# taz.de -- Kommentar Rede Netanjahu: Ein gewiefter Stratege
       
       > Den engsten Bündnispartner USA brüskiert und den Iran dämonisiert: Was
       > genau will der israelische Premierminister Netanjahu eigentlich? Viel.
       
 (IMG) Bild: Breitseiten auf allen Kanälen: Israelis diskutieren über Netanjahus Worte.
       
       Wie verzweifelt muss jemand sein, [1][um eine solch absurde Rede zu
       halten], wie der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu am
       Dienstagabend vor dem US-Kongress in Washington zum iranischen
       Nuklearprogramm?
       
       Eine Rede, gespickt mit vom eigenen Geheimdienst Mossad längst widerlegten
       Lügen und Übertreibungen. Und eine Rede voller Anwürfe gegen die USA,
       immerhin seit der Gründung Israels vor fast 70 Jahren der wichtigste
       Verbündete des Landes. Nancy Pelosi, demokratische Fraktionschefin im
       Abgeordnetenhaus und bislang wahrlich nicht als Kritikerin der israelischen
       Politik aufgefallen, empfand die Rede als „so selbstgefällig und
       beleidigend“, dass sie „mit den Tränen gekämpft“ habe.
       
       Netanjahus Auftritt habe sie „an Dr Strangelove erinnert“, meinte die
       bekannteste Politikjournalistin der USA, Christiane Amanpour in Anspielung
       auf Stanley Kubricks berühmte Kalte-Kriegs-Satire. Darin löst ein
       paranoider, von sowjetischen Angriffsabsichten überzeugter US-General
       beinahe einen Atomkrieg aus.
       
       Möglicherweise war Netanjahus Auftritt in Washington aber keineswegs
       paranoid, sondern entsprach – inklusive des Affronts gegen die
       Obama-Administration – einem kühlen Kalkül. Zum einen kurzfristig, um
       seinen Sieg bei den Wahlen in knapp zwei Wochen zu sichern. Denn angesichts
       des weitgehend demolierten Linksliberalismus in Iraels spielt sich der
       Kampf um die wahlentscheidenden Stimmen nur noch innerhalb des Blocks aus
       rechtskonservativen, rechtsradikalen, nationalreligiösen und orthodoxen
       Parteien ab.
       
       Wobei jede der in diesem Block versammelten Parteien die je andere rechts
       zu überholen trachtet: je nationalistischer, je populistischer, je
       fremden-, europa- und weltfeindlicher, desto besser.
       
       ## Verhandlungen über das iranische Nuklearprogramm gefährdet
       
       Zum zweiten könnte Netanjahu mit seiner Beschwörung der angeblich drohenden
       iranischen Atombombe als wichtigster und einziger Herausforderung im Nahen
       und Mittleren Osten von seiner desaströsen, selbstzerstörerischen
       Palästina-Politik ablenken, die tatsächlich die größte Gefährdung darstellt
       für eine gesicherte Existenz Israels.
       
       Das ist Netanjahu schon einmal gelungen, nachdem US-Präsident Barak Obama
       in seiner Kairoer Rede vom April 2009 eine „gerechte Zweistaatenlösung“ zum
       Ziel seiner Administration erklärt und von Israel den vollständigen Stopp
       des völkerrechtswidrigen Siedlungsbaus im Westjordanland verlangt hatte.
       
       Auch diesmal könnte Netanjahus Kalkül aufgehen. Das von ihm vehement
       bekämpfte Abkommen zum iranischen Nuklearprogramm ist keineswegs in
       trockenen Tüchern. Mit seiner Rede hat Netanjau die Republikaner in ihrer
       Absicht ermuntert, mit ihrer Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses neue
       Sanktionen gegen Teheran zu verhängen.
       
       Das könnte die laufenden Verhandlungen über das iranische Nuklearprogramm
       gefährden und Iran im Extremfall sogar dazu bewegen, das im November 2013
       mit den fünf Vetomächten des UN-Sicherheitsrates und Deutschland (P5+1)
       vereinbarte Zwischenabkommen aufzukündigen und das seitdem eingefrorene
       Programm zur Urananreicherung wieder hochzufahren. Das würde Netanjahu dann
       erst Recht als „Beweis“ dienen für die Atombombenabsichten Irans.
       
       Doch selbst wenn die Verhandlungen zwischen Teheran und den P5+1 bis zur
       gesetzten Frist Ende März eine Vereinbarung erbringen sollten, ist ein
       Abkommen noch längst nicht ratifiziert und in Kraft, die von Teheran
       angestrebte Aufhebung der Wirtschaftssanktionen ist noch nicht vollzogen.
       Die Kongressrepublikaner in Washington werden dem verhassten Präsidenten
       Obama diesen außenpolitischen Erfolg nicht gönnen und eine Ratifizierung
       des Abkommens mit Teheran bis zum Ende seiner Amtszeit im Dezember 2016
       verweigern.
       
       Das könnte dazuführen, dass die Hardliner in Teheran den Verhandlungskurs
       von Präsident Hassan Rohani beenden und der Iran wieder auf
       Konfrontationskurs mit den USA geht. Nicht auszuschließen, dass Netanjahu
       nicht nur seine Wiederwahl zum Premierminister gewinnt, sondern sich am
       Ende – nicht zuletzt dank seiner Rede vom Dienstag – auch als Sieger über
       Obama fühlen wird.
       
       4 Mar 2015
       
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