# taz.de -- Stark steigende Preise: Solidarität? Ja, aber für alle!
       
       > Die Regierung erwartet von der Bevölkerung, Sanktionen gegen Russland
       > mitzutragen. Aber auch bei der Verteilung der Lasten braucht es
       > Solidarität.
       
 (IMG) Bild: Besser, wenn eine Fliege über die Stirn läuft, als eine Laus über die Leber
       
       Diese Woche ging es für Olaf Scholz bergab – nach dem Besuch bei den netten
       Skandinavier:innen kamen der Holocaust-Vergleich von [1][Mahmud Abbas]
       und die Befragung im Cum-Ex-Untersuchungsausschuss. Für die Mehrheit der
       Menschen lief es umgekehrt. Zum Wochenbeginn mussten die
       Verbraucher:innen die Nachricht verdauen, dass sie künftig [2][2,4 Cent
       mehr für die Kilowattstunde] zahlen müssen, um die Verluste der
       Gasversorger aufzufangen.
       
       Das kann für einen Vier-Personen-Haushalt Mehrkosten von bis zu 500 Euro
       pro Jahr bedeuten – zusätzlich zu fetten Preissteigerungen. Am Donnerstag
       aber verkündete Scholz, dass die Mehrwertsteuer auf Erdgas ab Oktober auf 7
       Prozent gesenkt wird, was zumindest die Mehrbelastungen durch die
       Gasumlage locker ausgleicht. Und weitere Entlastungen sind in Sicht, die
       Arbeit am dritten Paket sei fast beendet, teilte Bundesfinanzminister
       Christian Lindner mit. Die Aussichten also heiter? Nicht ganz.
       
       Denn was die Regierung da vorlegt, wirkt wie Stückwerk, nicht wie ein
       schlüssiges Gesamtkonzept. Die fehlende Regierungserzählung bedroht den
       gesellschaftlichen Zusammenhalt. Denn all die Zuschüsse und Entlastungen
       müssen die Menschen ja am Ende mit bezahlen, nämlich über ihre Steuern. Und
       da stellt sich immer drängender die Frage der solidarischen Finanzierung
       der Krise, sprich nach den Einnahmequellen des Staats.
       
       Es wäre ein gutes Signal, wenn die Regierung nun auch diejenigen in den
       Blick nimmt, die in und von der Krise profitiert haben oder die so ein
       dickes Polster haben, dass ihnen die Krise egal sein kann. Die Instrumente
       sind bekannt und in der Diskussion. Eine [3][Übergewinnsteuer], die die
       unverhofften Profite etwa der Ölkonzerne abschöpft, deren Margen infolge
       des Ukrainekriegs wundersam gestiegen sind.
       
       ## Bereit für Abstriche
       
       Eine [4][Studie des Netzwerks Steuergerechtigkeit] zeigt, dass der Staat
       mit einer solchen befristeten Abgabe bis zu 100 Milliarden Euro kassieren
       könnte. Oder eine Vermögensabgabe, die die reichsten 0,5 Prozent der
       Gesellschaft in die Mitverantwortung nimmt. Die Parlamentarische Linke der
       SPD-Fraktion hatte Anfang August erneut einen Vorschlag in den Debattenraum
       geworfen, der Mehreinnahmen von 300 Milliarden Euro verspricht.
       
       Grüne und SPD sind für solche Vorschläge offen. Beide Parteien haben im
       Bundestagswahlkampf noch dafür geworben. Doch Lindner und seine FDP wollen
       weder Steuern erhöhen noch in nennenswerter Höhe zusätzliche Schulden
       aufnehmen. Lindner verweist auf den Koalitionsvertrag und ist sich der
       Rückendeckung des Kanzlers gewiss. Zusätzlich hat er vor der Sommerpause
       einen Haushalt vorgelegt, der 50 Milliarden Euro an Einsparungen vorsieht,
       unter anderem bei Sprachkitas und Langzeitarbeitslosen.
       
       Dagegen regt sich Widerstand. Zu Recht. Doch soziale Proteste können
       schnell gefährlich abdriften. Die Stimmen von rechts aber auch von links,
       die Scholz und Co. für Energiekrise und Inflation infolge des
       Ukrainekriegs verantwortlich machen, statt den Aggressor Russland, werden
       lauter. Man müsse sich mit Putin aussöhnen und die schädlichen Sanktionen
       beenden, so die Forderung bei Montagsdemos in Erfurt.
       
       Dass die Sanktionen gegen Russland die Überlebensversicherung der Ukraine
       sind, spielt dabei keine Rolle. Noch trägt die Mehrheit der Deutschen –
       laut infratest waren es im Juli knapp 60 Prozent – die Sanktionen mit. Im
       Osten Deutschlands ist die Stimmung aber bereits gekippt, hier sagen nur
       noch 40 Prozent der Menschen, dass sie Sanktionen trotz möglicher Nachteile
       unterstützen.
       
       Die Bundesregierung fordert zu Recht von der Bevölkerung, sich solidarisch
       mit der Ukraine zu zeigen, wo russische Truppen Wohnhäuser bombardieren,
       Zivilisten morden und Millionen Menschen zur Flucht zwingen. Die meisten
       Deutschen sind bereit zu Abstrichen. Sie erwarten aber, dass Solidarität
       für alle gilt, auch bei der Verteilung der Lasten. Der Koalitionsfrieden
       darf SPD und Grünen nicht wichtiger sein als der soziale Frieden im Land.
       Sie müssen sich bei der Haushaltsaufstellung gegenüber ihrem Partner FDP
       durchsetzen.
       
       19 Aug 2022
       
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