# taz.de -- Postpunk-Legende The Pop Group: Paranoide Musik für paranoide Zeiten
       
       > „We are time“: Warum The Pop Group aus Bristol das radikalste britische
       > Album der frühen Achtziger gemacht hat und als Band wieder aktiv ist.
       
 (IMG) Bild: Those were the days: The Pop Group, live im März 1979 in Portsmouth.
       
       „Wir wollten keinen Punk machen, weil das schon passiert war.“ So erinnert
       sich Mark Stewart an die Anfänge der Pop Group. Ende 1977 stößt der
       Punkrock Ramones’scher Prägung an seine Grenzen. Die eben noch befreiende
       Formel „Kauf dir eine Gitarre, lern drei Akkorde, gründe eine Band“ schlägt
       um in einen neuen Konformismus, der jede Abweichung vom Standardrezept als
       Verrat denunziert. Der Verrat an der reinen Punklehre ist ein Akt der
       Befreiung und der Startschuss zu einer äußerst kreativen Phase der
       britischen Popmusik, die als Post-Punk in die Geschichte eingeht.
       
       Das wissen wir heute. Damals, 1978 bis 1982, kommen einfach nur jeden Tag
       aufregende Singles und Alben raus, kein Werk gleicht dem anderen. Sagt die
       Legende. In Bristol gründet der Sänger Mark Stewart mit drei
       Teenagerfreunden The Pop Group. Allerdings ist The Pop Group so wenig eine
       Popgruppe wie Mark Stewart ein Sänger, dazu gleich mehr.
       
       In diesem Winter gibt es einige Gründe, sich mit der seit 2010
       wiedervereinigten Pop Group zu beschäftigen. Im Februar wird ein neues
       Album von ihnen erscheinen, das erste seit „We are time“ von 1980, das
       soeben wiederveröffentlicht wurde, Seite an Seite mit „Cabinet of
       Curiosities“, so der nicht zu viel versprechende Titel einer
       Raritätensammlung. Wie ein Jahrzehnt nach ihnen Massive Attack, Tricky und
       Portishead profitiert The Pop Group vom blutigen Erbe Bristols.
       
       ## Der schwarze Fleck
       
       Die Hafenstadt im englischen Südwesten ist im 18. Jahrhundert ein Zentrum
       des Sklavenhandels, mehr als eine halbe Million Menschen aus Afrika werden
       dorthin verschleppt. Später kommen Zehntausende aus den ehemaligen Kolonien
       in der Karibik und aus Afrika, so ist Bristol einer der schwärzesten
       Flecken des United Kingdom. Und das hört man. „Ich habe schon vor Punk zu
       allen möglichen Alben von I-Roy und Big Youth mitgesungen“, erzählt Mark
       Stewart am Telefon.
       
       In keiner anderen britischen Stadt ist die Musik Jamaikas so around, sind
       die Soundsystems so präsent und Reggaekünstler wie I-Roy und Big Youth so
       populär. „In Bristol, wo ich aufwuchs, ging ich in Funk- und Reggaeclubs
       mit meinen Freunden, und wir versuchten uns an einer Art Funk“, erzählt
       Stewart.
       
       „Aber weil wir nicht gut spielen konnten, kamen diese älteren Journalisten
       und meinten, wir klängen so experimentell und so free form, während wir
       glaubten, funky zu sein. Die meinten, ’Ihr seid so weit vorne‘, und
       verglichen uns mit Captain Beefheart. Dabei war Beefheart der Feind, so was
       hörten deine älteren Brüder.“
       
       ## Produktive Missverständnisse
       
       Das klassische produktive Missverständnis. Weiße Jungs lieben schwarze
       Musik, versuchen sie nachzuahmen, scheitern und nutzen das Scheitern als
       Chance mal wirklich. Und Punk als Lizenz zur Aktion: „Ich war Fan von Iggy
       Pop und den New York Dolls, bevor es Punk gab. Punk war für uns die
       Selbstermächtigung rauszugehen, Musik zu machen, Platten zu produzieren.
       Vorher musste man ein großes Studio haben und so klingen wie Emerson, Lake
       & Palmer, um ein Album zu produzieren, oder man musste aufs Gymnasium
       gehen, um zu werden wie Genesis. Bei irgendwelchen Waffenhändlern um einen
       Plattenvertrag betteln. Aber dann habe ich Paul Simonon von The Clash auf
       der Bühne gesehen, wie er mit seinem Bass auf der Bühne steht und nicht
       weiß, was er damit tun soll. Das hat mich und meine mates in Bristol
       inspiriert. Man spricht ja immer von der Arroganz der Macht, aber Punk gab
       uns die Macht der Arroganz.“ Wie oft hat man solche Initiationsgeschichten
       schon gehört? Und ist Genesis-Bashing nicht so was von passé?
       
       Komischerweise finde ich Mark Stewarts Erweckungserlebnis überzeugend,
       komischerweise bin ich fast gerührt, als er sich nach einer Stunde am
       Telefon mit einem „Thanx, mate“ verabschiedet. Die Essentials der
       Initiation haben für diesen Zweimeterberserker bis heute Bestand, sein
       Fünf-Worte-pro-Sekunde-Stakkato ist voll von Begriffen wie mate, working
       class oder rebellion. Stewart spricht mehr von „wir“ als von „ich“, und
       wenn der Mittfünfziger von seinen Freunden in Bristol nicht als mates
       redet, dann sind es boys und girls.
       
       ## Girls wie Boys
       
       Apropos Girls. „Wir haben immer gern mit Girls gearbeitet, in allen Bands
       in Bristol waren genauso viele Girls wie Boys.“ The Slits, mit denen die
       Pop Group 1980 eine Split-Single teilen, New Age Steppers, The Raincoats,
       Delta 5, Rip Rig & Panic, ein Pop-Group-Ableger mit der jungen Neneh
       Cherry, in all diesen Bands an der Schwelle zu den Achtzigern spielen
       Frauen Hauptrollen.
       
       Aber, um es mit Morrissey zu sagen, einem so ganz anderen Exzentriker
       britischer Schule: Was erzählt mir diese Musik über mein Leben im 21.
       Jahrhundert? Warum sollten sich Leute heute mit einer Band beschäftigen,
       die zu Lebzeiten zwischen 1977 und 1981 gerade mal drei Alben
       veröffentlicht hat und seit 2010 wieder im Reunion-Modus tickt?
       
       Eine Pop Group, deren Verachtung für Pop so fundamental daherkommt wie ihre
       Parolen: „For how much longer do we tolerate mass murder?“, „We are all
       prostitutes, everyone has their price“? Deren Funkgitarren tatsächlich mehr
       mit Beefhearts Sound und splitternden Gläsern verbindet als mit dem Groove
       von Funkadelic oder The Undisputed Truth? Deren Sänger ein Schreier ist,
       aber kein Schreier vom Schlage eines James Brown. Mark Stewart kreischt wie
       eine Katze, der man ein Feuerzeug an den Schwanz hält.
       
       ## Wie ein Muezzin
       
       Oder wie ein Muezzin? Der Vergleich gefällt ihm. „Ja, ich liebe Muezzins,
       ich verbringe viel Zeit in Spanien und meine Phrasierung ist so eine Art
       Flamenco-Klagelied-Sound. Yoko Ono hat ein Album gemacht in den Sechzigern
       namens „Why“, auf dem sie die ganze Zeit schreit über experimentelle
       Geräusche, so ein Fluxus-Ding.“ Dann lacht Stewart wieder laut los, ist ja
       auch ein Witz, dass einer wie er seine Stimme auf einer Platte erheben
       darf.
       
       „Durch Punk habe ich gelernt, die Leute dazu zu bringen, mein Geschrei zu
       goutieren (lacht). Sie denken, ich könnte singen (lacht noch mehr). Meine
       Mutter nicht, die sagte immer ich soll meinen Mund halten, wenn ich anfing
       zu schreien. Es war die Energie und die Arroganz, sich auf die Bühne zu
       stellen und zu schreien. Allein das hielten wir schon für politisch, weil,
       vorher war alles so weit weg. Man musste nach London fahren, sich um Demos
       und Verträge bemühen, man musste Beziehungen haben.“
       
       Punk sprach zum jungen Mark und sagte: Just do it! Diese Chance will sich
       der alte Mark nicht nehmen lassen, auch nicht von Nike. Mit einer robusten
       Emphase, andere würden es Naivität nennen, hält er fest an seiner
       Überzeugung: Musik als soziale und politische Praxis. „Als wir anfingen,
       dachten wir: Wenn wir die Gesellschaft mit Worten kritisieren, dann können
       wir dazu keinen Pubrock spielen. Wir wollten in eine experimentelle
       Richtung gehen, elektronische Sachen wie Pierre Henry, Cut-up-Sound-Poems.“
       
       Beim Wiederhören der alten Songs von The Pop Group erkennt man die guten
       Absichten und Ideen – und ihr Scheitern. Wo im jamaikanischen Dub eine
       elegante Eastern Melodica durch den Hallraum weht, bruzzelt hier eine
       zerzauste Mundharmonika, ein perkussives Geklöppel möchte irgendwie
       afrikanisch sein, schafft es aber nicht.
       
       Und man begreift, warum so unterschiedliche Figuren wie Neneh Cherry, Nick
       Cave und Trent Reznor von Nine Inch Nails sich immer wieder auf die Pop
       Group berufen. Diese Künstler haben Starkarrieren daraus gemacht, die eine
       oder andere gute Idee der Pop Group auszudifferenzieren und kompetent zu
       kommodifizieren. „It had everything that I thought rock and roll should
       have.“ Sagt Cave über „We are all prostitutes“.
       
       „It was violent, paranoid music for a violent, paranoid time.“ Im
       Unterschied zu Cave gehen Mark Stewart und die Pop Group nicht davon aus,
       dass wir heute in weniger gewalttätigen und weniger paranoiden Zeiten
       leben. Diesen Schluss lassen erste Hörproben des demnächst erscheinenden
       neuen Albums „Citizen Zombies“ zu. Ob die Pop Group ästhetisch der Paranoia
       Marke 2015 gewachsen ist? Wir werden sehen.
       
       11 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Walter
       
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