# taz.de -- Psychotherapeutin über Angststörungen: „Das ist eine schwere Krankheit“
       
       > Sind Zwangsneurotiker besonders geeignet, um Firmenfinanzen zu
       > kontrollieren? Das behauptet zumindest eine Bahn-Managerin.
       
 (IMG) Bild: Die Managerin der Bahn hat einiges durcheinandergebracht: Nur Menschen mit einer leichten Zwanghaftigkeit finden Regeln gut, wie die gutsitzende Krawatte.
       
       taz: Frau Ertle, eine Ärztin für Psychotherapie und Personalmanagerin der
       Deutschen Bahn soll bei einer Schulung in der Schweiz vorgeschlagen haben,
       für die Bereiche Controlling und Finanzen „Zwanghafte“ einzustellen –
       „gerne mit einer schönen Angststörung“. Was halten Sie davon? 
       
       Andrea Ertle: Unabhängig davon dass sich mir nicht erschließt, was an einer
       Störung schön sein soll, hat die Managerin offensichtlich einiges
       durcheinandergebracht. Man muss unterscheiden zwischen gesunden Menschen,
       die eine leichte Zwanghaftigkeit haben: Sie finden Regeln gut und wollen,
       dass sie eingehalten werden. Das muss keine Belastung sein. Menschen mit
       Angst- oder Zwangsstörungen hingegen sind in dieser Hinsicht krank.
       
       Wie macht sich das bemerkbar? 
       
       Bei einer sozialen Angststörung beispielsweise fürchten die Menschen, im
       Mittelpunkt zu stehen oder mit anderen in Kontakt zu treten. Bei einer
       Panikstörung oder Agoraphobie leiden die Betroffenen unter Angstattacken,
       die mit starken körperlichen Symptomen einhergehen. Sie meiden Plätze, an
       denen diese Ängste schon mal aufgetreten sind. Menschen mit Zwangsstörungen
       haben plötzlich auftretende unangenehme Gedanken – zum Beispiel, sie
       könnten einer geliebten Person etwas antun.
       
       Das Klingt nach sehr schweren Krankheiten. Wie wirkt sich das auf ihre
       Arbeitskraft aus? 
       
       Das sind sehr schwere Krankheiten. Diese Menschen sind in der Regel
       deutlich in ihrer Lebensführung eingeschränkt, häufig sozial isoliert oder
       können nicht arbeiten. Viele von ihnen haben keine Jobs.
       
       Die Personalmanagerin soll diese Menschen mit dem Adjektiv
       „superpedantisch“ positiv beworben haben. 
       
       Das ist falsch, das trifft nur auf diejenigen mit dem zwanghaften
       Persönlichkeitszug zu. Sie können in der Tat hilfreich für ein Unternehmen
       sein, weil ihnen wichtig ist, das alles seine Ordnung und Richtigkeit hat.
       Diese Stärken kann man nutzen.
       
       Vielleicht meinte die Managerin genau das – und hat sich nur etwas
       missverständlich ausgedrückt? 
       
       Sie hätte besser sagen sollen, sie wünsche sich Mitarbeiterinnen und
       Mitarbeiter, die sich an die Regeln halten.
       
       Die Managerin sagte auch, diejenigen mit der „schönen Angststörung“ seien
       so gut, weil sie „die ganze Nacht nicht schlafen“ könnten, wenn die Zahlen
       nicht stimmen. 
       
       Dann meint sie es wohl doch eher pathologisch – und das ist zynisch.
       
       Vor über einem Jahr hat das IT-Unternehmen SAP damit geworben, Autisten zu
       beschäftigen. Geht das? 
       
       Es gibt verschiedene Formen von Autismus, bei manchen Unterformen haben die
       Menschen eine ausgeprägte Merkfähigkeit. Wenn diese Stärken zu einem
       bestimmten Arbeitsfeld passen, dann ist das positiv. Das gilt genauso für
       Menschen mit einer leichten Zwanghaftigkeit – aber nicht für Menschen mit
       Angst- und Zwangsstörungen.
       
       16 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schmollack
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Deutsche Bahn (DB)
 (DIR) Angststörungen
 (DIR) Gesundheitspolitik
 (DIR) Journalismus
 (DIR) Schauspiel
 (DIR) Germanwings
 (DIR) psychische Gesundheit
 (DIR) Flüchtlinge
 (DIR) Rente
 (DIR) Depression
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Leben mit einer Angststörung: Kontrolle, Kontrolle, Kontrolle
       
       Grundlos Panik, ob in der U-Bahn oder auf der Couch. Jeder sechste
       Erwachsene in Deutschland leidet unter Angststörungen. Auch unsere Autorin.
       
 (DIR) BKK-Gesundheitsatlas 2015: Besonders depressiv in Hamburg
       
       Immer mehr Menschen bekommen vom Arzt eine Psychodiagnose gestellt. In
       manchen Regionen geschieht das besonders häufig.
       
 (DIR) Magazin für Autisten und AD(H)Sler: Von uns, für uns, über uns
       
       „N#mmer“ möchte das Bild von Autisten und AD(H)Slern im medialen Diskurs
       verändern. Die erste Ausgabe hat sich gut verkauft, nun erscheint die
       zweite.
       
 (DIR) Schauspielerin Laura Tonke: Im vierten Gang unterwegs
       
       „Spielen ist wie Autofahren“, sagt Laura Tonke. In „Hedi Schneider steckt
       fest“ überfällt ihre Figur die Angst – ausgerechnet beim Sex.
       
 (DIR) Die Streitfrage: „Hausarztsystem für Therapeuten“
       
       Nach der Germanwings-Katastrophe werden mehr PsychotherapeutInnen
       gefordert. Doch auch Qualität und Verteilung der Hilfe sind wichtig.
       
 (DIR) Bahn-Managerin sucht Führungskräfte: Schön gestört
       
       Eine Personalmanagerin der Deutschen Bahn findet, „zwanghafte“ Mitarbeiter
       seien gut fürs Unternehmen. Geht’s noch?
       
 (DIR) Traumatisierung in Kriegsgebieten: Es bleiben Narben
       
       Kriege und Konflikte traumatisieren Menschen. Doch für die Behandlung der
       psychischen Leiden ist oft keine Zeit. Eine Konferenz ringt um Angebote.
       
 (DIR) Psychiatrische Gutachten: Fangfragen für Simulanten
       
       Forscher arbeiten an neuen Tests, um das Vortäuschen von psychischen
       Beschwerden zu enttarnen. Versicherer wollen damit Rentenanträge
       überprüfen.
       
 (DIR) Wohlstand und Panik: Hat hier jemand keine Angst?
       
       Die Zeit der „German Angst“ ist vorbei, sagt der Soziologe Heinz Bude. Die
       neue Form von Massenpanik sei subtiler, aber nicht weniger stark.