# taz.de -- Verfassungsschutzchef Maaßen: „Am Rand dessen, was möglich ist“
       
       > Hans-Georg Maaßen über die Bespitzelung von Islamisten, den NSU und
       > technischen Nachholbedarf bei den Sicherheitsbehörden.
       
 (IMG) Bild: „Wir haben ein gutes Stück des verlorenen Vertrauens wiederhergestellt“, findet Hans-Georg Maaßen.
       
       taz: Herr Maaßen, die Pariser Attentäter waren als Islamisten bekannt.
       Einige waren im Terrorcamp, ihre Telefone wurden abgehört. Dennoch planten
       sie die Anschläge unbemerkt. Welche Lehren ziehen Sie daraus? 
       
       Hans-Georg Maaßen: Wir werden mit den französischen Kollegen die Ereignisse
       besprechen und Schlüsse ziehen, wo wir uns weiter verbessern können. Die
       Gefahr ist ja nicht neu: Dass es Rückkehrer gibt, die auf Weisung oder
       aufgrund der Propaganda des IS oder von al-Qaida Terroranschläge begehen.
       
       Auch in Deutschland leben Islamisten, die in syrischen Terrorcamps waren.
       Haben Sie die alle im Blick? 
       
       Wir gehen davon aus, dass mehr als 600 Personen aus Deutschland nach Syrien
       gegangen sind, etwa ein Drittel ist zurückgekehrt. Die Zahlen können aber
       auch deutlich höher liegen. Es werden immer wieder Fälle bekannt, von denen
       wir nichts wussten. Das Bundeskriminalamt und der Generalbundesanwalt haben
       nur in wenigen Fällen die Möglichkeit, Haftbefehle zu erwirken – und wir
       können nicht alle Rückkehrer rund um die Uhr observieren.
       
       Dürfen Sie Spitzel aus der Szene – sogenannte V-Leute – direkt im IS-Milieu
       unterhalten? 
       
       Grundsätzlich schon, aber das führt uns an den Rand dessen, was möglich
       ist. Die Strafbarkeit von V-Personen ist seit einem Urteil des
       Oberlandesgerichts Düsseldorf 2011 ein wichtiges Thema, weil es die
       bisherige Praxis auf den Prüfstand stellt. Zuvor galt 60 Jahre lang die
       Rechtslage, dass ein V-Mann sich in einer verbotenen, kriminellen oder
       terroristischen Organisation betätigen und szenetypische Straftaten begehen
       durfte.
       
       Wenn Sie einen Spitzel in der IS-Szene haben und die Islamisten reisen nach
       Syrien – darf Ihr Zuträger mit? 
       
       Es kommt darauf an, was der V-Mann macht. Die Unterstützung des IS, das
       Geldsammeln, das Werben und das Zeigen von Symbolen wie der IS-Fahne – das
       ist alles strafbar. Deshalb laufen derzeit Fachgespräche zwischen den
       Ministerien, wie das rechtlich klargestellt werden kann.
       
       Wenn ein Spitzel gen Syrien und Terrorcamp reist, ist das nicht zu riskant,
       auch wegen der Brutalisierung vor Ort? 
       
       Ich will niemanden in die vordere Reihe oder in ein Terrorcamp schicken.
       Aber natürlich sind wir an Informationen über andere Personen aus
       Deutschland, die sich dort aufhalten, und über mögliche Terrorpläne höchst
       interessiert.
       
       Die Szene verhält sich konspirativ und kommuniziert zunehmend über
       Onlinedienste wie WhatsApp. Kommt Ihre Behörde da technisch noch mit? 
       
       Alle deutschen Sicherheitsbehörden haben technisch einen erheblichen
       Nachholbedarf. Wir haben es mit immer mehr Diensten und Anbietern zu tun,
       die ihre Produkte zunehmend verschlüsseln. „Dank Snowden“ hat auch die
       islamistische Szene die Vorteile einer kryptierten Kommunikation begriffen.
       Das macht es für uns noch schwerer, an Informationen zu gelangen.
       
       Fordern Sie den Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation? 
       
       Was ich fordere, ist ein unverkrampfter Blick auf die Realität: Die Polizei
       darf mit einem Durchsuchungsbeschluss in eine Wohnung hinein, nach Dingen
       suchen und einen Panzerschrank aufbrechen. Das ist unbestrittene
       Rechtslage. Im Internet haben wir diese Möglichkeiten nicht mehr. Was
       früher im Panzerschrank lag, wird heute kryptiert ins Netz gestellt. Der
       Bundesinnenminister hat schon darauf hingewiesen, dass der Staat im
       Cyberraum nicht mehr, aber auch nicht weniger Rechte brauche als sonst, nur
       weil sich das Kommunikationsverhalten der Täter ändert. Das sehe ich auch
       so. Sonst können künftig immer seltener Verbrechen aufgeklärt und Anschläge
       verhindert werden.
       
       Als Sie das Amt nach dem NSU-Skandal übernommen haben, steckte es in seiner
       tiefsten Krise. Wo sehen Sie es heute? 
       
       Ich will nicht sagen, dass ich mit allem schon zufrieden bin. Aber wir
       haben ein gutes Stück des verlorenen Vertrauens wiederhergestellt.
       
       Die heftige Kritik an Ihrer Behörde reißt aber nicht ab. Nicht nur
       Parlamentarier, auch die Ombudsfrau der Regierung für die NSU-Opfer,
       Barbara John, äußerte sich entrüstet. Der Vorwurf: Ihr Amt werde dem
       Versprechen der rückhaltlosen Aufklärung nicht gerecht. 
       
       Ich weise diese Kritik zurück; viele Vorwürfe sind unsachlich oder zu
       pauschal. Klar ist: Mein Amt war nicht zuständig für die Fahndung nach dem
       Trio. Das war Aufgabe der Polizei und der Staatsanwaltschaften. Damals sind
       schwere Fehler gemacht worden, aber ich verwahre mich dagegen, dies meiner
       Behörde zuzurechnen.
       
       Ach so, wem dann? 
       
       Es werden leider immer wieder ganz unterschiedliche Sachverhalte
       miteinander vermischt. Zum einen die Morde, Anschläge und Banküberfälle des
       NSU, die durch Polizei und Justiz ermittelt und aufgeklärt hätten werden
       müssen. Zum anderen hat das Landesamt für Verfassungsschutz in Thüringen in
       den 90er Jahren Fehler gemacht bei der Aufklärung des rechtsextremistischen
       Thüringer Heimatschutzes. Hier möchte ich nur an den sogenannten
       „Schäfer-Bericht“ vom Mai 2012 für den Erfurter Landtag erinnern, der den
       thüringischen Behörden ein vernichtendes Zeugnis für die Suche nach dem
       Trio ausgestellt hat. Das LfV ist aber keine Behörde, die dem Bundesamt
       unterstellt oder ihm gegenüber weisungsgebunden ist. Der Zeitpunkt der
       Vernichtung der Akten im Bundesamt im November 2011 allerdings war ein
       Fehler. Die vernichteten Akten hatten aber nichts mit dem NSU zu tun.
       
       Ihr Amt hat doch die Gefahr durch Rechtsterroristen verkannt und damit
       seinen Auftrag verfehlt. Es hatte Spitzel im Umfeld des Trios, etwa den
       V-Mann „Tarif“, dessen Akten nach dem Auffliegen des NSU geschreddert
       wurden. Der Mann sagt heute, er sei aus dem Umfeld des Trios gebeten
       worden, die drei unterzubringen, und habe das seinem V-Mann-Führer
       berichtet. 
       
       Wir hatten nach dem jetzigen Stand keine V-Personen im Umfeld des NSU. Die
       heutige Behauptung von „Tarif“, dass er aus dem Umfeld des Trios
       angesprochen worden sei und diese Informationen an uns weitergegeben hat,
       steht in deutlichem Widerspruch zu dem, was sein V-Mann-Führer sagt und was
       bisher Erkenntnislage ist.
       
       Lügt „Tarif“? 
       
       Auf die deutlichen Widersprüche und die bisherigen Erkenntnisse habe ich ja
       gerade hingewiesen.
       
       Solange er noch V-Mann war, hielt Ihr Amt „Tarif“ für glaubwürdig und
       kaufte ihm Informationen ab. 
       
       Er ist kein V-Mann mehr. Er ist mit meinem Amt unzufrieden, vielleicht
       äußert er sich deshalb in dieser Weise.
       
       Was ist mit dem 2014 gestorbenen V-Mann „Corelli“? Er stand auf einer
       Telefonliste des Trios, lieferte Ihrem Amt Hinweise auf den NSU. Wegen
       massiver Ungereimtheiten setzte der Bundestag sogar einen Sonderermittler
       ein. 
       
       „Corelli“ war eine hochwertige Quelle, weil er Informationen aus vielen
       Bereichen der rechtsextremen Szene lieferte. Hinweise auf den NSU hat er
       nicht geliefert. Lediglich in zwei Fällen hatte er Bezugspunkte zu einer
       Person aus dem Trio, die damals noch nicht untergetaucht war. Nach
       bisherigem Stand hatte er aber keine Kenntnisse über das Trio und dessen
       mörderische Taten.
       
       Als das BKA eine CD von „Corelli“ mit Hinweisen auf eine/n NSU/NSDAP in
       Ihrem Archiv entdeckte, war das für Sie als Amtsleiter bestimmt kein
       schöner Moment. Schließlich hatten Sie behauptet: Wir haben da nichts … 
       
       Wir haben nicht behauptet, wir haben nichts. Diese CD hatte Tausende von
       Dateien, darunter eine Bilddatei mit dem Kürzel NSU/NSDAP. Ob diese
       Abkürzung etwas mit jenem Trio zu tun hatte, welches heute als NSU bekannt
       ist, ist reine Spekulation.
       
       Wenn man Sie hört, scheint in Ihrem Amt in Sachen NSU fast alles prima
       gelaufen zu sein. Sehen Sie das wirklich so? 
       
       „Prima“ haben Sie gesagt. Aber wer mich richtig verstehen möchte, der
       sieht, dass ich nichts beschönigen will, sondern nur für eine
       differenzierte Betrachtung werbe. Der NSU-Komplex war insgesamt ein Debakel
       für viele Behörden, keine Frage. Und ich vergesse auch nicht die Opfer und
       ihre Angehörigen. Wogegen ich mich nur verwahre, ist, dass sich mein Amt
       Jahre später immer noch für Fehler der Strafverfolgungsbehörden und der
       Länder rechtfertigen muss.
       
       Sie haben bei Ihrem Amtsantritt mehr Transparenz versprochen. Der Bundestag
       fühlt sich unzulänglich informiert. Der Eindruck ist: Sie übermitteln
       bestenfalls so viel, wie Sie gesetzlich verpflichtet sind. 
       
       Mein Eindruck von der Wahrnehmung durch die Abgeordneten ist ein anderer.
       Wenn Sie sagen: Ich gebe ihnen nur das, wozu ich juristisch verpflichtet
       bin, dann heißt das auch, wozu ich juristisch befugt bin. Manche
       Informationen darf ich dem Parlament in öffentlicher Sitzung einfach nicht
       mitteilen – die sind Gegenstand der parlamentarischen Kontrolle in den
       zuständigen Gremien.
       
       11 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Astrid Geisler
 (DIR) Sabine am Orde
       
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