegeln. Neben der
       Straße hocken vier junge Männer, die alte Elektrogeräte ausschlachten und
       dabei das überflüssige Plastik abfackeln. Ein Stück weiter oben türmen sich
       aufgerissene schwarze Müllsäcke am Straßenrand, in denen drei struppige
       braune Hunde nach Essbarem schnüffeln. Unterwegs im Süden der peruanischen
       Hauptstadt Lima, hier leben die Armen.
       
       „Das sind keine Armenviertel!“, ruft Alois Kennerknecht aufgebracht auf der
       Rückbank des Autos. „Schauen Sie doch mal hin: Die Leute sind sauber
       gekleidet, die haben alle Arbeit.“ Tatsächlich, in manchen Gegenden sind
       aus den Hütten feste Häuser geworden, mit Strom, Gas und fließendem Wasser,
       Kühlschrank und Fernseher. Es gibt kleine Geschäfte, eine Privatschule und
       eine Kita, eine Gesundheitsstation.
       
       Kennerknecht lebt seit 25 Jahren in Lima und hat Ministerien und
       Hilfsorganisationen auch bei landwirtschaftlichen Projekten in Äthiopien,
       Madagaskar, Haiti und Paraguay beraten. Dabei hat er gelernt, den
       mitleidigen Spendern und den beamteten Armutsbekämpfern zu misstrauen. „Wer
       den Leuten Geld gibt, macht sie unmündig und passiv“, schimpft er. „Oft
       verfallen Projekte, weil man auf die nächste Überweisung wartet.“
       
       Hier in den „Lomas“, den knochentrockenen Hügeln südlich der Hauptstadt,
       nennen sie den 70-jährigen Allgäuer nur „den Irren“. Denn der drahtige
       Helfer will, dass die Menschen selbst aktiv werden. Armut zu bekämpfen
       bedeutet für ihn, den Menschen Rechte statt Geld zu geben. Das ist nicht
       einfach in einer Kultur, wo sich Arme und Reiche darin eingerichtet haben,
       Almosen zu geben oder zu empfangen und wo Spekulanten damit die Umwelt
       ruinieren. Seine Touren durch die Vororte stehen inzwischen in drei
       Reiseführern, sagt er. Als „Touren durch die Armenviertel“, was
       Kennerknecht aufregt. Ihn regt ziemlich viel auf.
       
       ## Wasser, oft dreckig und ungesund
       
       Zum Beispiel dieser Wassertruck dort, der sich mit einem runden blauen Tank
       schwankend die staubige Piste hinaufquält. Die Wasserleitungen enden weiter
       unten, das Wasser wird angeliefert. Ein Arbeiter springt mit einem Schlauch
       vom Wagen, kassiert eine Gebühr und spritzt das Wasser aus einem dicken
       Schlauch in eine vor den Hütten bereitstehende Tonne. Wer nicht viel hat,
       zahlt drauf: Das Wasser, oft dreckig und ungesund, kostet zehnmal so viel
       wie aus der Leitung.
       
       Zehn Kilometer weiter nördlich erfrischen erstklassige Wasserspender gratis
       die Delegierten der Klimakonferenz. Die ist wie immer auch ein Tauziehen um
       den Reichtum von morgen. Spätestens seit die damalige indische
       Ministerpräsidentin Indira Gandhi bei der ersten globalen Umweltkonferenz
       in Stockholm 1972 sagte, Armut sei der größte Verschmutzer, wird
       debattiert: Wie können die „unterentwickelten“ Länder der Armut entkommen,
       ohne die Welt damit direkt in die Klimakatastrophe zu steuern? Solange es
       darauf keine Antwort gibt, scheitern alle Klimakonferenzen.
       
       ## Eine Stadt in der Wüste
       
       Peru versucht ein paar Antworten. Gleich neben der offiziellen UN-Konferenz
       haben die Gastgeber auf der Galopprennbahn des „Lima Jockey Club“ die
       Ausstellung „Voces Por El Clima“ aus dem sandigen Boden gestampft. Auf dem
       weiten Geläuf ziehen unter der stechenden Sonne Jockeys ihre Runden. In den
       Ausstellungshallen warten Freiwillige darauf, dem Besucher die Vorzüge des
       öffentlichen Nahverkehrs oder der Energieeffizienz beizubringen; Firmen
       preisen den Toyota Prius oder den elektrischen Händetrockner als Lösungen
       an. Auf dem Boden liegt Kunstrasen.
       
       Die „Lomas“ wirken von hier durch den dunstigen Smog wie eine Fata Morgana.
       Aber Alberto Barandiarán ist kein Träumer. Der massige Berater des
       peruanischen Umweltministers erscheint im fein gestreiften Hemd, er
       schwitzt schon am Morgen, aber er hat noch viel vor: Der ganze Tag ist voll
       mit einem Programm zur „nachhaltigen Stadt“, Barandiarán wird reden und
       zuhören und Hände schütteln. Er hat eine Hoffnung: In Peru soll von der
       Klimakonferenz eine Bewegung ausgehen, die Umweltschutz populär macht.
       
       Aber blickt man auf die Schautafeln, dann ist klar: Wenn es einen
       Gegenentwurf zur „nachhaltigen Stadt“ gibt, dann ist das Lima. Neun
       Millionen Menschen an einem Ort, wo es kein Wasser gibt, kaum Grün in der
       Stadt, ein ewiges Verkehrschaos, eine Müllabfuhr nach dem Zufallsprinzip,
       und niemand, der sich an Regeln hält. An Umweltregeln schon gar nicht.
       
       „Wir haben sehr gute Regeln. Wir müssen sie jetzt umsetzen“, sagt
       Barandiarán und lockert seine Krawatte. Zehn Grundsätze zu Verkehr,
       Energie, sicherer Ernährung, Wasser oder Küstenschutz hat die Regierung
       aufgestellt, es soll ein „vor und nach der Klimakonferenz“ geben. Peru ist
       eines der artenreichsten Länder der Welt und gleichzeitig eines der am
       meisten verwundbaren im Klimawandel. „Wir verlieren unsere Gletscher, der
       Regen fällt unregelmäßiger. Die Leute machen sich Sorgen“, sagt der
       Berater. „Aber noch mehr Sorgen machen sie sich darüber, was sie morgen
       essen werden.“
       
       ## Ein gigantischer Tunnel bringt Wasser
       
       Und vor allem trinken. Lima liegt in der Wüste. Jedes Jahr fällt hier etwa
       ein Zentimeter Niederschlag. An Deutschlands trockenstem Ort ist es das
       Vierzigfache. Es gibt noch eine andere Megacity ohne Regen: Aber Kairo mit
       seinen 16 Millionen Menschen hat den Nil, der pro Sekunde 3.500 Kubikmeter
       Wasser vorbeiträgt. Lima hat den Rimac. Der liefert 30 Kubikmeter. Und das
       auch nur im jährlichen Durchschnitt. Jetzt im sommerlichen Dezember
       plätschert ein knöchelhohes Bächlein im Norden der Stadt durch ein
       Flussbett voller Plastiktüten, alter Schuhe und PET-Flaschen. Die Stadt ist
       nur deshalb noch nicht verdurstet, weil ein gigantischer Tunnel Wasser von
       der anderen Andenseite bringt und die Grundwasserreserven angezapft werden.
       Bis 2050 wird das Angebot an Wasser um 13 Prozent zurückgehen, warnen
       Experten.
       
       Die Wasserarmut hat Ursachen. Das kostbare Nass wird in Gärten und Parks
       verschwendet. Die Preise sind lächerlich niedrig, die Industrie kann das
       Wasser unkontrolliert abpumpen und jeder dritte Liter versickert in der
       maroden Kanalisation. Aber vor allem: Die Wasserarmut wird politisch
       gefördert. Egal, was in Alberto Barandiaráns zehn Punkten steht.
       
       Denn seine Regeln gelten nicht, wo Alois Kennerknecht inzwischen angekommen
       ist: auf einem einsamen Hügel der Lomas oberhalb von Bellavista und Paraiso
       Alto, wo Adler in der Luft kreisen und der Boden bei jedem Schritt eine
       Staubwolke freigibt. Neben dem alten Mann steht Luis Marquez vom örtlichen
       „Asociacion Circuito Ecoturistico“, ein kräftiger junger Mann mit
       indianischen Gesichtszügen. Die beiden sehen vom Hügel aus, wie sie ihren
       Kampf um die Lomas verlieren. Und neben ihnen symbolisiert ein Gerüst, drei
       Meter hoch und acht Meter lang, einen Kampf, den sie schon verloren haben.
       
       ## Nässe aus Nebel
       
       Das Gerät ist ein „Nebelfänger“: eine Konstruktion aus Stahlrohr, Netz und
       einer Membran, um Feuchtigkeit aus der Luft zu filtern. Vor einigen Jahren
       hat die kleine deutsche Organisation Alimón sie bauen lassen, um die
       verdorrten Hügel wieder ergrünen zu lassen. Eine tolle Idee. Die
       „Nebelfänger“ übernahmen, was bis vor 100 Jahren die Bäume getan hatten:
       das Wasser aus den Winternebeln sammeln. Zusammen mit den Anwohnern hob man
       Wasserreservoirs aus, legte Leitungen. „Die Nebelfänger haben 15.000 Liter
       täglich produziert“, sagt Marquez, der mit Kennerknecht an einem der
       trockenen Bassins steht, das wie ein offenes Grab daliegt. „Das hat gut
       funktioniert.“
       
       Aber bald waren die Nebelfänger unbrauchbar. Die Anwohner hielten sie nicht
       instand, die Leitungen zerfielen. Vor allem aber störten die Wasserspender
       die heimlichen Herrscher der Gegend: die „Trafficantes“, Bodenspekulanten.
       Grüne Hügel, die zu einem Naturschutzgebiet werden könnten, sind ein
       Hindernis für illegale Siedlungen. Plötzlich vergaßen Bürgermeister ihre
       Versprechen, Behörden mussten prüfen, Gesetze verzögerten sich. Den
       deutschen Initiatoren wurde gar am Flughafen die Einreise verwehrt.
       
       Kennerknecht und Marquez blicken ins Tal. Bis zum Horizont haben sich die
       illegalen Siedlungen von Hügel zu Hügel gefressen. Marquez deutet nach
       rechts: „Diese Häuser waren bei unserem letzten Besuch noch nicht da.“ Er
       erklärt, wie die Landnahme vor sich geht: Menschen besetzen ein Stück Land
       und bauen provisorische Holzhütten – die Bausätze dafür werden an der
       Straße verkauft. Wenn die Polizei die „Invasion“ nicht sofort beendet,
       werden die Besetzer zu Besitzern mit Anspruch auf das Land. Nach fünf
       Jahren haben sie ein Recht auf Wasser- und Stromleitungen. Alles ist
       perfekt legal, deshalb hat der Wasserversorger Sedapal drei riesige
       Wassertanks in das Tal von Bellavista gebaut.
       
       ## Besetzer nicht immer landlos
       
       „Die Politiker versorgen die Leute mit Wohnungen, dafür bekommen sie deren
       Stimmen“, sagt Kennerknecht. „Vor allem aber profitieren die Spekulanten.
       Die Besetzer sind oft gar keine Landlosen, sondern übergeben ihr Grundstück
       an die Trafficantes, die es mit hohem Gewinn verkaufen.“ Laut Marquez
       schüchtern Schlägertrupps die Bürgermeister der Orte ein. „Da regt sich
       kein Widerstand mehr.“
       
       Auf der Klimakonferenz warnt die Weltbank wieder einmal, Umweltzerstörung
       gefährde die Bekämpfung der Armut. Auf den Hügeln von Bellavista ist von
       dieser Einsicht nichts zu spüren. Alois Kennerknecht wirft sich seinen
       kleinen Tragebeutel über die Schultern und eilt den Hang hinunter.
       „Vielleicht sollten sie die nächste Klimakonferenz hier oben veranstalten“,
       sagt der Irre aus Deutschland. Er muss los. An einer Grundschule, zehn
       Autominuten entfernt, will er italienischen Journalisten seine selbst
       gebauten Pflanzen-Kläranlagen erklären.
       
       9 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Pötter
       
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