# taz.de -- Pride-Parade in Berlin: CSD wird wieder politischer
       
       > Die CSD-Parade findet Ende Juli statt – aber nur digital. Das kann nicht
       > sein, findet ein Aktivist und ruft am Samstag zum alternativen CSD auf.
       
 (IMG) Bild: So dicht geht diesmal nicht …
       
       Berlin taz | Wieder gibt es eine neue Wendung in der über 40-jährigen
       CSD-Geschichte Berlins. Unter dem Motto „Save our Community, Save our
       Pride“, werden Queers am kommenden Samstag nun doch auf einer Pride-Demo
       auch durch die Straßen ziehen. Der CSD e. V. hatte zuvor angekündigt, statt
       seiner „großen“ Parade, die am 25. Juli stattfinden sollte, einen
       Pride-Stream im Internet zeigen zu wollen.
       
       Der Verein reagierte damit auf den Regierenden Bürgermeister Michael Müller
       (SPD), der im April pandemiebegründet ausgeschlossen hatte, dass der
       übliche CSD stattfinden könne.
       
       „Es kann nicht sein, dass wir den CSD nur digital machen“, erklärt jetzt
       Nasser El-Ahmad, Veranstalter des neuen alternativen CSD, der taz. Der
       junge Neuköllner ist überzeugt, dass der Protest dort hingehört, wo LGBTI*s
       häufig und vermehrt angegriffen werden: auf die Straße.
       
       El-Ahmad geht es auch darum, die politischen Wurzeln des CSD wieder mehr zu
       betonen. „Der CSD war immer politisch. Aber dass wir jetzt eine Demo
       machen, ohne die vielen Firmen, die eigentlich nichts mit der Bewegung zu
       tun haben, ohne die Party am Schluss, ist ein Zeichen dafür, dass es back
       to the roots geht.“ Ein Alkoholverbot und die Einhaltung der Abstandsregeln
       sollen das Infektionsrisiko minimieren.
       
       Eine Konkurrenz zum CSD e. V. und dem Online-Event am 27. Juli sehen weder
       El-Ahmad, noch der Vereinsvorstand Ralph Ehrlich. „Ich sehe das gelassen“,
       sagt Ehrlich der taz. „Es gab schon immer alternative und kleinere CSDs.“
       Wenn die Demonstrierenden die Abstandsregelung einhalten, will auch Ehrlich
       teilnehmen und eventuell „ein paar Worte sagen“. Er plädiert für Rücksicht
       auf vorerkrankte und besonders infektionsgefährdete Teilnehmende.
       
       ## Treffpunkte bedroht
       
       Verschiedene politische Anliegen stünden am Samstag im Fokus der
       Demonstration, erzählt El-Ahmad, den seine gewaltvolle Coming-out-Erfahrung
       zum Aktivisten und zum Protagonisten des Theaterstücks „Nasser #7Leben“
       machte. Zum einen gehe es darum, Unterstützung für die in der Krise
       bedrohten Treffpunkte der Community in Berlin zu fordern. Gerade LGBTI*s,
       wie auch er selbst, seien häufig auf selbstgewählte Familien und
       Community-Orte angewiesen.
       
       Auch die Anliegen der Black-Lives-Matter-Bewegung sollen am Samstag zentral
       sein, so El-Ahmad. Es gäbe Rassismus innerhalb der Community, „aber gerade
       auch Schwarze und trans Frauen of Color werden immer wieder Ziel von
       queerfeindlichen Angriffen.“ Am großen Stern soll es am Samstag auch eine
       Black-Lives-Matter-Demo geben, von der sich die Gruppe Black Lives Matter
       Berlin allerdings am Montag „in Übereinstimmung mit medizinischen
       Fachleuten“ distanzierte.
       
       Ein weiteres Thema des alternativen CSD ist die Solidarität mit queeren
       Menschen in Russland, der Ukraine und Polen, die unter gesellschaftlicher
       und staatlicher Repression zu leiden haben. Gerade den
       Mitveranstalter*innen, Wolfgang Beyer, Christian Pulz und Anette Detering
       ist dies ein Anliegen. Bei einer Protestveranstaltung vor dem polnischen
       Kulturinstitut hatten sie El-Ahmad kennen gelernt.
       
       „Polen war für uns in der DDR ein demokratiefreundlicher Hoffnungsträger“,
       erklärt Wolfgang Beyer der taz. „Selbst die katholische Kirche stand damals
       auf Seiten der Bürgerrechtsbewegung.“ Gerade deshalb seien die
       LGBTI*-feindlichen Entwicklungen im Nachbarland unerträglich. Beyer hofft,
       dass auch die Erfahrungen der Schwulen- und Lesbenbewegung in der DDR in
       Zukunft vermehrt Eingang in den öffentlichen Diskurs finden. Für diese
       Geschichte stehen auch Anette Detering und vor allem Christian Pulz, der
       damals – kirchlich geprägt – die ersten homosexuellen Solidaritätsgruppen
       Ostberlins organisierte.
       
       Die Siegessäule-Redakteurin und Sängerin Kaey Kiel, selbst in der DDR
       geboren und aufgewachsen, begrüßt, dass beim Straßen-CSD das ostdeutsche
       schwul-lesbische Narrativ eine Rolle spielen soll. „Wir vergessen das im
       Moment fast, aber in diesem Jahr jährt sich auch die deutsche Einheit zum
       30. Mal. Und die queere Historie in der DDR wurde lange genug unter den
       Teppich gekehrt.“
       
       Kiel, die in der Vergangenheit sowohl den alternativen transgenialen CSD in
       Kreuzberg als auch den trans* March mitorganisiert hatte, findet wichtig,
       dass es auch im Pandemiejahr einen physischen CSD gibt. „Ich finde es
       super, dass ein junger Aktivist of Color das in die Hand genommen hat.“
       El-Ahmad habe als Veranstalter den Vorteil, dass er nicht aus einem der
       verhärteten (queer-)politischen Ecken komme.
       
       Die Performerin will „auf jeden Fall“ zum CSD gehen. Sie glaubt auch, dass
       die Demonstrierenden die Abstandsregel respektieren werden. Um den
       gebotenen Abstand um sich selbst herum gewährleisten zu können hat sich die
       studierte Modedesignerin Kiel etwas besonderes einfallen lassen: Ein
       Mundschutz in den Farben der trans Flagge und ein regenbogenfarbenes Kleid
       mit einem weiten Reifrock sollen das Infektionsrisiko minimieren.
       
       26 Jun 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Hunglinger
       
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