# taz.de -- Psychologin über Samenspender-Kinder: „Der Trend geht zur offenen Spende“
> Die Psychologin Doris Wallraff begrüßt das Urteil des BGH, nach dem auch
> Minderjährige die Identität ihres Samenspenders erfahren dürfen.
(IMG) Bild: Seins oder nicht seins?
taz: Frau Wallraff, der Bundesgerichtshof (BGH) hat kürzlich entschieden,
dass minderjährige Kinder, die durch Samenspende entstanden sind, erfahren
dürfen, wer ihr biologischer Vater ist. Wie finden Sie das?
Doris Wallraff: Ich begrüße das Urteil. Es stärkt die Rechte der
Spenderkinder, schon frühzeitig erfahren zu können, von wem sie zur Hälfte
abstammen.
Männer spenden in der Regel anonym. Bedeutet das Urteil das Aus für die
Samenspende?
Nein. Sicher wird es Männer geben, die jetzt nicht mehr spenden. Bereits
2013 hat das Oberlandesgericht Hamm entschieden, dass Spenderkinder die
Identität des biologischen Vaters erfahren dürfen. Die absolute Anonymität
für Spender war damit schon aufgehoben. Das aktuelle BGH-Urteil sagt nur,
dass das auch Minderjährige wissen dürfen.
Warum ist das wichtig?
Jeder Mensch muss das Recht haben zu erfahren, von wem er abstammt.
Samenspender können für Spenderkinder wichtig werden. Nicht in der Rolle
als Vater – die meisten Betroffenen sagen, sie haben einen anderen, ihren
sozialen Vater –, sondern als wichtige Person, ohne die sie nicht
entstanden wären. Etwas über den Spender zu erfahren kann Teenagern bei der
Identitätsfindung helfen, es kann eine Leerstelle ausfüllen. Klassische
Fragen in der Pubertät sind: Wer bin ich? Woher komme ich?
Viele Spenderkinder wissen nicht, dass sie einen anderen biologischen Vater
haben.
Die Eltern halten das geheim, weil sie Nachteile für das Kind und ihre
eigene Stigmatisierung fürchten.
Was passiert in solchen Fällen?
Bei einer Samenspende ist für die Öffentlichkeit klar: Der Mann ist
unfruchtbar. Dafür schämen sich viele Paare. Außerdem ist diese Form der
Familiengründung noch immer tabuisiert. So ist die katholische Kirche
explizit gegen Samenspende. Es gibt aber auch Katholiken mit unerfülltem
Kinderwunsch. Manche setzen sich über die Vorgaben ihrer Kirche hinweg und
nutzen eine Samenspende. Dann plagen sie häufig moralische Zweifel und die
Angst, öffentlich am Pranger zu stehen. Auch die Kinder könnten dem Gespött
der Leute ausgesetzt sein.
Was sagen die Samenbanken zu dem BGH-Urteil?
Manche Samenbanken empfehlen noch immer die Geheimhaltung. Der Trend geht
aber zur offenen Samenspende. Bei der Erlanger Samenbank, mit der ich
kooperiere, wissen alle Spender, dass ihre Anonymität mit der
Volljährigkeit der Spenderkinder endet.
Müssen Spender jetzt Angst haben, dass eines Tages Kinder vor ihrer Tür
stehen, die sie so gar nicht wollten.
Nicht ohne Vorwarnung, aber es kann passieren. Spendern sollten keine
Nachteile daraus erwachsen, weil sie fremden Menschen zu einem Kind
verholfen haben.
Können die Kinder im Nachhinein Unterhalt einklagen und später ein Erbe?
Theoretisch. Aber das ist bei den schätzungsweise 100.000 Spenderkindern in
Deutschland noch kein einziges Mal vorgekommen. Im Gegenzug dazu müssten
auch Spenderkinder für Unterhaltszahlungen ihrer prekären Spenderväter
aufkommen.
Das ist rechtlich nicht geklärt?
Nein. Es steht zwar im Koalitionsvertrag, dass das passieren soll. Bislang
kam aber noch nichts.
Raten Sie Paaren trotz der uneindeutigen Rechtslage zur Samenspende?
Mein Beratungsangebot ist immer ergebnisoffen, zu einer tragfähigen
Entscheidung müssen die Paare selbst finden. Meiner Erfahrung nach ist die
Rechtslage nicht das entscheidende Kriterium für die Paare.
In welchem Alter sollten Eltern ihren Kindern von der Samenspende erzählen?
Das geht schon im Kita- und Vorschulalter. Man kann das spielerisch tun,
mittlerweile gibt es gute Bilderbücher dafür. Außerdem vermeiden Eltern
spätere mögliche Vorwürfe der Kinder: Ihr habt mich belogen. Warum habt ihr
mir das nicht erzählt?
2 Mar 2015
## AUTOREN
(DIR) Simone Schmollack
## TAGS
(DIR) BGH-Urteil
(DIR) Väter
(DIR) Samenspende
(DIR) Kinder
(DIR) Reproduktionsmedizin
(DIR) Samenspende
(DIR) Familie
(DIR) Unterhalt
(DIR) Vaterschaft
(DIR) Sibylle Lewitscharoff
(DIR) Samenspende
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Zentrales Register für Samenspender: Auskunftsrecht für Kinder
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) plant ein
Samenspender-Register, um Kindern das Recht auf die Kenntnis ihrer Herkunft
zu sichern.
(DIR) Urteil am Bundesgerichtshof: Willens- statt Zeugungsakt
Männer, die einer Samenspende für ihre Frau oder Freundin zustimmen, müssen
Unterhalt für ein so gezeugtes Kind zahlen. Das entschied der BGH.
(DIR) Mit Samenspende zur Familie: Einfacher wäre es, ihn zu vergessen
Sonja und Mathias bestellen das Sperma eines Fremden, um eine Familie zu
gründen. Der Umgang damit fällt nicht immer leicht.
(DIR) Kommentar Rechte von Scheinvätern: Kein Name, kein Geld
Ein Kuckucksvater will vom leiblichen Väter den Unterhalt zurück, den er
für das Kind gezahlt hat. Zu Recht? Das ist keine rein juristische Frage.
(DIR) BGH-Urteil zu Samenspenden: Kinder dürfen Vaternamen erfahren
Egal, wie alt ein Kind ist, es hat das Recht, den Namen des biologischen
Vaters zu wissen. So urteilt der Bundesgerichtshof. Zwei Schwestern hatten
geklagt.
(DIR) Lewitscharoff über Retortenkinder: Sibylles schwarze Fantasien
Auf der Lit.Cologne wollte Lewitscharoff einen Roman vorstellen. Aber
geredet wurde über „Halbwesen“. Sie bedauert die Formulierung – die Aussage
nicht.
(DIR) Computerkonzern gegen Spender: HP wirft Ein-Mann-Spermabank raus
Er ist der wohl berühmteste Spermaspender der Welt. Seinem Arbeitgeber HP
war das wohl zu viel Berühmtheit: Er kündigte Trent Arsenault.