# taz.de -- Migrationsdebatte in Europa: Wie es Dänemark macht
       
       > Deutsche Politiker*innen fordern oft eine ähnlich restriktive
       > Asylpolitik wie in Dänemark. Funktioniert das? Ein Q&A zum dänischen
       > Modell.
       
 (IMG) Bild: Kein Modell zum Nachahmen: Dänemark führt seit 2016 Grenzkontrollen zu Deutschland durch, was gegen EU-Recht verstößt
       
       Seit Jahren fordern Politiker*innen, Deutschland müsse sich in der
       Asylpolitik an Dänemark orientieren. Gerade erst hat auch CDU-Chef
       Friedrich Merz dem Kanzler diesen Tipp mitgegeben. Was ist das eigentlich,
       das „dänische Modell“? 
       
       Die Regierung der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Mette
       Frederiksen hat ein klares Ziel: „null Asylbewerber“. Dabei setzt das Land
       vor allem auf eine harte Abschiebepraxis – und auf extrem miese Bedingungen
       für diejenigen, die in Dänemark Schutz suchen. Das Signal: Geflüchtete sind
       unerwünscht.
       
       Was genau macht Dänemark? 
       
       Dänemarks Asylsystem war schon lange sehr restriktiv, wurde aber 2019 mit
       dem sogenannten Paradigmenwechsel-Gesetz nochmal massiv verschärft.
       Geflüchtete bekommen generell nur sehr prekäre, befristete
       Aufenthaltstitel. Sie sollen sich nicht integrieren (können). Die Behörden
       dürfen ihnen Geld und Schmuck bis zu einem bestimmten Wert abnehmen – was
       in der Realität aber kaum umgesetzt wird. Für Ausreisepflichtige oder
       Geduldete gibt es Abschiebegefängnisse, die weit abseits der urbanen
       Zentren liegen. Das [1][Anti-Folter-Kommittee des Europarats] erklärte, die
       Zustände etwa im Ausreisezentrum Ellebæk seien „nicht für Menschen“
       geeignet – selbst in Russland finde man bessere Bedingungen. Der
       sozialdemokratische Integrationsminister antwortete darauf, es solle dort
       eben nicht „behaglich“ sein, die Menschen sollten ja ausreisen.
       
       Das will das Land mit noch weiteren Maßnahmen klar machen. Der
       Familiennachzug ist eingeschränkt. Es gibt Rückkehrprämien von bis zu 5.400
       Euro. Außerdem gibt es ein sogenanntes Ghetto-Gesetz: In
       Brennpunktstadtteilen werden Straftaten härter bestraft, Menschen können
       [2][sogar zwangsumgesiedelt werden.] Eins der Kriterien dafür ist pauschal
       der Anteil „nichtwestlicher“ Migrant*innen. Dänemark hatte außerdem den
       Familiennachzug für Geflüchtete erst nach drei Jahren erlaubt – was der
       Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2021 für rechtswidrig erklärte.
       Und Dänemark führt seit 2016 wieder permanente Grenzkontrollen zu
       Deutschland durch – was eigentlich gegen EU-Recht verstößt.
       
       Wollte Dänemark nicht auch seine Asylverfahren nach Ruanda auslagern? 
       
       Ja, 2021 hat Dänemark ein entsprechendes Gesetz verabschiedet und intensiv
       an der Umsetzung gearbeitet. Passiert ist es dann aber nie. 2023 hat die
       Regierung ihr „Prestigeprojekt“ dann auch offiziell auf Eis gelegt. Man
       setze nun auf gemeinsame europäische Lösungen, hieß es.
       
       Stimmt es, dass Dänemark nach Syrien abschiebt? 
       
       Das droht Dänemark auf jeden Fall schon lange an. Tatsächlich hat das Land
       bestimmte Teile Syriens formal als „sicher“ deklariert und Syrer*innen
       bereits die Aufenthaltstitel entzogen. Abgeschoben wurde aber bis heute
       niemand – auch weil Dänemark keine Beziehungen zum syrischen Regime
       unterhält.
       
       Könnte man so etwas wie das dänische Modell in Deutschland überhaupt
       nachmachen? 
       
       Nein. Dauerhafte Grenzkontrollen sind wie gesagt rechtswidrig. Zweitens hat
       Dänemark nur eine Landgrenze zu kontrollieren, und zwar die nach
       Deutschland – mit einer Länge von gerade mal 68 Kilometern. Dazu kommt die
       Seegrenze zu Schweden mit 115 Kilometern. Deutschland hingegen grenzt an
       neun Nachbarstaaten. Selbst, wenn man nur die im Zentrum der Debatte
       stehenden Grenzen zu Österreich, Tschechien und Polen kontrollieren wollte,
       käme man auf 2.103 Kilometer. Und was das Asylrecht angeht: Dänemark hat
       beim Eintritt in die EU Vorbehalte im Bereich Inneres und Justiz geltend
       gemacht: Verschiedene EU-Richtlinien in Asylfragen gelten für das Land
       nicht. „Dänemark nimmt für sich Sonderregeln in Anspruch und bricht
       außerdem EU-Recht, wie bei den Grenzkontrollen“, sagt Maximilian Pichl,
       Professor für Soziales Recht an der Hochschule RheinMain. „Das können
       Politiker jetzt natürlich als Vorbild sehen – dann stellen sie aber
       ehrlicherweise das Prinzip der EU komplett in Frage.“
       
       Aber Dänemark erreicht mit dieser Politik doch seine Ziele, oder? Die Zahl
       der Asylsuchenden ist seit 2015 massiv zurückgegangen. 
       
       Ja. Dabei dürften durchaus die Grenzkontrollen eine Rolle gespielt haben.
       Allerdings zwang der Bürgerkrieg in Syrien 2015 und in den Folgejahren
       besonders viele Menschen zur Flucht – seither sind die Zahlen überall in
       der EU massiv gesunken. Vergleicht man die Statistiken Dänemarks und
       Deutschlands, ähneln sich die Kurven. Weniger eindeutig ist die Wirkung des
       sogenannten dänischen „Paradigmenwechsels“ von 2019: Seither hat sich die
       Anzahl an Asylanträgen zwar zunächst noch einmal verringert – seit 2021
       aber steigt sie sogar an. So hat sich die Zahl der Asylanträge 2022
       verdreifacht.
       
       Die Asylanträge sind das eine. Was ist mit den Abschiebungen? 
       
       Dänemark selbst betont oft, wie erfolgreich es bei Abschiebungen ist. „Aber
       auch Dänemark kann längst nicht alle Ausreisepflichtigen auch wirklich
       abschieben“, sagt Migrationsexperte Pichl. Manche Menschen säßen lange Zeit
       unter menschenunwürdigen Bedingungen in den Zentren fest, andere tauchten
       unter. Von 653 Abzuschiebenden in den vergangenen drei Jahren seien
       zivilgesellschaftlichen Initiativen zufolge 419 vom Radar der Behörden
       verschwunden. Diese bleiben dann illegal im Land – oder finden ihren Weg in
       andere EU-Staaten.
       
       Fans des dänischen Modells betonen gerne, dass durch die harte Asylpolitik
       die Rechtsaußenpartei „Dänische Volkspartei“ keine Rolle mehr spiele.
       Gerade mit Blick auf hiesige AfD-Erfolge: Ist das Modell doch ein
       Erfolgsrezept? 
       
       Nur auf den ersten Blick. 2015 erzielte die Dänische Volkspartei (DF) mit
       21 Prozent ein Rekordergebnis und wurde zweitstärkste Kraft, 2019 stürzte
       sie massiv ab und krebst inzwischen bei 2 Prozent herum. Seither haben sich
       allerdings gleich mehrere neue extrem rechte Akteure etabliert, zeigt eine
       [3][Analyse der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES)] Inzwischen sitzen drei
       radikal rechte Parteien im dänischen Parlament, ihr Stimmenanteil lag bei
       der Wahl 2022 bei knapp 15 Prozent. Lässt man das Rekordergebnis der DF im
       Jahr 2015 außen vor, ist die Bilanz deutlich: Die extreme Rechte in
       Dänemark war noch nie so stark wie heute.
       
       Aber immerhin zeigt Dänemark doch, dass es sich für sozialdemokratische
       Parteien lohnt, auf restriktive Migrationspolitik zu setzen. Oder? 
       
       Tatsächlich blieben die Sozialdemokraten bei der Wahl 2019 stabil, während
       die Rechten von 21 auf unter 9 Prozent krachten. Für viele ist das der
       Beweis, dass ein harter Kurs in der Asylpolitik ein Rettungsanker für die
       international wie auch in Deutschland strauchelnde Sozialdemokratie sei.
       Studien zeigen aber, dass die Partei vor allem mit linker Wirtschafts- und
       Sozialpolitik punkten konnte und damit, dass den Rechten in Klima- und
       Umweltfragen blank waren. Das waren die Hauptgründe für Wähler*innen, von
       der DF zu den Sozialdemokraten zu wechseln. Die besonders
       einwanderungsfeindlichen Wähler*innen hingegen blieben den Rechten treu.
       Und: Nach der Wahl 2022 ist der Migrationskurs der Regierung gleich
       geblieben, in der Sozial- und Wirtschaftspolitik aber ist sie nach rechts
       gerückt. Seither verlieren die Sozialdemokraten deutlich an Zustimmung.
       
       Also ist das alles eigentlich wirkungslos? 
       
       „Wissenschaftlich ist längst erwiesen, dass abschreckende Maßnahmen wie
       Arbeitsverbote oder gekürzte Sozialleistungen sich auf die
       Migrationsbewegungen von Geflüchteten nur sehr begrenzt auswirken“, sagt
       Pichl. Viel wichtiger seien etwa Netzwerke und Kontakte vor Ort oder ein
       funktionierender Rechtsstaat. Für Betroffene in Dänemark hingegen haben die
       Gesetze sehr konkrete Auswirkungen. Der Diskurs in Dänemark Geflüchteten
       und Migrant*innen gegenüber ist fast durchweg feindselig bis
       rassistisch. Geflüchtete leiden unter den prekären Bedingungen. Einer
       aktuellen Studie der [4][Rockwool Foundation] zufolge lebt knapp die Hälfte
       der geflüchteten Familien mit Kindern unter der Armutsgrenze. „Bestehende
       Integrationserfolge hat die dänische Regierung mit dieser Politik
       zunichtegemacht“, sagt Pichl.
       
       28 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.coe.int/de/web/cpt/about-the-cpt
 (DIR) [2] /Experiment-in-Daenemark/!5974002
 (DIR) [3] https://library.fes.de/pdf-files/bueros/stockholm/21030.pdf
 (DIR) [4] https://www.rfberlin.com/wp-content/uploads/2024/08/Absichtliche-und-unbeabsichtigte-Folgen-von-Sozialleistungskurzungen-fur-Fluchtlinge.pdf
       
       ## AUTOREN
       
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