# taz.de -- Jan Korte über R2G-Debatte: „Die Sorge, frikassiert zu werden“
       
       > Warum auch die Linkspartei Bange vor einer rot-grün-roten Regierung hat,
       > es aber dennoch wagen sollte, erklärt der Linken-Politiker Jan Korte​.
       
 (IMG) Bild: Linken-Politiker wie Jan Korte wollen, dass die Partei im Bund mitregiert. Trotz aller Ängste
       
       taz: Herr Korte, die Union hat mit ihrer Roten-Socken-Kampagne die
       Linkspartei wieder sichtbar gemacht. Haben Sie der CDU schon einen
       Blumenstrauß geschickt? 
       
       Jan Korte: Noch nicht. Ich packe vielleicht noch einen Präsentkorb. Es
       hilft uns, dass die Union ihre alten Plakate entstaubt hat.
       
       Funktioniert die Anti-Links-Kampagne denn für die Union? 
       
       Nach 16 Jahren Merkel ist die CDU vollständig entkernt. Kernkraft,
       Wehrpflicht, konservatives Familienbild, das wurde alles von Merkel
       abgeräumt. Jetzt gibt es nur noch den alten Antikommunismus, um etwas
       Gemeinsamkeit zu inszenieren. Aber das funktioniert nicht mehr.
       
       Seltsam aber, dass die Rot-Grün-Rot Debatte nicht von SPD, Grünen oder
       Linkspartei kommt, sondern von der Union im Panikmodus. 
       
       Das ist der bizarrste Wahlkampf, den ich je erlebt habe.
       
       Will die Linkspartei denn regieren? 
       
       Ich verstehe die Sorge, in einer Regierung frikassiert zu werden. Das ist
       kein linksradikales Hirngespinst. Es gibt genug Beispiele, siehe Italien
       oder Frankreich, wo linke Parteien sich ruiniert haben. Regieren ist kein
       Selbstzweck, Opposition aber auch nicht.
       
       Fast 80 Prozent der Linkspartei-Wählerinnen wollen, dass die Partei
       regiert. Warum haben Fraktion und Partei Regieren nicht besser vorbereitet?
       
       Nach 1990 ging es darum, die PDS zu verankern, nach 1998 darum, linke
       Opposition zur ersten rot-grünen Regierung zu sein. Nach 2005 haben wir die
       Linkspartei aufgebaut und die Agenda-Politik kritisiert. Da sind wir lange
       stehen geblieben.
       
       In der Fixierung auf die SPD? 
       
       Ja, kann sein. Wir waren damit sehr erfolgreich. Wir haben links von der
       Sozialdemokratie und Grünen eine sozialistische Partei etabliert. Aber
       jetzt ist Zeit für eine neue Debatte. Die müssen wir jetzt in geraffter
       Form führen. Also: Signale an die Wähler senden, aber auch auf unsere
       Identität und Geschichte achten.
       
       Warum kommt diese Debatte so spät? 
       
       Auch, weil wir mit Kompromissen diesen vielschichtigen Laden zusammenhalten
       mussten. Ehemalige ostdeutschen Eliten, klassische Linke aus
       Westdeutschland, Gewerkschafter zusammen zu binden, hat viel Energie
       absorbiert. Es gab zudem viele persönliche Verletzungen, Verhärtungen und
       Schubladendenken.
       
       Und jetzt? 
       
       Jetzt geht es erst mal darum, dass es eine Partei im Bundestag gibt, die
       sich mit denen da oben grundsätzlich anlegt – das ist noch keine
       ausgemachte Sache. Aber es gibt einen Generationswechsel in der Partei. Im
       Parteivorstand sind viele neue, junge Leute, die bei den alten Schlachten,
       etwa um Russland, die Augen verdrehen. Das ist eine Chance.
       
       Gilt das auch für die Fraktion? 
       
       Diese Fraktion hat gut gearbeitet. Wir werden viele Neue haben. Aber das
       wird keine Hippie-Runde.
       
       Scholz hat das Ja zur Nato und zur EU als Bedingung für rot-grün-rote
       Verhandlungen gemacht. 
       
       Das verbuchen wir unter Wahlkampf. Die Forderung nach Nato-Bekenntnissen
       führt in die Verblödung des Diskurses. Zu wem soll ich mich denn bekennen?
       Zur Türkei als Nato-Land, oder doch zu Griechenland? Macron hat die Nato
       für hirntot erklärt. Aber in meinem Wahlkreis kenne ich keine Arbeiter, die
       morgens zur Schicht fahren und nachdenken, wie sie aus der Nato raus
       kommen. Und ich sehe, dass die SPD-Fraktion unter Rolf Mützenich, einem
       besonnenen, klugen Mann, eine andere Außenpolitik macht.
       
       Die SPD hat sich bewegt, die Linkspartei nicht. Das hat die
       Afghanistan-Abstimmung gezeigt, bei der sich das Gros der Linksfraktion bei
       dem Mandat, Ortskräfte auszufliegen, enthalten hat. War das verantwortliche
       Außenpolitik? 
       
       Ich finde eine Außenpolitik unverantwortlich, die die Patente von Biontech
       schützt, während in Afrika von 1,3 Milliarden Menschen nicht mal zwei
       Prozent geimpft sind.
       
       Zurück zu Afghanistan… 
       
       Die Abstimmung war für mich [1][die komplizierteste und schwerste
       Abstimmung seit langem]. Aber wir haben im Juni im Bundestag mit den Grünen
       beantragt, mit den Evakuierungen zu beginnen. CDU/CSU und SPD, die uns
       jetzt Nachhilfe geben wollen, haben das abgelehnt. Wir haben mit 42
       Enthaltungen unsere Skepsis dokumentiert.
       
       Das Ergebnis war: Niemand sprach mehr über jahrelange das Nein der
       Linkspartei zum Afghanistan-Krieg. Es ging nur noch darum, dass die Partei
       stur Prinzipien über alles stellt… 
       
       Prinzipien sind in der Politik ja kein Fehler.
       
       Auch linke Grüne sagen: Damit hat die Linkspartei das Vertrauen in
       Rot-Grün-Rot zerstört … 
       
       Das ist bizarr. Die Grünen wollen doch unbedingt mit der CDU/CSU koalieren.
       Das erfüllt mich auch nicht gerade mit Vertrauen. Aber lassen wir mal diese
       Performance-Kritik. Wir haben mit SPD und Grünen Gemeinsamkeiten. Es ist
       Aufgabe pragmatischer Politik, auszuloten, was geht.
       
       Wie ist Ihr Kontakt zu SPD und Grünen? 
       
       Wenn ich eine Frage habe, weiß ich, wen ich anrufe, um eine ehrliche
       Einschätzung zu haben. Diese Offenheit ist gut. Auch zu wissen, dass das
       nicht morgen in der taz steht.
       
       Was könnte Rot-Grün-Rot verändern? 
       
       Mehr soziale Sicherheit schaffen. Der Mangel daran, ist eine Ursache der
       gesellschaftlichen Spaltung und für das Erstarken der Nazis. Zweitens:
       Infrastrukturinvestitionen, gerade im ländlichen Raum. 6.500 Kilometer
       Schiene sind seit 1990 weg, vor allem in Osten. Das müssen wir reparieren.
       Und eine Vermögenssteuer einführen.
       
       Für die Einführung einer Vermögenssteuer muss auch der Bundesrat stimmen.
       Dort gibt es keine Mehrheit dafür. 
       
       Deshalb muss man das ändern. Wir brauchen eine neue Erzählung für dieses
       Land, in der auch die Leute vorkommen, denen man Armut ansieht, für jene 25
       Prozent, die an keiner Wahl mehr teilnehmen. Dazu gehört die
       Kindergrundsicherung, dazu gehören Schwimmbäder im ländlichen Raum. Von
       beidem spricht auch Annalena Baerbock.
       
       Gegen Rot-Grün-Rot gäbe es massiven Widerstand. 
       
       Klar. Wenn Großkonzerne und Milliardäre dagegen schießen, zeigt dass, das
       man auf dem richtigen Weg ist. Dialektisch betrachtet kann es auch die, die
       dies Land anders, ökologischer, gerechter machen wollen, enger
       zusammenschweißen. Außerdem hat sich der Blick auf Rot-Rot-Grün verändert.
       Diese Koalition ist laut Umfragen beliebter als alle, an denen die Union
       beteiligt wäre.
       
       Welche Rolle würde die Linkspartei in dem Bündnis spielen? 
       
       Negativ gesagt und an Ältere adressiert: Erinnert euch an Rot-Grün ohne
       uns. Das Ergebnis war: Agenda 2010, Afghanistan-Krieg, Hartz IV. Positiv
       gesagt: Nur mit uns in der Regierung würden Grüne und SPD die coolen Punkte
       aus ihren Wahlprogrammen auch umsetzen – niemals könnten sie das mit FDP
       oder CDU/CSU. Unsere Aufgabe sehe ich vor allem darin, die Interessen von
       denen durchzusetzen, die im öffentlichen Diskurs unsichtbar sind. Wer in
       Schwierigkeiten ist, muss sich auf einen Staat verlassen, der hilft und ihn
       nicht demütigt. Das ist zentral.
       
       Da ist die Linkspartei gespalten. Ist sie, wie Sahra Wagenknecht
       suggeriert, nur für die sozial Abgehängten da – oder für jüngere
       AkademikerInnen? 
       
       Diese Frage hat mittlerweile in linken Stammtischrunden die Qualität, die
       früher der Nahostkonflikt hatte. Ich halte das eine zu tun, ohne das Andere
       zu lassen, für schlau. In meinem Wahlkreis in Bitterfeld dominieren
       ökonomische Fragen, im Prenzlauer Berg, den mein Freund Stefan Liebich
       dreimal direkt gewonnen hat, völlig andere.
       
       Wagenknecht teilt gegen Grüne und Linksliberale aus. Das ist nicht: Wir tun
       beides. 
       
       Grünen-Bashing ist ja wohl bei diesem Weichei-Mitte-Tralala gerechtfertigt.
       Aber: Linke und Linksliberale haben enorm viel erreicht. Wenn man schaut
       wie in den 70er, 80er Jahren über Frauen geredet wurde, was die
       Schwulenbewegung erkämpft hat – da ist extrem Wertvolles erreicht worden.
       Die ökonomischen Kämpfe sind aber durch die Bank verloren worden – von der
       35-Stunden-Woche in Ostdeutschland über Rente mit 67 bis zu Hartz IV. Wir
       müssen klar machen: Es gibt Leute, die sich am Monatsende nur noch Nudeln
       mit Butter zu essen leisten können. Bei vielen gibt es ein Gefühl der
       ökonomischen Degradierung. Hinzu kommt das Gefühl, dass sie von den Eliten
       auch noch kulturell belehrt werden. Das ist eine explosive Mischung. Es ist
       die Aufgabe der Linken, diese Menschen zu vertreten und für ihre Würde zu
       kämpfen.
       
       13 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Abstimmung-ueber-Afghanistan-Einsatz/!5795045
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
 (DIR) Anna Lehmann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
 (DIR) Rot-Grün-Rot
 (DIR) Die Linke
 (DIR) Nato
 (DIR) R2G
 (DIR) Rot-Grün-Rot
 (DIR) Annalena Baerbock
 (DIR) Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
 (DIR) Rot-Grün-Rot
 (DIR) Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
 (DIR) Lesestück Recherche und Reportage
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Grün-rot-rote Annäherung: Der GRRdische Knoten
       
       Falls sie am Wahlabend zusammen eine Mehrheit haben, dürfte es erstmals zu
       Sondierungen zwischen Grünen, SPD und Linken kommen. Ein Szenario.
       
 (DIR) Erhöhung der Hartz-IV-Sätze: Das Elend wird weitergehen
       
       Die Mini-Erhöhung der Bedarfssätze zeigt den Zynismus des Hartz-IV-Systems.
       Auch nach der Wahl können Betroffene kaum Unterstützung erwarten.
       
 (DIR) Wahlversprechen der Union: Jetzt aber sofort in die Offensive
       
       Kanzlerkandidat Armin Laschet stellt ein Sofortprogramm vor: Vieles ist
       bekannt, manches luftig, das meiste teuer. Die Finanzierung bleibt unklar.
       
 (DIR) Vorbereitung auf mögliches Bündnis: Rot-rot-grüne Vorwahltreffen
       
       Erstmals haben sich Abgeordnete von SPD, Linken und Grünen im Wahlkampf
       getroffen. Signal: Mitte-Links ist nicht unmöglich.
       
 (DIR) Debatte über rot-grün-rote Koalition: Stück ohne Aufführung
       
       Eigentlich spricht viel für ein Bündnis aus SPD, Grünen und Linken. Doch
       auch diesmal dürfte R2G kaum Realität werden – vor allem der Außenpolitik
       wegen.
       
 (DIR) Die Linke im Bundestagswahlkampf: Vom Winde verweht
       
       Zwei Parteichefinnen in Weimar – kaum jemand interessiert’s. Eine
       Kritikerin in Schwerte – und der Platz ist voll. Die Linke hat so lange
       gestritten, dass sich Wähler abwenden.