# taz.de -- Spitzelaffäre um Umweltaktivisten: Ausspioniert vom eigenen Freund
       
       > Der Umweltaktivist Jason Kirkpatrick wurde jahrelang von seinem Freund,
       > einem Polizeispitzel, ausgespäht. Nun entscheidet ein Gericht über den
       > Fall.
       
 (IMG) Bild: Wurde ausspioniert wie ein gefährlicher Militanter: Aktivist Jason Kirkpatrick
       
       Auch nach elf Jahren lässt Jason Kirkpatrick die Geschichte mit Mark Stone
       nicht los. „So ein Arschloch“, zischt der Deutschamerikaner, der sonst so
       sachte spricht, in einem Berliner Café. „Es bleibt hart, die Sache nicht an
       einen heranzulassen.“ Mark, sein einstiger Kumpel. Mark, der Spitzel.
       
       Fünf Jahre lang besprach Kirkpatrick mit Mark Stone [1][Umweltproteste], in
       Irland, Schottland, Deutschland. 2005 lernten sie sich kennen, gemeinsam
       reisten sie mit einem Pkw zu Infotouren, sinnierten über Aktionen [2][gegen
       die G8-Gipfel] in Gleaneagles 2005 und zwei Jahre später in Heiligendamm.
       
       Sie freundeten sich an, gingen auf Partys. „Er war ein netter Kerl“,
       erinnert sich Kirkpatrick. „Kein Analytiker, aber sehr offen und lustig.“
       Kirkpatrick ließ Stone bei sich in Berlin, wo er seit 2003 lebt,
       übernachten, wenn er nach Deutschland kam. Mit einer Freundin von
       Kirkpatrick, der Britin Kate Wilson, führte Stone sogar eine zweijährige
       Beziehung.
       
       2010 enttarnten linke Aktivist:innen, dass Mark Stone [3][kein linker
       Umweltaktivist] war – sondern ein Spitzel einer Eliteeinheit der Londoner
       Metropolitan Police. Sein richtiger Name: Mark Kennedy. Jason Kirkpatrick
       wird diesen Moment nicht vergessen. Der ruhige, aber umtriebige 53-Jährige
       sitzt im Strickpullover im Berliner Stadtteil Neukölln.
       
       ## „Ich war geschockt“
       
       Seit Langem engagiert er sich in der Umweltbewegung, war in den 1990er
       Jahren in einer kalifornischen Kleinstadt grüner Vizebügermeister, heute
       ist er Öffentlichkeitsarbeiter für eine Klima-NGO. Ein Bekannter habe ihn
       damals auf das Outing auf der linken Onlineplattform Indymedia hingewiesen,
       erinnert sich Kirkpatrick. „Undercover-Polizist enttarnt“, stand da, samt
       Fotos des lächelnden Mark Kennedy mit langen Haaren und Sonnenbrille.
       
       „Ich war geschockt“, sagt Kirkpatrick. „Ich dachte, Mark wäre einer meiner
       besten Freunde. Damit hatte ich nicht gerechnet.“ Erst im Nachhinein habe
       sich erklärt, warum Kennedy immer Geld oder Laptops zur Verfügung hatte,
       warum er auch über die Umweltbewegung hinaus nach Szene-Infos fragte.
       
       Kirkpatrick lässt der Verrat bis heute keine Ruhe. Was wollte Kennedy von
       ihm? Kirkpatrick recherchierte, mit wem Kennedy noch Kontakt hatte, er traf
       sich mit Bundestagsabgeordneten, sagte vor einem britischen Richter aus,
       drehte einen Film, hielt Vorträge. Am heutigen Freitag hofft er auf einen
       juristischen Sieg: vor dem Verwaltungsgericht Schwerin, wo Kirkpatrick das
       Land Mecklenburg-Vorpommern verklagt.
       
       Schon vor Jahren hatte Kirkpatrick die Klage eingereicht, nun endlich wird
       sie verhandelt. Kirkpatrick will, dass die Bespitzelung gegen sich im
       Vorfeld der Großproteste zum G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm für
       rechtswidrig erklärt wird. Der Amerikaner koordinierte damals nach eigener
       Auskunft nur die Pressearbeit zu den Protesten. „Alles, was ich gemacht
       habe, war öffentlich“, sagt er. „Ich wurde auch sonst nie für irgendetwas
       verurteilt. Es gibt bei mir nichts Illegales. Nur das, was Kennedy gemacht
       hat, war illegal.“
       
       ## War Kennedy ein Agent Provocateur?
       
       Das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern will sich vor dem Prozess nicht
       zum Fall Mark Kennedy äußern. Es beabsichtigt eine Klageabweisung. Schon
       2011 gestand der damalige BKA-Chef Jörg Ziercke im Bundestag ein, dass
       Kennedy in Deutschland eingesetzt war. Vor dem Heiligendamm-Gipfel habe
       Mecklenburg-Vorpommern um den Einsatz eines britischen Undercover-Agenten
       gebeten, das BKA habe vermittelt. Kennedy sei letztlich mit einem Vertrag
       eingesetzt gewesen.
       
       Zudem sei er auch beim Nato-Gipfel in Baden-Baden 2009 aktiv gewesen und in
       Berlin, hier angeblich nur zur Legendenbildung. Schon früh stellte sich die
       Frage, ob Kennedy dabei nicht auch als „Agent Provocateur“ Protestierende
       aufgewiegelt haben könnte. In Heiligendamm beteiligte er sich auch an einer
       Blockade.
       
       Und in Berlin versuchte er am Rande einer Demonstration einen Container
       anzuzünden. Beides wurde strafrechtlich nicht weiter verfolgt. Kirkpatrick
       erinnert sich aber auch daran, wie Kennedy ihn in Berlin einst nach Namen
       von Neonazis fragte, die britische Aktivisten angreifen könnten.
       
       Eine Frage, die ihn damals schon stutzig gemacht habe. In der Kritik stehen
       bis heute auch Kennedys Liebesbeziehungen mit Aktivistinnen. Dazu sagte
       selbst BKA-Chef Ziercke: „Das geht gar nicht“.
       
       Warum genau Jason Kirkpatrick ins Visier von Mark Kennedy geriet, ist bis
       heute ungeklärt. Belegt ist nur, dass Kirkpatrick in einer britischen Akte
       zum Fall Kennedy mit gleich mehreren Vermerken auftaucht. Der US-Amerikaner
       berichtet, dass er mit Kennedy vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm
       Vorbereitungscamps besuchte, ihm ein Pressebüro in Rostock zeigte. Während
       der Proteste selbst hätten sie sich nicht gesehen.
       
       ## Ein Mediengesicht
       
       In der britischen Akte heißt es zu Kirkpatricks Aktivitäten beim G8-Gipfel
       in Heiligendamm: Dieser sei ein „media face“, aber nicht an der „front
       line“ oder beteiligt an „direkten Aktionen“. Offenbar war auch der Polizei
       klar, dass Kirkpatrick kein gefährlicher Militanter war. Aber Kennedy hielt
       dennoch zu ihm über Jahre Kontakt.
       
       Suchte Kennedy über Kirkpatrick Kontakte zu radikaleren Aktivist:innen? Der
       Amerikaner lässt auch das nicht gelten. „Kennedy wusste von meinen
       Freunden, meiner Familie, meinen Krankheiten. Das geht nicht, wenn den
       Behörden klar war, dass ich unbescholten bin.“
       
       Aber auch in Deutschland gibt es eine Akte des Bundesamtes für
       Verfassungsschutz zu Jason Kirkpatrick, sieben Seiten lang. Er hat sie
       selbst angefordert. Gut 30 Punkte sind dort zu ihm aufgeführt, von 2003 bis
       2012. Von Teilnahmen an „Anti-G8“-Treffen ist dort die Rede, von einem
       Demobericht von ihm auf Indymedia oder einem Vortrag im Berliner
       Abgeordnetenhaus zur Verkehrspolitik. „Was ist daran illegal?“, fragt
       Kirkpatrick. „Das ist absurd.“
       
       Das Problem: Kirkpatrick kann gegen all das im Nachhinein kaum vorgehen. In
       England wurde ihm erklärt, die Spitzeleinsätze in Deutschland müssten
       hierzulande aufgeklärt werden. In Deutschland verwies man auf
       Großbritannien. „Das ist ein Pingpong-Spiel, seit Jahren schon“, sagt
       Kirkpatrick. Mit der Klage gegen das Land Mecklenburg-Vorpommern fand er
       schließlich einen juristischen Ansatzpunkt. Seine Anwältin Anna Luczak ist
       optimistisch: „Ich sehe gute Chancen, dass wir gewinnen.“
       
       Mecklenburg-Vorpommern hätte damals nur bei Ermittlungen zu konkreten
       Straftaten ausländische Polizeikräfte einsetzen dürfen – nicht aber
       allgemein zur Gefahrenabwehr. „Es gab für Kennedys Einsatz schlicht keine
       Rechtsgrundlage. Erst recht nicht dafür, Unbescholtene wie meinen Mandanten
       auszuforschen.“
       
       ## Beziehung mit mehreren Frauen
       
       Auch in Großbritannien läuft seit 2015 eine richterliche Untersuchung zu
       Kennedys Spitzeleinsatz – und dem einer Vielzahl weiterer
       Undercover-Polizisten. Der Ausschuss untersucht Vorgänge bis zurück ins
       Jahr 1968, es geht es um die Bespitzelung Hunderter Protestgruppen und um
       gleich mehrere Frauen, die in Liebesbeziehungen verstrickt wurden.
       
       Jason Kirkpatrick sagte hier bereits einmal als Zeuge aus, eine zweite
       Aussage ist anberaumt. Er freut sich darauf. „Es gibt noch so viele Fragen,
       viele Akten sind bis heute unter Verschluss. Die Aufklärung ist bisher eine
       Schande.“
       
       Mark Kennedy selbst verschwand zuletzt aus der Öffentlichkeit. Die Polizei
       hatte er kurz vor seiner Enttarnung verlassen – blieb aber weiter in der
       Szene und arbeitete für ein privates Sicherheitsunternehmen. Er habe seinen
       Einsatz stets mit Vorgesetzten abgesprochen, beteuerte Kennedy in
       TV-Interviews.
       
       Gleichzeitig beklagte der heute 52-Jährige, von der Polizei nach der
       Enttarnung im Stich gelassen worden zu sein. Die wiederum entschuldigte
       sich zumindest für die sexuellen Aktivitäten Kennedys und anderer
       Polizeispitzel.
       
       ## Hoffnung auf Signalwirkung
       
       Ein Gericht stellte auch massive Rechtsverstöße fest: Es verurteilte die
       Londoner Polizei diese Woche zur Zahlung von 229.000 britischen Pfund an
       Kirkpatricks Bekannte Kate Wilson, die zwei Jahre mit Kennedy liiert war.
       
       Jason Kirkpatrick sagt, es interessiere ihn nicht, was Kennedy heute mache.
       Er hat ein anderes Ziel: dass die Polizeispitzeleien in der linken Szene
       aufhören – auch wenn Kirkpatrick da wenig Hoffnung hat. „Wer sagt uns denn,
       dass nicht heute auch bei Fridays for Future wieder Spitzel unterwegs
       sind?“
       
       Kirkpatrick hofft, dass ein Erfolg vor dem Verwaltungsgericht Schwerin hier
       ein Signal setzen könnte. Er wird am Freitag selbst vor Ort sein, eine
       Entscheidung wird ihm wohl wenige Tage später zugestellt.
       
       Der Verrat von Mark Kennedy macht Kirkpatrick bis heute zu schaffen. Er
       vertraue Menschen weniger, sei bei neuen Begegnungen misstrauisch, wache
       manchmal mit Albträumen auf. Vor allem aber bei den betrogenen Frauen habe
       es tiefe Verletzungen hinterlassen. „Und wofür?“, fragt Kirkpatrick. „Das
       darf so nicht weitergehen. Diese Spitzeleinsätze machen Leben kaputt.“
       
       28 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
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