# taz.de -- McQueen-Modeausstellung in London: Die Eleganz des Klumpfußes
       
       > Das Victoria and Albert Museum in London feiert den Designer Alexander
       > McQueen. Die spektakuläre Ausstellung inszeniert Kleidung als
       > Performance.
       
 (IMG) Bild: Kleidung war für Alexander McQueen identisch mit Performance.
       
       LONDON taz | Man hat die Ausstellungsstücke, die Jacketts, Hosen, Kleider,
       Schuhe, den Schmuck und den Kopfputz schon hundertmal gesehen, auf
       Fotografien und in Videos. Schließlich stammen sie von Alexander McQueen,
       dem begnadeten Mode-Anarchisten.
       
       Und „Alexander McQueen: Savage Beauty“, die Retrospektive, die 2011 New
       York überwältigte und die, überarbeitet und um 66 Exponate ergänzt, am
       Wochenende in London eröffnete, ist entsprechend der großen, ikonischen,
       eben massenmedial tausendmal und mehr gezeigten Stücke organisiert, wie
       Andrew Bolton, Kurator der Ausstellung im New Yorker Metropolitan Museum,
       sagt.
       
       Tatsächlich hat man die Jacketts, Hosen, Kleider, Schuhe, den Schmuck und
       den Kopfputz nie gesehen. Diese Erkenntnis trifft einen wie der Schlag,
       steht man ihnen nun im Victoria and Albert Museum in London gegenüber. Erst
       vis-à-vis der Stücke, wenn man noch ein Fädchen aus der Vordernaht hängen
       sieht, also ganz genau sieht, wie eine Vielzahl kugeliger Erhebungen aus
       dunkelbraunem harten Leder einen hellbraunen Lederbody überzieht, auf
       dessen Schultern anstelle von Epauletten kleine präparierte Krokodilsköpfe
       überraschen, erklärt sich einem in bestürzender Deutlichkeit der
       Einfallsreichtum McQueens.
       
       Elsa Schiaparelli mag ihn inspiriert haben, doch McQueens Ideen erscheinen
       auf merkwürdige Weise sehr viel handfester und naturalistischer zu sein als
       die der surrealistischen Tradition. Wie alle großen Modeschöpfer reizen ihn
       die Veränderung der Körperproportionen, die Neukonstruktion des Bauchs, der
       Taille oder der Hüften, die Verlängerung des Oberkörpers, die ihm mit
       seiner berühmt-berüchtigten „Bumster“-Hose aus der „Nihilism“-Kollektion
       (Frühjahr/Sommer 1994) gelang, deren Bund so weit unten auf der Hüfte saß,
       dass kein Hemd darin zu halten und die Pofalte zu sehen war.
       
       ## 
       
       ## Auf Kuhhörner gebettet
       
       Wie er selbst sagte, entwickelte er seine Entwürfe aus der
       Silhouettenansicht des Körpers heraus, der seine Fantasie auch als nur
       virtueller, versehrter oder übergewichtiger Körper beschäftigte, wie der
       Auftritt der Journalistin und Erfinderin der Fetisch-Club-Nacht „The Skin
       Two Rubber Ball“, Michelle Olley, als Schlussbild von „Voss“ zeigte, der
       Frühjahr/Sommer-Schau 2001. Sinnlich-nackt und fett ruhte sie auf einem mit
       Spitzen bedeckten Sofa aus riesigen Kuhhörnern. Die Szene zitierte die
       Fotografie „Sanitarium“ von Joel Peter Witkin. Wie Witkins Protagonistin
       trug auch Olley eine (nun metallene) Schweinekopfmaske, durch die sie mit
       einem Luftschlauch atmete, während sie Motten umschwirrten.
       
       Michelle Olleys Auftritt ist nun auf dem Hintergrundmonitor einer Vitrine
       zu sehen, die einige der spektakulärsten Entwürfe McQueens ausstellt: das
       berühmte rote Kleid mit dem Oberteil aus 2.000 von Hand eingefärbten, mit
       einem Loch versehenen und einzeln auf den Unterstoff aufgenähten
       Glasobjektträgern und dem weiten Rock aus Straußenfedern aus der
       „Voss“-Kollektion und ebenfalls daraus ein bemalter Mantel aus grüner Seide
       mit sehr hohem Kragen, aus dem ein riesiger Bauch aus grünen Straußenfedern
       hervorquillt, was die Trägerin selbst einer Motte anzuverwandeln scheint.
       
       Auch ursprünglich fand „Voss“ in einer beidseitig verspiegelten Vitrine
       statt. Die Zuschauer sahen daher, blickten sie auf den Laufsteg, zunächst
       nur sich selbst. Wechselte das Licht, sahen sie die Models, die wiederum
       die Zuschauer nicht sahen und sich scheinbar ganz ungeniert im Spiegel
       herrichteten. Wie McQueen bekannte, konzipierte er immer zuerst die
       Laufstegschau, erst danach entwickelte er eine Vorstellung der Kollektion.
       Vielleicht bedingte es diese unorthodoxe Vorgehensweise, dass die Kleider
       immer mit dem Niveau der Schau mithielten, gleichgültig, wie spektakulär
       sie war.
       
       Oft waren sie als reine Show Pieces für den einmaligen Auftritt entworfen.
       Das berühmte rote Kleid, dessen Herstellung sechs Arbeitswochen beansprucht
       hatte, erwachte auf dem Laufsteg für keine zwei Minuten zum Leben. Danach
       wurde es noch ein Mal von der Sängerin Björk während eines Konzerts
       getragen, wobei sie es dank der Glasobjektträger als Perkussionsinstrument
       einsetzte.
       
       ## Eine Karriere in zehn Themenräumen
       
       Der Mann hinter den tollen Einfälle, Lee Alexander McQueen, 1969 als
       jüngstes von sechs Kindern in Lewisham, Südlondon, geboren, wuchs in
       einfachen Verhältnissen auf. Das Handwerk, das seinen provokativen
       Entwürfen zugrunde lag, lernte er in der Savile Row, wo er 1984, mit 16
       Jahren, eine Lehre bei Anderson & Sheppard, dem Schneider von Prinz
       Charles, begann. Nach Stationen beim Kostümbildner Berman’s and Nathan’s,
       dem japanischen Modedesigner Koji Tatsuno und bei Romeo Gigli schrieb er
       sich 1990 am Central Saint Martins College of Art and Design ein. Gleich
       mit seiner Abschlusskollektion 1992 „Jack the Ripper Stalks His Victims“
       gewann er die Stylistin Isabella Blow für sich. Sie war für seine weitere
       Karriere entscheidende Muse und Mentorin.
       
       Auch wenn man sich zeitlich manchmal ein bisschen sortieren muss:
       Richtigerweise folgt „Savage Beauty“ nicht in chronologischer Folge den
       Kollektionen. Stattdessen übernahm Claire Wilcox, die Kuratorin der
       Londoner Schau, das New Yorker Konzept der zehn Themenräume, die je einen
       Schwerpunkt im Schaffen des Modedesigners beleuchten.
       
       Nur der erste, extra für London eingerichtete und daher auch „London“
       betitelte Raum ist den drei frühesten Kollektionen gewidmet und zeigt
       Kleidungsstücke, die seit ihrer Uraufführung nicht mehr zu sehen waren.
       Betonwände und Gitterglasfenster spielen mit der Ästhetik der Lagerhäuser
       im Eastend, wo McQueen sein Atelier hatte und „The Birds“ (Frühjahr/Sommer
       1995), „Highland Rape“, die berüchtigte Herbst/Winter-Kollektion des
       gleichen Jahres, und die Frühjahr/Sommer-Kollektion 1996 „The Hunger“
       vorstellte.
       
       Schaustück in „The Hunger“ – und in vielen Variationen zentrales Stück in
       McQueens Schaffen bis zuletzt – war ein doppelwandiger, durchsichtiger
       Plexiglas-Torso, in dem lebende Würmer herumkrochen. Dieser solide
       Harnisch, der realistisch am Model Laura Morgan abgeformt war, konnte bei
       späteren Kollektionen mit Schmetterlingen bestückt oder aus Metallringen
       geformt sein; vielleicht war er am schönsten einem Chitinpanzer gleich aus
       dunklem Leder, insofern das Wünschenswerte der Verwandlung der Frau in
       einen flotten Käfer hier endlich verständlich war.
       
       ## Dämonischer Umbau
       
       Die großartige Erfahrung von „Savage Beauty“ liegt eben darin, noch einmal
       die Lust zu spüren am fantastischen bis dämonischen Umbau unseres Körpers,
       etwa an der unübertrefflichen Eleganz des Klumpfußes, wie ihn McQueen noch
       2010, vor seinem Freitod, in der Frühjahr/Sommer-Kollektion „Plato’s
       Atlantis“ auf den Laufsteg stellte. In New York blieb das Metropolitan
       Museum in den letzten Ausstellungswochen bis Mitternacht geöffnet, um den
       Andrang der Leute zu bewältigen. 17.000 Karten für die stolze Summe von 50
       US-Dollar pro Ticket ließen die Menschen auch am Montag ins Haus, wo es
       sonst geschlossen ist. Am Ende zählte die drei Monate dauernde Schau
       660.000 Besucher.
       
       In London werden nicht weniger Leute die schwarzen Leder- und
       Spitzenfantasien von McQueens Romantic Gothic sehen wollen, die Schultern
       mit Krokodilsköpfen und Gazellenhörnern seines Romantic Primitivism oder
       den rot-grünen Tartan-Rausch von Schottenkaros in seinem Romantic
       Nationalism. Das glanzvolle, dunkle Herz der Ausstellung schließlich ist
       das Cabinet of Curiosities. In der doppelstöckigen Wunderkammer voll
       flimmernder Monitore sind in kleinen Wandkabinetten all die wunderbar
       exzentrischen Accessoires zur Schau gestellt, für die die besten Kunst- und
       Modehandwerker, wie etwa der Hutmacher Philip Treacy oder der Goldschmied
       Shaun Leane, mit McQueen zusammenarbeiteten.
       
       Im Zentrum aber rotiert das ehemals weiße Kleid, das nun eine Puppe trägt,
       die einst die Ballerina Shalom Harlow spielte, als sie sich zwischen zwei
       Industrierobotern im Kreis drehte, die ihr Kleid mit giftgrüner und
       schwarzer Farbe besprühten.
       
       Ein schönes Bild, das die Stärke der Museums-Schau versinnbildlicht.
       Kleidung, das war für Alexander McQueen identisch mit Performance. So wild
       und furios, wie sie der dickliche Mode-Athlet in die Welt brachte: Das ist
       unwiederbringlich vorbei. Aber sie noch einmal so romantisch, gespenstisch
       automatenhaft im Kreis drehen zu lassen, das gelingt „Savage Beauty“
       allemal.
       
       16 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Brigitte Werneburg
       
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