# taz.de -- Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz: Eine Brust darf jeder
       
       > Das Bundesarbeitsgericht hat die fristlose Kündigung eines Grabschers
       > aufgehoben. Es sendet ein Signal gegen klare Grenzen und für Sexismus.
       
 (IMG) Bild: Wer will nochmal, wer hat noch nicht? Das Bundesarbeitsgericht findet einmal Grabschen okay.
       
       Brüste sind gefährlich. Viel zu oft bringen sie Gehirne zum Aussetzen und
       Unschuldige zum Kontrollverlust. Spätestens seit Brüderles Dirndl-Problem
       an der Hotelbar wissen wir: Sexismus und Übergriffe kann man entweder als
       solche benennen und kritisieren – oder verharmlosen: Dann wird aus einer
       Belästigung ein vermeintliches Kompliment und aus einem Opfer eine
       humorlose, prüde Frustrierte, die an ihrer Lage selbst schuld ist.
       
       Das Bundesarbeitsgericht spielt nun vor allem denjenigen in die Karten, die
       meinen, ein einmaliges Vergehen sei noch nicht so schlimm. Ganz im Sinne
       von: einmal ist keinmal. Das Gericht hat die Kündigung eines Mannes für
       nichtig erklärt, der im Juli 2012 eine Reinigungskraft in den
       Räumlichkeiten seiner Firma sexuell belästigt hat.
       
       Der Mechaniker fand den Busen der Frau schön und sagte das auch so. Dann
       berührte er eine der Brüste ungefragt. Er ging damit also noch einen
       Schritt weiter als Brüderle, der immerhin nur den Brustumfang der
       Stern-Journalistin anerkennend begutachtet hatte. Laura Himmelreich machte
       das Ganze öffentlich, die Reinigungskraft entschied sich dafür, sich ihrem
       Chef anzuvertrauen. Dass dieser seine Mitarbeiterin ernst nahm und umgehend
       den Arbeitgeber des Täters kontaktierte, war richtig, aber nicht
       selbstverständlich.
       
       Dem Mann, der sich, so erklärte er es sich nachher selbst, „kurz nicht
       unter Kontrolle hatte“, wurde fristlos gekündigt. Sein eigener Chef hatte
       damit klare Grenzen gezogen – die das Bundesarbeitsgericht nun erneut
       verwischt hat. Die Kündigung sei nicht angemessen gewesen, eine Abmahnung
       hätte ausgereicht.
       
       Warum? Weil die Frau selbst dem Mechaniker gewisse Signale gesendet hatte?
       Weil er schon seit Jahren in dem Betrieb gearbeitet hatte und nie zuvor
       auffällig geworden war? Weil er sich entschuldigte und sogar Schmerzensgeld
       zahlte? Weil er die Tat im Personalgespräch mit seinem Chef sofort gestand,
       obwohl er – da es keine Zeugen gab – alles hätte abstreiten können?
       
       Ja, von allem ein bisschen, sagt das Bundesarbeitsgericht und meint das
       auch noch vollkommen ernst. Ungeachtet dessen, dass die Entschuldigung und
       die Schmerzensgeldzahlung erst auf die fristlose Kündigung folgte – und
       nicht von alleine kam. Ungeachtet dessen, dass mit der Andeutung, die Frau
       habe zuvor mit ihm geflirtet, Grenzen zwischen Täter und Opfer verwischt
       werden.
       
       ## Je länger im Betrieb, desto mehr Freiheiten
       
       Der Mechaniker, das sagen beide Beteiligte, habe sofort von der Frau
       gelassen, als diese ihren Unwillen bekundet hat. Das kann ihm
       zugutegehalten werden, doch was wäre die Alternative gewesen? Sexuelle
       Nötigung? Vergewaltigung? Verdient es nun schon ein Lob, dass es so weit
       nicht gekommen ist? Er hat ein klares Nein akzeptiert, na dann, herzlichen
       Glückwunsch! Den Richtern zufolge hätte Wiederholungsgefahr bestehen müssen
       oder aber der Vorfall hätte bereits eine Wiederholung sein müssen. Doch der
       Mann sei nie vorher auffällig geworden, und das, obwohl er schon seit
       Jahren in der Firma tätig war. Da zieht man beim Gericht offenbar den Hut.
       
       Dabei sollte egal sein, wie lange jemand im Betrieb arbeitet, bevor er das
       erste Mal zum Grabscher wird. Dem Opfer bringt es nachher herzlich wenig,
       ob es jemand nach einem Monat, einem Jahr oder einem Jahrzehnt belästigt.
       Wenn eine erstmalige Diskriminierung keine drastischen Folgen hat, öffnet
       das Tür und Tor für weitere Vorfälle.
       
       Sexuelle Belästigung ist niemals – nicht bei Brüderle und Himmelreich,
       nicht in den tausend anderen Fällen, die tagtäglich passieren und auch
       nicht in dem des Mechanikers und der Reinigungskraft – die Schuld des
       Opfers, das den Vorfall immerhin schlimm genug fand, um ihn direkt zu
       melden. Viele tun genau das nicht – was für Identifizierung von
       Wiederholungstätern ohnehin schwierig ist.
       
       Wer es potenziellen Tätern dagegen besonders einfach machen will, muss
       genau so handeln, wie das Bundesarbeitsgericht es nun getan hat. Das Urteil
       lässt sich schlicht falsch verstehen als Freibrief: Belästigung ist
       schlimm, aber einmal darf jeder.
       
       11 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hanna Voß
       
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