# taz.de -- Von der Leyen und Meloni: Liebe auf den zweiten Blick
       
       > EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und Italiens Ministerpräsidentin
       > Meloni scheinen sich prächtig zu verstehen. Sie brauchen einander.
       
 (IMG) Bild: Die Chemie scheint zu stimmen: Giorgia Meloni (r.) und Ursula von der Leyen bei einem Treffen im vergangenen April
       
       Brüssel/Rom taz | Eigentlich sollte man meinen, dass
       EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu den Letzten gehört, die
       Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni einfallen, wenn sie an Europa
       denkt. Schließlich hatte Italiens postfaschistische Regierungschefin noch
       im Europawahlkampf 2014 den Ausstieg aus dem Euro gefordert.
       
       Noch 2021 giftete sie in ihrer Autobiographie „Io sono Giorgia“ („Ich bin
       Giorgia“) Richtung Brüssel, es sei „ein Spielplatz von Technokraten und
       Bankiers, die es sich auf dem Rücken der Völker gut gehen lassen“ „Dieses
       ‚falsche Europa‘, verkörpert von den gemeinsamen Institutionen der EU, ist
       utopisch und potenziell tyrannisch“.
       
       Und steht nicht ausgerechnet von der Leyen an der Spitze „der aktuellen
       Europäischen Union, einer undefinierten Entität in den Händen obskurer
       Bürokraten, die über die nationalen Identitäten hinweggehen, ja sie sogar
       auslöschen wollen“? Eigentlich schien programmiert, dass es zwischen den
       beiden Spitzenfrauen knirschte oder auch richtig krachte.
       
       Schließlich hatte von der Leyen bei ihrem Amtsantritt 2019 versprochen, die
       europäischen Werte entschlossen zu verteidigen. Ungarn und Polen nahm die
       CDU-Politikerin wegen Rechtsstaats-Verstößen ins Visier, Italien galt wegen
       des Rechtsrucks und der hohen Schulden als Wackelkandidat. Wenn der
       parteilose Ministerpräsident Mario Draghi abtreten sollte, könne das Land
       zur Gefahr für die EU werden, hieß es in Brüssel.
       
       ## Polemik gestrichen
       
       Doch schon im italienischen Wahlkampf im Jahr 2022 hatte Meloni vorgebaut
       und die Polemik gegen die EU aus allen Reden gestrichen. So hielt sie es
       auch, als sie im Oktober 2022 vor dem Parlament die programmatischen Linien
       ihrer Regierung darlegte. Selbstverständlich würden die europäischen
       Verträge, würden auch die dort niedergeschriebenen Verpflichtungen Italiens
       zur Haushaltsdisziplin eingehalten, verkündete sie nun.
       
       Und auch an ihrer Haltung im Ukraine-Krieg ließ sie keine Zweifel
       aufkommen: Unter ihrer Regierung stehe Italien weiterhin fest an der Seite
       der Ukraine. Selbstverständlich war das nicht. Denn ihre postfaschistische
       Partei Fratelli d’Italia (FdI – Brüder Italiens) hatte sich zwar seit
       Beginn des Konflikts eindeutig gegen Russland positioniert, doch ihre
       beiden kleineren Koalitionspartner, Forza Italia unter Silvio Berlusconi
       sowie Matteo Salvinis Lega, hatten immer durch große Nähe zu Russlands
       Präsidenten Wladimir Putin geglänzt. Meloni aber machte umgehend klar, dass
       die Positionierung Italiens auf diesem Feld allein Chefinnensache sei.
       
       Die Vorarbeit hat sich ausgezahlt. Als von der Leyen im Januar 2023 zum
       bilateralen Gipfel mit Meloni nach Rom anreiste, gab es statt Spannungen
       freundliche Umarmungen. Die beiden Frauen strahlten um die Wette, die
       Kommissionspräsidentin teilte per Tweet mit, es sei einfach „ein Vergnügen,
       Giorgia Meloni zu treffen“, und die erwiderte, die Begegnung sei eine „sehr
       gute Gelegenheit für einen Meinungsaustausch“ gewesen.
       
       So gut jedenfalls hatte es den beiden gefallen, dass sie in der Folgezeit
       laufend neue Treffen organisierten, ja dass sie immer wieder auch gemeinsam
       auf Reisen gingen, mit den immer gleichen Bildern, auf denen sie sich
       herzlich begrüßen, inklusive Wangenküsschen.
       
       ## Neues „Team Europe“
       
       Im Juni und gleich darauf im Juli 2023 flogen Meloni und von der Leyen –
       beide Male begleitet vom niederländischen Premier Mark Rutte – nach Tunis,
       um mit dem tunesischen Präsidenten Kais Saied darüber zu verhandeln, wie
       der, im Interesse Europas ebenso wie Italiens, die Flüchtlinge an der Fahrt
       übers Mittelmeer hindern könne.
       
       Ein neues „Team Europe“ war geboren. So nennt von der Leyen die Grüppchen
       von EU-Politikern, die sich auf unbekanntes Terrain vorwagen und auch schon
       mal Tabus brechen. Nun war die Asyl- und Flüchtlingspolitik dran – eines
       der heißesten Eisen der EU-Politik, mit dem Nationalisten und
       Rechtspopulisten regelmäßig gegen Brüssel mobil machen.
       
       Meloni hatte in dieser Frage die Initiative ergriffen – und sie brauchte
       von der Leyen, um dem tunesischen Präsidenten dank EU-Geldern ein
       attraktives Angebot unterbreiten zu können. In der Sache waren sich die
       beiden Frauen einig, wie auch im März 2024, als die zwei sich nach Kairo
       aufmachten, in gleicher Mission.
       
       Statt in Europa abseits zu stehen, war Meloni so auf dem Feld der
       Flüchtlingspolitik mitten drin, Schulter an Schulter mit von der Leyen. Von
       der gab es dann auch ein großes Kompliment, als [1][die italienische
       Regierung mit Albanien die Errichtung zweier italienischer Flüchtlingslager
       auf albanischem Boden aushandelte]. Das sei „ein Modell“ für Europa, freute
       sich die Kommissionspräsidentin.
       
       ## Willkommenes Gegengewicht
       
       Die deutsche EU-Politikerin braucht Italien, um in der Flüchtlingspolitik
       zu punkten – einem Feld, bei dem sie bisher kaum Erfolge vorweisen kann.
       Von der Leyen braucht Meloni aber auch, um sich ein wenig von Deutschland
       und Frankreich zu lösen. Präsident Emmanuel Macron hatte sie 2019 in ihr
       Brüsseler Amt gehievt, Kanzler Olaf Scholz will sie auf deutsche Ziele etwa
       in der Industriepolitik verpflichten. Mit Meloni verfügt von der Leyen über
       ein willkommenes Gegengewicht.
       
       Die beiden können einander aber auch mit Blick auf die Zukunft nützlich
       sein. [2][Schließlich will von der Leyen auch nach den EP-Wahlen ihren Job
       als Kommissionspräsidentin fortsetzen]. Sie erinnert sich nur zu gut an
       ihre Wahl vor fünf Jahren. Damals erreichte sie ein denkbar knappes
       Resultat von nur neun Stimmen über der absoluten Mehrheit im EP. Weitere
       Unterstützer*innen sind ihr deshalb hochwillkommen.
       
       Und Meloni wiederum ist von der Leyens Suche nach Unterstützung willkommen.
       Mit ihren Postfaschisten von der FdI sitzt sie in der europäischen Fraktion
       EKR (Europäische Konservative und Reformer), die bisher im Machtgefüge
       Brüssels am Rande standen und von den das Spiel beherrschenden Fraktionen
       eher als Schmuddelkinder betrachtet wurden. Denn neben FdI gehören auch die
       polnische PiS, die Schwedendemokraten und die Franco-Nostalgiker der
       spanischen Vox dazu.
       
       Die Brücke hin zur EVP, der christkonservativen Familie in der EU, zu
       schlagen, war und ist Meloni ein wichtiges Ansinnen. Am 24. Februar dieses
       Jahres fuhr sie, wieder einmal an von der Leyens Seite, nach Kyjiv, um von
       dort aus per Videoschalte einen G7-Gipfel zu moderieren.
       
       ## Ergeiziges Ansinnen
       
       Und sie konnte verbuchen, dass ihre beharrliche Arbeit bei von der Leyen
       Früchte getragen hatte. Die nämlich mochte von einem Veto gegen die
       Zusammenarbeit mit der EKR-Fraktion nicht reden, sondern ließ wissen, „ich
       arbeite mit den Pro-EU-, Pro-NATO-, Pro-Ukraine-Parteien“ – ein Kriterium,
       das Meloni und ihre FdI allemal erfüllen.
       
       Meloni wiederum durfte sich von der katholischen Tageszeitung Avvenire mit
       den Worten zitieren lassen, Italien müsse „in dem Europa, das entscheidet,
       dabei sein“.
       
       Und so führt sie ihren Europawahlkampf gegenwärtig auch mit dem ehrgeizigen
       Ansinnen, in Straßburg und Brüssel eine Koalition ganz genauso wie in Rom
       aufzulegen, sprich eine Allianz, in der ihre EKR genauso dabei wäre, aber
       auch von der Leyens EVP (zu ihr gehört neben CDU/CSU auch die Forza
       Italia). Selbst die ID-Fraktion, in der Melonis Koalitionspartner, Matteo
       Salvinis Lega, an der Seite des Rassemblement National oder der FPÖ sitzt,
       könnte so hoffähig werden.
       
       In Brüssel kommt diese Aussicht nicht gut an. Linke, Grüne,
       Sozialdemokraten und sogar die Liberalen warnen vor einem Rechtsbündnis im
       neuen Europaparlament. Bei der ersten und letzten TV-Debatte der
       Spitzenkandidaten forderte der sozialdemokratische Frontrunner Nicolas
       Schmit von der Leyen auf, endlich Farbe zu bekennen und die gefährliche
       bündnispolitische „Grauzone“ zu verlassen.
       
       Doch die denkt gar nicht daran. Meloni habe sich zu Europa, zur Ukraine und
       zum Rechtsstaat bekannt und damit alle Voraussetzungen für eine
       Zusammenarbeit erfüllt, erklärte sie. „Sie ist wirklich pro-europäisch und
       gegen Putin. Wenn das so bleibt, werden wir auch weiter zusammenarbeiten.“
       Schließlich braucht es im neuen EU-Parlament auch eine neue Mehrheit. Und
       da sind Meloni und ihre rechten Koalitionspartner unverzichtbar geworden –
       auch für von der Leyen.
       
       29 May 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eric Bonse
 (DIR) Michael Braun
       
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