# taz.de -- Debatte Terrorismus: Die Deformation des Islam
       
       > Warum beziehen sich Terroristen wie die in Paris auf den Islam? Mit dem,
       > was die meisten Muslime glauben, haben ihre Taten nichts gemein.
       
 (IMG) Bild: In der Kairoer Azhar-Moschee. Alle wichtigen muslimischen Autoritäten haben den Terror von Paris verurteilt.
       
       Wie immer nach islamistisch motivierten Anschlägen beteuern Muslime,
       solcher Terror hätte „nichts mit dem Islam zu tun“. Auch Innenminister de
       Maizière machte sich diese Formulierung jetzt zu eigen. Das ist
       verständlich, denn mit dem Islam, wie ihn die überwiegende Mehrheit der
       Muslime insbesondere in Europa lebt, hat der Terror nichts gemein. Zugleich
       aber wächst in Europa das Misstrauen gegen den Islam, weil sich Terroristen
       wie in Frankreich nun mal auf ihn berufen. Wie ist dieser Widerspruch zu
       erklären?
       
       Anders gefragt: Was ist dem Islam von heute eigen, das ihn so anfällig für
       die Instrumentalisierung durch Gewalttäter macht? Auch andere Religionen
       werden missbraucht – im Nahen Osten das Judentum durch radikale Siedler, in
       den USA das Christentum durch mordende Abtreibungsgegner oder in Myanmar
       der Buddhismus durch Mönche, die Muslime verfolgen. Aber nur der radikale
       Islam übt auf junge Männer am Rande der Gesellschaft eine solche
       Anziehungskraft aus, dass manche sogar in den Bürgerkrieg nach Syrien
       reisen oder in ihren Herkunftsländern Attentate verüben wie jetzt in Paris.
       Warum?
       
       Historisch ist diese Entwicklung erstaunlich, denn bis ins späte
       Mittelalter hinein waren die muslimisch geprägten arabischen Gesellschaften
       Europa an Toleranz, Kultur und in den Wissenschaften weit voraus. Auf die
       Krise, die durch den militärischen und kulturellen Aufschwung Europas und
       dessen Kolonisierung muslimisch geprägter Länder ausgelöst wurde, fanden
       muslimische Intellektuelle und politische Führer zwei Antworten.
       
       Die einen sahen nur in der radikalen Übernahme europäischer Modelle –
       Nationalismus, Sozialismus, Säkularismus – einen Weg zum Heil. Andere
       Stimmen, zunächst viel leiser, forderten eine Rückbesinnung auf den Islam,
       um zu einstiger Stärke zurückzufinden.
       
       ## Puritanisches Islam-Verständnis
       
       Erst das Scheitern der säkularen Regime der Region, ihren Bürgern
       Wohlstand, Teilhabe und Gerechtigkeit zu bringen, gab islamistischen
       Bewegungen Auftrieb, die antiimperialistische Rhetorik in religiöse
       Terminologie kleideten und sich als Alternative andienten. Je gewalttätiger
       sie unterdrückt wurden, umso mehr radikalisierte sich ein Teil von ihnen.
       
       Hinzu kam, dass das erzkonservative Saudi-Arabien, durch seine schier
       unerschöpflichen Ölvorkommen zu immensem Reichtum gekommen, zur heute
       wichtigsten arabischen Regionalmacht des Nahen Ostens aufsteigen konnte,
       die ihr puritanisches Islam-Verständnis inzwischen in alle Welt exportiert.
       
       Die saudische Auslegung des Islam mit ihrer strikten Trennung der
       Geschlechter, ihrer Intoleranz gegenüber Andersdenkenden und ihren
       archaischen Körperstrafen ist extrem. So mittelalterlich sie anmutet,
       handelt es sich doch um eine vergleichsweise neue Denkschule, die im 18.
       Jahrhundert durch den Prediger Muhammad ibn Abd al-Wahhab begründet wurde
       und im 20. Jahrhundert zur Staatsreligion des Königreichs Saudi-Arabien
       erhoben wurde, weshalb diese Spielart des Islam auch als Wahhabismus oder
       Salafismus bezeichnet wird.
       
       Dieser rigide Islam saudischer Prägung wurde in anderen muslimisch
       geprägten Gesellschaften anfangs als Fremdkörper wahrgenommen. Doch in den
       letzten Dekaden hat dieser Salafismus mit seiner Vollverschleierung, seiner
       rigiden Lesart des Korans und seiner Ablehnung traditioneller
       Volksfrömmigkeit einen weltweiten Siegeszug hingelegt und eine
       terroristische Seite angenommen, die in der Ideologie der afghanischen
       Taliban, der Milizen des „Islamischen Staats“ oder Boko Haram in Nigeria
       ihre extremste Ausprägung findet.
       
       ## Oft gescheiterte Existenzen
       
       Zugleich haben westliche Interventionen wie zuletzt im Irak und in Libyen
       den Zerfall nahöstlicher Staaten entlang religiös-ethnischer Linien noch
       beschleunigt. In dieses Vakuum stoßen solche salafistischen Terrorgruppen
       nun hinein.
       
       In Deutschland gibt es heute einige Tausend Salafisten, von denen wiederum
       nur eine Minderheit zur Gewalt neigt. Von ihnen aber geht eine besondere
       Gefahr aus – insbesondere, wenn sie aus dem Bürgerkrieg in Syrien
       zurückkehren. Auffällig ist, dass es sich, wie etwa bei den Attentätern von
       Paris, oft um ehemalige Kleinkriminelle und andere gescheiterte Existenzen
       handelt. Sie bedienen sich islamischer Begriffe wie „Dschihad“, die sie
       ihres ursprünglichen Sinnes berauben und umdeuten, um ihre Taten zu
       rechtfertigen und zu überhöhen.
       
       Um diesen Do-it-yourself-Islam als authentischen Ausdruck dieser Religion
       oder gar als zwangsläufig richtige Auslegung des Korans zu begreifen, muss
       man mehrere Jahrhunderte muslimischer Theologie und religiöser Praxis
       ignorieren – nichts anderes machen die Terroristen, aber auch viele
       übereifrige „Islamkritiker“, die sich willkürlich Passagen aus dem Koran
       herauspicken, um die ganze Religion unter Generalverdacht zu stellen.
       
       ## Die meisten Opfer sind Muslime
       
       Es gibt im Islam keine Kirche, die solche Terroristen exkommunizieren
       könnte, und Muslime schrecken davor zurück, sie zu „Ungläubigen“ zu
       erklären, weil dies genau die Methode der Terroristen ist, ihre Gegner zum
       Abschuss freizugeben. Aber alle wichtigen muslimischen Autoritäten, auch
       die saudischen, und sämtliche Islam-Verbände in Europa haben den Terror von
       Paris einhellig verurteilt und den Missbrauch ihres Glaubens, diese
       Deformation ihrer Religion, kritisiert.
       
       Denn diese Terroristen sind eine Gefahr für den Zusammenhalt der
       Gesellschaften, die sie angreifen – insbesondere für bedrängte Minderheiten
       wie die Christen im Nahen Osten oder Juden in Europa, aber auch für alle
       anderen. Ihre Anmaßung, im Namen des Islam zu handeln, wird auch durch die
       Tatsache ad absurdum geführt, dass die meisten Opfer islamistischen Terrors
       selbst Muslime sind.
       
       Was die Politik in Europa – neben den notwendigen sicherheitspolitischen
       Maßnahmen, die zu ergreifen sind – tun muss, ist, die Integration des Islam
       in Europa voranzutreiben, um die friedlichen Muslime zu stärken. Und immer
       wieder deutlich machen, dass die Frontlinie nicht zwischen westlichen
       Gesellschaften und den Muslimen verläuft, sondern zwischen Demokraten und
       Terroristen.
       
       12 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Bax
       
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