# taz.de -- Punk und Mode: Kalkulierte Kaputtheit
       
       > Angepunkte Couture: Die Ausstellung „Punk: Chaos to Couture“ in New York
       > spürt dem Einfluss der Subkultur auf die Haute Couture nach.
       
 (IMG) Bild: Die Puppen tanzen nicht: Raum in der Ausstellung „Punk: Chaos to Couture“.
       
       Heute hängen T-Shirts im New Yorker Metropolitan Museum, für deren Tragen
       man in den 70er Jahren in London noch verhaftet wurde. Im konkreten Fall
       war das ein T-Shirt mit zwei unten herum nackten Cowboys. Alan Jones hatte
       es an, Verkäufer in Vivienne Westwoods und Malcolm McLarens Boutique „Sex“
       auf der Kings Road. Insgesamt 18 T-Shirts wurden beschlagnahmt. Westwood
       und McLaren mussten vor Gericht. Die Anklage klang schon damals herrlich
       altmodisch: „Having willfully exposed to full view an indecent exhibition“,
       hieß es. Das britische Pendant zur „Erregung öffentlichen Ärgernisses“.
       
       Jetzt sind die bedruckten, ausgefransten und zerlöcherten T-Shirts mit
       ihren provozierenden Statements das Kernstück der Ausstellung „Chaos to
       Couture“ am Costume Institute des Metropolitan Museum, und gerade die
       Älteren unter den Besuchern nicken ihnen zu wie alten Bekannten. Vivienne
       Westwood mag sich selbst heute als letzten echten Punk begreifen, aber sie
       ist auch diejenige, die Punkmode als Erste seriell produziert hat und damit
       einen bis heute erstaunlich großen Markt begründet hat – für etwas, das man
       als echter Punk eigentlich selber macht. Besser: kaputtmacht.
       
       Die Ausstellung zeigt die Einflüsse des Punk auf die High Fashion. Zwei
       Drittel der Exponate stammen aus den Jahren 2006 bis heute: Punk ist der
       größte und hartnäckigste Einfluss einer Jugend- und Subkulturbewegung auf
       die Mode, obwohl die Bewegung in seiner ursprünglichen Form
       gesellschaftlich keine Rolle mehr spielt. Der Punklook ist in den letzten
       Jahren auf dem Laufsteg präsenter als auf der Straße, seine Lightversion
       mal ausgenommen. Zerfetzte Jeans, Nietengürtel, T-Shirt und Lederjacke:
       jedes Kind trägt das heute.
       
       John Lydon, besser bekannt als Johnny Rotten von den Sex Pistols, der einen
       Beitrag zum Ausstellungskatalog beigesteuert hat, ist richtig sauer über
       diesen Einheitslook, den er schon an den Ramones nicht mochte. Die hätten
       eh geklungen wie Status Quo und ausgesehen wie durchschnittliche
       Heavy-Metal-Typen. Lydon hat das Geschäft mit dem Punk schon zu Vivienne
       Westwoods Anfängen skeptisch gesehen: „In der Sekunde, in der du sagst,
       ,das ist Punk‘, ist es das nicht.“
       
       ## Anderswo heißt so etwas B-Ware
       
       Soll es auch nicht sein, zumindest nicht in dieser Ausstellung, wo „Dolce &
       Gabbana“ dransteht oder „Givenchy“. Ist es übrigens auch dann nicht mehr,
       wenn es sich um ein Original von damals handelt wie das Sid-Vicious-Shirt,
       das gerade für 1.500 Dollar bei eBay zum Verkauf steht und dessen Zustand
       lustigerweise als „Super! Keine Risse, Löcher oder Flecken. Altersgemäße
       Tragespuren“ beschrieben wird. Punks kaufen keine T-Shirts für 1.500
       Dollar, schon gar keine Punk-Shirts.
       
       Was aber kann dann die angepunkte Couture? Und wie ist die Herangehensweise
       der High-Fashion-Labels an die Ästhetik des Kaputten? Schließlich machen
       Punks etwas kaputt, das daraufhin noch kaputter geht. Wo man Löcher in
       Strickpullover schneidet, entstehen Laufmaschen und größere Löcher. Egal,
       der Pullover kam ja wahrscheinlich aus der Altkleidersammlung. Modeschöpfer
       wie Karl Lagerfeld fangen dagegen schon mit einem teuren Ausgangsmaterial
       an, dem in aufwendigen Arbeitsschritten Beschädigungen zugefügt werden,
       aber nur bis zu einem bestimmten Grad.
       
       Kalkulierte Kaputtheit kennt einen Höhepunkt. Wird dieser überschritten,
       ist alles dahin. Die perfekte Zerlöcherung muss also mit wahnsinnigem
       Aufwand konserviert werden, es darf auf keinen Fall ernsthaft etwas
       zerreißen. Es ist kein punktypisches Eigenleben drin für so ein
       Kleidungsstück.
       
       Es gibt da ein Bouclékostüm von Chanel, das zunächst von Hand mit
       unzähligen Löchern versehen wurde. Jedes Loch bekam dann einen unsichtbaren
       Saum. Den Saum darf man natürlich deshalb nicht sehen, weil das Kostüm ja
       sonst auf uncoole Art repariert aussehen würde. Es ist noch komplizierter
       als mit diesen ganzen Make-up-Artisten, die einem versprechen, dass man
       nach stundenlangem Schminken total ungeschminkt aussieht und trotzdem
       toller als je zuvor.
       
       Rei Kawakubo, die das japanische Avantgarde-Mode-Label Comme des Garçons
       führt, hat es sich da etwas einfacher gemacht: ihre Pullover wurden gleich
       löchrig gestrickt. Die Löcher sind eigentlich nur sehr große Abstände
       zwischen den Maschen, ein grobes Strickmuster eben. Manchmal, wenn Kawakubo
       die für ihr Label gewebten Stoffe zu perfekt sind, lässt sie an den
       Webstühlen Schrauben lockern, um Unregelmäßigkeiten zu erzeugen. Anderswo
       heißt so etwas B-Ware und dem Facility Manager des Webstuhls würde gehörig
       der Marsch geblasen. Bei Kawakubo werden die Fehler zum einzigartigen
       Merkmal.
       
       ## Müllsäcke aus Hightechstoff
       
       So obskur diese Ideen sind: Sie machen High Fashion aus. Es wird
       tatsächlich gerade da richtig interessant, wo das Zusammengetackerte des
       Punk auf höchste handwerkliche Ebenen geführt wird, von wo aus dann
       dekonstruiert wird. Und es wirkt überflüssig, wenn Modedesigner mit den
       Mitteln des Punk Punk machen wollen, anstatt mit ihren hochprofessionellen
       Näh-, Web- und Sticktechniken. Was will man mit einem echten Müllsack von
       Martin Margiela?
       
       Dann doch lieber der Hightechstoff von Alexander McQueen, der genauso
       aussieht wie der schwarze Müllsack auch, sich aber seidig anfühlt und
       luftdurchlässig ist. Von den müllsackfernen Schnitten ganz zu schweigen,
       die McQueen’schen Kleider sind die reinsten Ballroben, prachtvoll für die
       bösen Bienenköniginnen.
       
       Oder Hedi Slimanes messerscharfe Schnitte: Für Dior Homme kopierte er 2002
       die Hemden mit dem Blutfleck auf der Brust, die die Heartbreakers 1975
       getragen haben. Was an den Heartbreakers ein bisschen nach Rocky Horror
       Picture Show aussah, verwandelte sich bei Slimane in ein
       ehrfurchteinflößendes Ensemble, mit dem James Bond in die Oper gehen
       könnte.
       
       Erstaunlich sind die Ähnlichkeiten bei den Entwürfen der Labels, die sich
       in den letzten Jahren besonders gern mit Metallelementen einrüsten.
       Auffällig wurde das, seit Designer dort das Sagen haben, die ungefähr zu
       der Zeit geboren wurden, als Punk groß war. Es scheint einen Wettbewerb
       darin zu geben, wie viele Nieten man auf einer Lederjacke unterbringen
       kann. Die Lederjacke selbst ist fast immer die gleiche, typische
       Bikerjacke. Meistens gewinnt Christophe Decarnin von Balmain mit
       geschätzten 5.000 Nieten, aber einmal bäumt sich auch Christopher Bailey
       für Burberry auf – das Leder der Jacke ist vor Metall nicht mehr zu sehen.
       Gegen Balmain sieht originaler Punk zurückhaltend aus – und die Lederjacke
       von Joe Strummer von The Clash beinahe preppy.
       
       Trotzdem kommt Balmain hier irgendwie landpomeranzenhaft rüber, so wie
       Hollywoods bestverdienende Jungschauspielerin Miley Cyrus, die das Label
       gerne trägt und mit ihrer Kakadufrisur aussieht wie eine typische
       Spielerfrau. Damit tritt Balmain am ehesten Versaces Erbe an – das von
       goldenen Sicherheitsnadeln zusammengehaltene hochgeschlitzte Kleid, das Liz
       Hurley 1994 über Nacht berühmt machte, als sie darin Hugh Grant zur
       Premiere von „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ begleitete, ist ebenfalls
       in der Ausstellung zu sehen.
       
       Etwas unbehaglich fühlt man sich vor den zahlreichen Exponaten von John
       Galliano für Dior. Als wäre den Ausstellungsmachern nicht ganz wohl dabei,
       dem in Ungnade gefallenen Modeschöpfer eine so große Bühne zu geben, stehen
       seine Kleiderpuppen nun eng in eine Ecke gequetscht. Ironischerweise wirken
       die mit Zeitungsseiten bedruckten Kreationen plötzlich so abgerissen, wie
       Galliano es ursprünglich einmal gemeint hatte.
       
       Daneben findet sich eine ganze Reihe von Puppen, die Rodarte tragen, das
       Label von Kate und Laura Mulleavy. Die Textur von Punk wird hier aggressiv
       in filigrane Mode übersetzt. Dabei überzeugen die Patchworkpullover aus
       zerrissener Spitze, Netz und manche aus langhaarigem Mohair, halb
       transparent, aber eigentlich alles bedeckend, vollends. Schlägt man dann
       den Katalog auf, sieht man den gleichen Pullover, nur aus deutlich weniger
       kostbaren Materialien, am Clash-Bassisten Paul Simonon, Ende der 70er.
       
       Ein weiteres Wiedersehen gibt es mit Miguel Adrover und seinem „I Love New
       York“-Kleidchen, das 1999 in der Modewelt Aufsehen erregte. Adrover hatte
       das 10-Dollar-Shirt mit dem roten Herz, das es an jeder Ecke zu kaufen
       gibt, mit elfenhaften, gerüschten Puffärmeln ausgestattet und ein Minikleid
       daraus gemacht. Aus einem billigen Touristenmitbringsel mit einfachen
       Mitteln etwas so Poetisches und Exklusives zu machen – das ist am Ende
       vielleicht mehr im Geist von Punk als jede Killerniete.
       
       25 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ophelia Abeler
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Punk
 (DIR) Mode
 (DIR) Punk
 (DIR) Ausstellung
 (DIR) Punk
 (DIR) Bambi
 (DIR) Miley Cyrus
 (DIR) Musik
 (DIR) Pharrell Williams
 (DIR) Punks
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) 40 Jahre Ramones: Sei lieb zu Mama, iss koschere Salami
       
       Vor 40 Jahren erschien das Debütalbum der Ramones. 40 Gründe, der Punkband
       zu huldigen: von Einzählen bis Aufhören.
       
 (DIR) McQueen-Modeausstellung in London: Die Eleganz des Klumpfußes
       
       Das Victoria and Albert Museum in London feiert den Designer Alexander
       McQueen. Die spektakuläre Ausstellung inszeniert Kleidung als Performance.
       
 (DIR) Nachruf Tommy Ramone: Esst koschere Salami
       
       Renitenter Gesichtsausdruck, die Gitarrenhälse lugen aus Plastiktüten
       hervor - das letzte Original-Mitglied der Ramones ist gestorben.
       Erinnerungen.
       
 (DIR) Lagerfeld-Schau im Folkwang-Museum: Bühne für die Selbstvermarktung
       
       Die Essener Institution hat Aufmerksamkeit nötig, und eine
       Lagerfeld-Ausstellung kommt da gerade recht. Doch das Folkwang gerät zum
       bloßen Showroom.
       
 (DIR) Bambi-Medienpreis 2013: Hanf, Glanz und Lampedusa
       
       Die Verleihung des Echo... äh, Bambi 2013 ist in Berlin zu Ende gegangen:
       Preise gingen an ein Integrationsprojekt, eine Flüchtlingsaktivistin, Miley
       Cyrus und andere Promis.
       
 (DIR) Verleihung der MTV Video Music Awards: Die pervertierte Blüte der Jugend
       
       Britney Spears reloaded: Bei den MTV Video Music Awards hat's Miley Cyrus
       übertrieben. Auf der Bühne gab der einstige Engel eine Billig-Strip-Nummer.
       
 (DIR) Autobiografie von Duran-Duran-Bassist: Vierhundert Seiten Langzeittherapie
       
       Mit Duran Duran wurde John Taylor zum Teenieschwarm, seine Biografie zeugt
       von einem stürmischen Starleben. Eine Begegnung in London.
       
 (DIR) Ausstellung "Slapstick!": Die Melancholie der Tortenschlacht
       
       Die Slapstick-Komödie der Stummfilm-Ära ist mehr als bloßer Klamauk: Ihre
       Verbindungen zur zeitgenössischen Kunst setzt das Kunstmuseum Wolfsburg in
       Szene.
       
 (DIR) Recycling-Mode auf der Fashion Week: Müll macht schick
       
       US-Superstar Pharrell Williams stellt seine nachhaltige Mode vor. Auf der
       Berliner Fashion Week geriert er sich mit einem Recyclingprodukt.
       
 (DIR) Punks in Indonesien: Freiwillige Pogo-Pause
       
       Das größte muslimische Land der Welt hat eine vielfältige Punkszene, aber
       die stößt auf wenig Gegenliebe: Punks landen in Umerziehungslagern.