# taz.de -- Gangsta-Rap aus Bonn: Der Xatar-Baba
       
       > Goldraub, Street Credibility und Hochschulabschluss: Giwar Hajabi alias
       > Xatar neues Album „Baba aller Babas“ erscheint am 1. Mai.
       
 (IMG) Bild: Heute steckt Xatar seine Energie lieber in die Musik.
       
       Der bullige Rapper trägt Jogginganzug, Sonnenbrille, eine rasierte Glatze
       und einen Spitzbart, der ihn aussehen lässt wie den Bösewicht aus einem
       orientalischen Märchen. Giwar „Xatar“ Hajabi hat zum Gespräch in seine
       neuen Kölner Büroräume geladen.
       
       Die letzten Jahre verbrachte der 33-Jährige in verschiedenen Gefängnissen
       in Nordrhein-Westfalen, weil er mit fünf Komplizen einen Goldtransporter
       überfallen und Edelmetall im Wert von 1,7 Millionen Euro erbeutet haben
       soll. Von dem Gold gibt es bis heute keine Spur.
       
       Viereinhalb der acht Jahre, zu denen Xatar verurteilt wurde, saß er
       tatsächlich ab. Aus dem Gefängnis heraus veröffentlichte er ein Album und
       wurde zur Kultfigur auf den Pausenhöfen. Zu Weihnachten 2014 kam er auf
       Bewährung frei, wenige Wochen später kündigte er ein neues Album an.
       Seitdem dominiert es die Vorbestelllisten der Versandhändler.
       
       Die limitierte Fan-Box hat die Form eines Goldbarrens. Nachdem Vorreiter
       wie Azad und Bushido deutschen Gangsta-Rap in den nuller Jahren bei seiner
       jungen Zielgruppe populär machten, brachen Künstler wie Kollegah,
       Haftbefehl oder Farid Bang in den letzten Jahren neue Verkaufsrekorde. An
       den Erfolg will Xatar nun anknüpfen. „Ich bin hungrig“, sagt er. Ein
       Top-5-Charteinstieg scheint ihm sicher.
       
       Die Geschichte von Giwar Hajabi reicht zurück in den Iran. Kurz nach der
       Revolution wurde er in einem kleinen Dorf an der irakischen Grenze als Sohn
       eines Lehrerehepaars geboren. Ein paar Jahre später musste die kurdische
       Familie während des Ersten Golfkriegs über den Irak nach Frankreich und
       weiter nach Deutschland flüchten.
       
       ## Kindheit im Asylbewerberheim
       
       Als Giwar fünf Jahre alt war, landeten sie in einem Asylbewerberheim am
       Brüser Berg, einem verrufenen Hochhausviertel am Bonner Stadtrand. „Als
       Kind war es cool dort“, sagt Xatar. „Ich hatte viele Freunde, Migranten wie
       Deutsche. Mein Vater hat sich für unsere Bildung stark gemacht und sich
       auch gegenüber den Lehrern für mich eingesetzt. Die haben sich damals schon
       gewundert, dass da kein Obstverkäufer kam, sondern jemand, der gut Deutsch
       konnte und selbst Lehrer war.“
       
       Als Giwar in die Pubertät kam, trennte sich der Vater von der Mutter und
       verließ die Familie. Mit ihm verschwand die Strenge aus dem Elternhaus.
       Doch in einem Viertel wie Brüser Berg ist es wichtig, dass man als
       Jugendlicher abends in der Wohnung bleibt, sonst gerät man schnell in
       falsche Kreise.
       
       Als ältestes männliches Mitglied der Familie verspürte Giwar den Druck,
       seiner Mutter zu verschaffen, wovon sie seiner Meinung nach träumte: Haus,
       Flachbildfernseher, Reisen in die Heimat. Er sah, wie die Älteren am Block
       ihre krummen Geschäfte machten und scheinbar Erfolg hatten. Bald wollte
       Giwar auch dort mitspielen.
       
       Mit 14 Jahren kam er zum ersten Mal in den Jugendarrest. „Das war aber eher
       wie Schullandheim“, sagt er. „Daher hatte ich nie Angst vor dem Knast. Ich
       hätte auch nie gedacht, dass ich mal länger reingehen würde.“ Die Jungs aus
       dem Viertel waren für ihn wie eine Familie. Wenn einer vor Gericht stand,
       bezahlten die anderen die Anwälte.
       
       Eine größere Nummer in der lokalen Bande wurde zu seiner Ersatzvaterfigur.
       Die Dinge nahmen ihren Lauf. Zehn Jahre später lag gegen Giwar, der
       zeitweilig auch ein Internet-Café betrieb, ein Haftbefehl wegen Verdachts
       auf organisierten Drogenhandel vor. Bis die Angelegenheit von seinem Anwalt
       geklärt werden konnte, harrte er in London bei Verwandten aus und schrieb
       sich an der Uni ein.
       
       Nach zwei Jahren im Exil kehrte er 2007 zurück. Parallel zu seiner
       kriminellen Karriere hatte Giwar den amerikanischen HipHop für sich
       entdeckt. Mit einfachen Computerprogrammen schusterte er mit Freunden vom
       Brüser Berg eigene Beats zu unbeholfenen Raps. Hier half ihm der
       Klavierunterricht, auf dem sein Vater immer bestanden hatte.
       
       Xatar gründete seine eigene Plattenfirma mit dem bezeichnenden Namen „Alles
       Oder Nix Records“ und veröffentlichte 2008 sein gleichnamiges Debütalbum.
       Eines der Musikvideos drehte er seinerzeit im Oberlandesgericht Köln, auch
       sein damaliger Strafverteidiger spielte im Video mit. In dem Song drohte
       Xatar „Verrätern“, die bei der Polizei aussagen, mit Blutrache.
       
       ## Erste Erfolge
       
       Xatar feierte erste Erfolge in der HipHop-Szene, spielte Konzerte, bekam
       eine Filmrolle und ging auf sehr viele Partys. Auf einer dieser Partys
       wurde er von einem Vertreter eines Getränkeherstellers eingeladen, nach Los
       Angeles zu einem Event in Hugh Hefners berüchtigter „Playboy Mansion“ zu
       fliegen. Dort kam es zu einem Übergriff auf eine Frau. Xatar sagt, man habe
       ihm was in den Drink gekippt und er habe diesen Drink dann versehentlich
       über das Kleid jener Frau verschüttet, worauf die beleidigend und
       handgreiflich geworden sei.
       
       Gegenüber der Polizei sagte die Frau, Xatar habe ihr ins Gesicht geschlagen
       und die Nase gebrochen. Die Polizei wollte Xatar direkt einbuchten, doch
       mit Hilfe der deutschen Botschaft gelang ihm die Flucht über Mexiko und
       Panama. Das mag sich wie eine Räuberpistole anhören, doch es ist nur eine
       von vielen absurden Geschichten im Leben des Giwar Hajabi.
       
       Wenige Monate nach dem Vorfall in L.A. geschah jener Überfall, der Xatar
       für die nächsten Jahre ins Gefängnis bringen sollte. Zu dieser Zeit hatte
       er aufgrund seines Lebensstils größere Schulden. Er bekam die Möglichkeit,
       kurzfristig 200.000 Euro zu verdienen – zu fünft, ohne einen Menschen
       verletzen zu müssen.
       
       Das Gericht sah es später als erwiesen an, dass er und seine Mittäter im
       Dezember 2009 auf der Autobahn bei Ludwigsburg einen Goldtransporter
       angehalten, sich als Polizisten ausgegeben und die Fahrer in Handschellen
       gelegt hatten und mit der Ladung verschwunden waren.
       
       Xatar flüchtete über Russland, wo er Verwandte hatte, in den Irak, während
       sein Anwalt mit den deutschen Behörden verhandelte. Im Irak wurde er nach
       eigener Aussage vom Geheimdienst gefoltert, weil man ihm das Gold abluchsen
       wollte. Als er nach drei Monaten schließlich ausgeliefert wurde, machte man
       ihm in Deutschland den Prozess und verurteilte ihn zu acht Jahren
       Gefängnis.
       
       Wenn er heute so vor einem sitzt, dann wirkt Xatar nicht unbedingt wie der
       typische Straßengangster. Giwar Hajabi hat studiert, spricht sechs Sprachen
       und gibt sich höflich, jovial und eloquent. Auch wenn man ihn sicher nicht
       zum Feind will. Er sagt: „Ich habe in meinem Leben viele asoziale Sachen
       gemacht.“ Heute steckt er seine Energie jedoch vollständig in die
       Produktion und Vermarktung seiner Musik.
       
       Während er die Songs seines neuen Albums vorspielt, schließt er die Augen
       und rappt leise mit. Im Gespräch schwärmt er von der Musikalität von
       Künstlern wie Marteria oder Casper, nur um kurz darauf die Basslines von DJ
       Quik zu analysieren. Viele seiner Beats produziert er unter dem Namen The
       Breed selbst.
       
       ## Zum zweiten Album mit geschmuggeltem Diktiergerät
       
       2012 nahm Xatar sein zweites Album „Nr. 415“ mit einem ins Gefängnis
       geschmuggelten Diktiergerät auf, seine Freunde von AON Records stellten es
       draußen fertig. Trotz mäßiger Aufnahmequalität stieg es in die Top 20 der
       deutschen Albumcharts ein.
       
       Sein neues, drittes Album „Baba aller Babas“ ist ein gutes Rap-Album –
       keines, das wie die Platten von Marteria oder Casper das Genre nachhaltig
       verändern wird, aber glaubwürdiger Gangsta-Rap mit musikalischen Bezügen
       auf alte Helden wie The Notorious B.I.G. und Dr. Dre, aber auch auf
       aktuelle Figuren wie Rick Ross.
       
       In seiner Musik bereut Xatar nichts. Doch wenn er auf jüngere Fans treffe,
       dann halte er sie durchaus an, den rechtschaffenen Weg einzuschlagen, sagt
       er. Er diskutiere mit ihnen über Kriminalität, über Flüchtlingspolitik oder
       darüber, dass die Lehre des Islamischen Staats seiner Ansicht nach nicht
       mit dem Koran vereinbar ist. Ohne erhobenen Zeigefinger und in der Sprache,
       die die Jugendlichen vom Brüser Berg und anderswo kennen und verstehen.
       
       Sie nehmen ihn ernst, weil er weiß, wovon er spricht. Die Rapper Ssio und
       Schwesta Ewa, die bei ihm unter Vertrag stehen, haben es in den letzten
       Jahren, als Xatar im Gefängnis war, bereits zu bescheidenem Erfolg
       gebracht. Man spürt, dass dieser Mann einen langfristigen Plan hegt. Kein
       Wunder: Zum ersten Mal seit seiner Kindheit befindet sich Xatar nicht auf
       der Flucht.
       
       30 Apr 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stephan Szillus
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Neues Album
 (DIR) Gefängnis
 (DIR) Gangsta-Rap
 (DIR) Deutscher Hip Hop
 (DIR) Rap
 (DIR) Schwerpunkt Fridays For Future
 (DIR) HipHop
 (DIR) HipHop
 (DIR) LKA
 (DIR) Rapper
 (DIR) Pop
 (DIR) Musik
 (DIR) Rap
 (DIR) Schwerpunkt Frankreich
 (DIR) Musik
 (DIR) Rap
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) „Rheingold“ im Kino und auf TikTok: Wie ein Siegtor in der 95. Minute
       
       Das Xatar-Biopic „Rheingold“ von Regisseur Fatih Akın begeistert vor allem
       auch migrantische Jugendliche. Sie definieren das Kinoerlebnis neu.
       
 (DIR) Chefket gegen „Fridays for Future“: Klima retten nur für weiße Deutsche
       
       Rapper Chefket wirft der Schüler*innenbewegung Rassismus vor. Die
       hatte ihn für ein Konzert angefragt – und wieder ausgeladen.
       
 (DIR) Tattoo-Studio von Rapper Gzuz: Das Ghetto unter der Haut
       
       Der Rapper Gzuz und seine 187 Straßenbande haben ein Tattoo-Studio am
       Corner in Hamburg eröffnet. Ein Ortstermin.
       
 (DIR) Kinofilm „Straight Outta Compton“: Wertschöpfung von unten
       
       Das Programm von „Straight Outta Compton“ ist klar: Hier geht es um
       HipHop-Geschichte. Dr. Dre und Ice Cube wollen das letzte Wort haben.
       
 (DIR) Album „Compton“ von Dr. Dre: Im Westen nichts Neues
       
       Dr. Dre erfand den G-Funk, dann verdiente er sein Geld lieber mit
       Kopfhörern. Jetzt ist sein drittes Studioalbum erschienen.
       
 (DIR) Ermittlungen gegen Johnny Mauser: LKA scheitert an diesem Internet
       
       Weil die Polizei nicht wusste, wie Johnny Mauser wirklich heißt, wollte sie
       sein Label durchsuchen. Durfte sie nicht – denn sein Name ist ergooglebar.
       
 (DIR) Rapper Casper: Selfies, Süppchen und Salätchen
       
       Casper weiß, wie Selbstdarstellung im Internet funktioniert. Und
       beantwortet dort alle Fragen, die man niemals gestellt hätte.
       
 (DIR) Debütalbum von Pop-Projekt Erfolg: Ein Mann, ein Wort
       
       Gute Aussichten für Erfolg. Der Musiker Johannes von Weizsäcker legt das
       Debütalbum seines Berliner Kunst-Pop-Projekts Erfolg vor.
       
 (DIR) Denyo über HipHop, Alter, Arbeit: „Die Opferhaltung ist typisch deutsch“
       
       Das letzte Rap-Album von Denyo ist zehn Jahre her. Nun erscheint „Derbe“.
       Ein Gespräch über unlockere Frauen, besoffene Fans und bekiffte Aliens.
       
 (DIR) Rap und Islam: Mutterficker und Dschihadisten
       
       Es sollte eine Diskussion sein. Doch während das Podium in der Berliner
       Berghain-Kantine nur Klischees reproduzierte, war das Publikum
       unterfordert.
       
 (DIR) Französisches Musik-Video: Baby-Rapper, die mit Waffen fuchteln
       
       In ihrem Video werden Pistolen gezückt. Die Gruppe Sarcelleslite rappt
       gewaltverherrlichende Texte – sie sind kaum älter als 13 Jahre.
       
 (DIR) HipHop-Duo Zugezogen Maskulin: Widersprüche aushalten
       
       Machen selbst HipHop, finden dessen Vorstellungswelten von heute allerdings
       scheiße: Zugezogen Maskulin und ihr zweites Album „Alles brennt“.
       
 (DIR) Xatars Rap-Album mit Gimmick: Gold für die Fans
       
       Ende 2014 wurde Rapper Xatar aus dem Knast entlassen. Er saß fünf Jahre
       wegen Goldraubs. Jetzt liegt seinem Album ein Goldzahn bei.
       
 (DIR) Haftbefehl auf Tour: Der Babo wollte es wissen
       
       Mit der „Lass die Affen aus'm Zoo“-Tour gastierte Haftbefehl in der
       Berliner Astrahalle. So richtig warm wurde er mit dem Publikum nicht.