# taz.de -- Ringen um Aufnahme von Flüchtlingen: Solidarität. Ausnahmsweise.
       
       > Die EU-Kommission will Quoten zur Verteilung von Flüchtlingen einführen.
       > Die Dublin-Regelung soll trotzdem bleiben.
       
 (IMG) Bild: Syrische Flüchtlinge erreichen Griechenland – wo das Asylsystem komplett überlastet ist.
       
       BRÜSSEL/BERLIN taz | Ist das die Rache von Jean-Claude Juncker? Beim
       EU-Flüchtlingsgipfel im April war ein Vorschlag der Juncker-Behörde
       gescheitert, ein [1][Quotensystem zur Aufnahme von Migranten in allen 28
       EU-Staaten] einzuführen. Die Staats- und Regierungschefs waren strikt
       dagegen. Juncker schäumte: Kanzlerin Angela Merkel und ihre Amtskollegen
       hätten nur „Symbolpolitik“ gemacht.
       
       Nun kommt die Idee wieder auf den Tisch: Juncker hat sie in sein
       „Migrationspaket“ verpackt, das am Mittwoch in Brüssel präsentiert wird.
       Wie im April versuchen auch nun wieder einige Staaten, den Vorschlag zu
       torpedieren. Doch diesmal scheint Juncker besser gerüstet: Offenbar will er
       sein Maßnahmenpaket über eine Notfallklausel des EU-Vertrags durchdrücken –
       mit qualifizierter Mehrheit. Einzelne EU-Länder könnten den Plan dann nicht
       mehr stoppen, das Europaparlament hätte keine Mitsprache.
       
       Das Eilverfahren ergibt Sinn. Denn sowohl in der größten Fraktion des
       Parlaments, der konservativen EVP, als auch im Ministerrat baut sich eine
       Abwehrfront gegen die Quoten auf. Angeführt wird die Mauerfraktion vom
       britischen Premier David Cameron, der sich durch seinen Wahlsieg in der
       vergangenen Woche bestätigt fühlt. „Das Vereinigte Königreich hat eine
       stolze Geschichte des Asyls“, sagte ein Sprecher des britischen
       Innenministeriums. „Aber wir glauben nicht, dass ein verpflichtendes
       Ansiedlungsprogramm die Antwort ist.“ Die EU solle sich stattdessen auf die
       [2][Bekämpfung von Schlepperbanden] konzentrieren.
       
       Bei diesem Kampf geht London bereits munter voran. Im UN-Sicherheitsrat in
       New York brachte Großbritannien im Namen der EU einen Antrag ein, der
       Militäreinsätze gegen Schlepperboote möglich machen soll. Die Schiffe
       sollen mit Waffengewalt versenkt werden, bevor sie Flüchtlinge aufnehmen
       können – London möchte so den „Ansturm“ auf Europa beenden und die
       Quotendebatte im Keim ersticken.
       
       ## Dublin überfordert Mittelmeeranrainer
       
       Ganz ähnlich sehen das viele mittel- und osteuropäische Länder. Lettland
       sei gegen Flüchtlingsquoten, sagte Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma.
       Besser sei es, die Grenzen stärker zu überwachen. Ungarn und Tschechien
       machen ebenfalls die Schotten dicht. Und Bulgarien und Rumänien haben
       bereits jetzt so viele Probleme, dass sogar die eigenen Landsleute gen
       Westeuropa fliehen.
       
       Bisher kommen nur wenige Flüchtlinge in Großbritannien oder Lettland an.
       Denn nach dem Dublin-Verfahren müssen Asylbewerber in dem Land bleiben, in
       dem sie zuerst den Boden der EU betreten haben. Das überfordert aber Länder
       wie Italien oder Griechenland, wo die meisten Flüchtlinge ankommen. Viele
       reisen nach Deutschland oder Schweden weiter.
       
       Die Quoten, die die EU-Kommission am Mittwoch vorschlagen will, sollen nun
       für eine gerechtere Verteilung sorgen – aber nur ausnahmsweise bei
       besonderen Notlagen. Basis für die Verteilung der Asylbewerber sollen dabei
       Kriterien wie die Wirtschaftsleistung, die Bevölkerungszahl, die
       Arbeitslosenquote und die bisher aufgenommenen Asylbewerber sein.
       „Solidarität muss geteilt werden“, sagte eine Kommissionssprecherin in
       Brüssel.
       
       Das umstrittene Dublin-System solle aber nicht abgeschafft werden, so die
       Sprecherin weiter. „Wir werden am Mittwoch erklären, wie die Pläne
       innerhalb des Dublin-Systems funktionieren.“ Der 16-seitige Entwurf, der
       der taz vorliegt, sieht vor, dass die Dublin-Regeln in Kraft bleiben und
       2016 „evaluiert“ werden. Dafür will die EU in einem zweistufigen Verfahren
       besonders bedrängten Ländern beistehen. „Wir dürfen nicht warten, bis der
       Druck unerträglich wird“, heißt es in dem EU-Papier.
       
       ## „Pflock europäischer Solidarität“
       
       Noch im Mai will die Kommission vorschlagen, in welchem Ausmaß die übrigen
       EU-Staaten Ländern an den Außengrenzen Flüchtlinge noch vor Aufnahme des
       Asylverfahrens abnehmen. Die Mitgliedstaaten sollen diese Plätze freiwillig
       bereitstellen. Eine Größenordnung wird in dem Entwurf nicht genannt. In
       einem früheren EU-Papier war von 5.000 Plätzen die Rede. Ende des Jahres
       soll dann eine verbindliche Regelung beschlossen werden, auch hier aber nur
       für vorübergehende Notfälle. Wo ein solcher vorliegt, wollen Rat und
       Kommission dann gemeinsam entscheiden.
       
       „Die Kommission darf sich nicht von der Blockadehaltung einiger
       Mitgliedstaaten einschüchtern lassen“, sagte die grüne EU-Abgeordnete Ska
       Keller. Der Verteilungsschlüssel für Notfälle sei ein „wichtiger Pflock für
       europäische Solidarität“, nötig sei aber anstelle von Dublin ein gerechtes
       Asylsystem, in dem alle Staaten gleichermaßen Verantwortung übernehmen.
       
       Der Juncker-Vorschlag enthält auch Maßnahmen, um die legale Zuwanderung von
       qualifizierten Arbeitskräften in die EU-Staaten zu erleichtern. Als
       Pilotprojekt ist eine Anlaufstelle für Flüchtlinge in Niger geplant, wo
       Menschen Schutz finden und sich für die Aufnahme in Europa bewerben können.
       Parallel treibt die EU ihre Pläne zur Kriminalisierung von Schleppern
       voran. Das Geschäft mit dem Leid der Flüchtlinge sei „nicht nur ein
       humanitärer Notstand, sondern auch eine sicherheitspolitische Krise“, sagte
       die EU-Außenvertreterin Federica Mogherini.
       
       Um der Flüchtlingskrise zu begegnen, sei die EU auf eine Partnerschaft mit
       den Vereinten Nationen angewiesen. Im Sicherheitsrat gibt es allerdings
       noch Vorbehalte gegen die Brüsseler Pläne, militärisch gegen Schlepper
       vorzugehen. Vor allem Russland ist dagegen, auch in Afrika stößt das
       EU-Vorhaben auf Skepsis.
       
       12 May 2015
       
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