# taz.de -- Familiennachzug nach Deutschland: Nichts geht mehr
> Wer seine Familie nachholen möchte, steht vor Hürden: hohe Kosten, lange
> Wartezeiten, kaum erfüllbare Auflagen. Seit Juli ist für die meisten
> Schluss.
(IMG) Bild: Schon 2018 protestierten Geflüchtete in Berlin gegen die damals geplante Aussetzung des Familiennachzugs
BREMEN taz | „Hilfe, please“, sagt der Mann zum Schluss des Gesprächs
weinend, „Hilfe, Hilfe, Hilfe.“ Er hat Angst um seine beiden Kinder, 17 und
19 Jahre alt, die Mitte Juni noch in seinem Herkunftsland Äthiopien leben,
in der Region Tigray im Norden an der Grenze zu Eritrea. Dort ist vor knapp
drei Jahren [1][ein Bürgerkrieg beendet worden], ohne dass wirklich Frieden
eingekehrt wäre.
Zudem [2][wächst seit Monaten die Angst der Menschen vor einem Krieg] mit
dem Nachbarland. Auch der Mann, der hier Gebre heißen soll, befürchtet dies
und fürchtet damit um das Leben von Sohn und Tochter. Deren Freund:innen
seien bereits tot, übersetzt der Dolmetscher, „sie haben Angst“.
Deshalb will ihr Vater sie so schnell wie möglich nach Deutschland holen –
solange dies noch geht, die Grenzen offen sind. Er lebt in Bremen, ist seit
2018 mit einer Deutschen verheiratet und deutscher Staatsbürger. Zehn Jahre
hatte er zuvor in Italien als anerkannter Asylsuchender gelebt.
Dorthin hatten ihn die Ärzte ohne Grenzen gebracht, erzählt der 56-Jährige,
der Dolmetscher übersetzt. Als junger Mann sei er selbst Soldat gewesen und
bei einem Bombenattentat an der Wirbelsäule verletzt worden. Seitdem ist er
schwerbehindert, braucht einen Rollator und habe kognitive Einschränkungen,
die ihm das Erlernen einer weiteren Fremdsprache schwer machen, berichtet
seine Frau, die bei dem Gespräch dabei ist.
## Zwischendurch war der Kontakt zu den Kindern abgerissen
Hinzu kämen die psychischen Belastungen, sagt sie, eine
[3][posttraumatische Belastungsstörung], Depressionen. „Er hat mit 16
Jahren schon Menschen im Krieg sterben sehen“, erzählt der junge
Dolmetscher, die Sorge um die Kinder mache es nicht besser.
An die taz gewendet hat sich die Familie, weil ihr die Wartezeit auf
Visaerteilung zu lang erschien. Im Januar 2024 hatte sie den Bremer
Rechtsanwalt Sven Sommerfeldt eingeschaltet, damit dieser die Visa für die
Kinder beantragt.
Das hatten sie im Jahr zuvor schon einmal getan, aber dann war der Kontakt
zu den Kindern abgerissen, und der Vater wusste nicht, ob sie noch lebten.
Im Oktober sei der Antrag positiv beschieden worden, sagt der Anwalt,
nachdem die Kinder bei der Botschaft vorgesprochen hatten, alle Papiere
besorgt und beglaubigt worden waren.
Laut Sommerfeldt nahm die Botschaft dafür einen Vorschuss von 729,30 Euro.
Gebres Ehefrau gibt an, insgesamt 1.300 Euro pro Kind für das Verfahren
gezahlt zu haben, zuzüglich Anwaltskosten. Zwischendurch seien die
Passfotos abgelaufen, sie hätten eilig neue beschaffen müssen. Gebre flog
selbst im Dezember trotz seiner Einschränkungen nach Äthiopien, um bei der
Passbesorgung zu helfen.
„Die Kinder waren happy“, übersetzt der Dolmetscher, „sie dachten, sie
könnten jetzt bald nach Deutschland kommen.“ Doch es dauerte bis April, bis
sie wieder etwas von der Botschaft hörten: Dass ihr Antrag an das Bremer
Migrationsamt geschickt worden sei, mit der Bitte um Zustimmung zur
Visaerteilung.
Mitte Juni war diese noch nicht erteilt – was umgehend geschah, nachdem die
Familie das Migrationsamt auf die Eilbedürftigkeit des Falles hingewiesen
hatte, zeitgleich mit dem Treffen mit der taz. „Es ist nachvollziehbar,
dass der Vater der Kinder und seine Ehefrau sich Sorgen machen und gern
Gewissheit hätten, ob denn die Kinder nun nach Deutschland kommen dürfen“,
schreibt ein Sprecher der Innenbehörde, zu der das Migrationsamt gehört,
der taz.
Ob die Kinder mittlerweile in Deutschland sind, ist unklar. Die Familie hat
eine Anfrage der taz nicht beantwortet. Daher ist der Name im Artikel
geändert.
So unerträglich lang diese anderthalb Jahre Wartezeit Gebre und seinen
Kindern vorgekommen sein müssen: Verglichen mit der Situation vieler
anderer Familien war das eine kurze Zeitspanne und ein vergleichsweise
einfaches Verfahren.
Wer als Nicht-EU-Ausländer:in seine minderjährigen Kinder oder
Ehepartner:innen nachholen möchte beziehungsweise als
Minderjährige:r seine oder ihre Eltern, muss in vielen Fällen deren
Lebensunterhalt sichern können sowie die Verfahrenskosten tragen. In
manchen Ländern, zum Beispiel in Westafrika, fordern die Botschaften
regelhaft DNA-Gutachten zum Verwandtschaftsnachweis an. In anderen ist die
Ausstellung von Reisepässen eine Devisen-Einnahmequelle. Zudem müssen die
Reisekosten bezahlt werden.
„Wir sagen den Leuten oft als schwachen Trost, sie könnten froh sein, dass
es so lange dauert, damit sie genug Geld zur Seite legen können“, sagt Lars
Ackermann von Zuflucht Bremen, einem Verein für ökumenische
Ausländerarbeit, der [4][in Bremen auch die Kirchenasyle koordiniert]. Kaum
zu lösen sei das Problem für diejenigen, die als Auflage haben, ausreichend
Wohnraum für die Familie bieten zu können. „Soll man auf gut Glück eine
Wohnung anmieten – ohne zu wissen, ob und wann die Familie kommen kann?“
Auch Gundula Oerter vom Bremer Flüchtlingsrat weiß, wie schwer es ist, die
Familie „zusammenzuführen“, wie es im Amtsdeutsch heißt. „Das Menschenrecht
auf Familie gilt in Deutschland nicht für Geflüchtete“, sagt sie. Oerter
berichtet, dass sich fast täglich Menschen mit Fragen zum Familiennachzug
melden würden. „Manche sollen Unterlagen beschaffen, die es überhaupt nicht
gibt“, erzählt sie.
Die erste Hürde sei allerdings, online einen Termin bei einer Botschaft zu
bekommen. „Manche versuchen es wochenlang nachts zwischen zwei und drei“ –
um dann in sechs bis 18 Monaten vorsprechen zu dürfen. Ein zusätzliches
Problem: In Ländern wie Syrien und Afghanistan gibt es gar keine deutsche
Botschaft. Viele mussten daher nach Teheran ausweichen, was seit Beginn der
kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und Iran im vergangenen
Oktober nicht mehr möglich ist.
Allerdings haben die meisten Menschen derzeit [5][gar keine Möglichkeit],
ihre Liebsten aus diesen Krisen- oder Kriegsgebieten herauszuholen. Denn
seit dem 24. Juli ist die Familienzusammenführung für sogenannte subsidiär
Schutzberechtigte [6][für zwei Jahre ausgesetzt]. Diesen Status bekommen
Menschen, die in ihrem Heimatland nicht persönlich verfolgt werden, deren
Leib und Leben dennoch in Gefahr ist.
Das betrifft in erster Linie aus Syrien Geflohene, ferner aus Afghanistan
und einigen anderen Ländern. Schon vor Juli durften aus dieser Gruppe
monatlich nur 1.000 Personen einreisen. Wie viele Anträge gestellt wurden,
kann das Auswärtige Amt auch auf wiederholte [7][Nachfrage im Bundestag]
nicht sagen.
[8][Ausgenommen von dem befristeten Aufnahmestopp] sind nur diejenigen, die
bereits eine Einladung zur Abholung des Visums erhalten haben, so steht es
in der Begründung der Gesetzesänderung. Andere, die auf einen
Botschaftstermin warten oder dort bereits vorgesprochen haben, müssen
darauf hoffen, dass das Kontingentverfahren in zwei Jahren wieder
aufgenommen wird. Ob das geschehen wird, ist unklar. In jedem Fall würden
dann zunächst die Verfahren abgearbeitet, die jetzt eingefroren wurden,
alle anderen müssten noch länger warten.
## Vater erwägt Rückkehr nach Afghanistan
„Wir hatten gerade jemand in der Beratung, der hier fast zusammengebrochen
ist, als wir ihm das erklärt haben“, sagt Lars Ackermann von Zuflucht. Die
Frau und drei kleinen Kinder des Mannes zwischen vier und zehn Jahren seien
in Afghanistan, ohne männliche Verwandte sei die Familie den Taliban
schutzlos ausgeliefert. „Er überlegt jetzt zurückzugehen.“ Lars Ackermann
vermutet, dass genau das ein von der Koalition aus SPD und CDU gewünschter
Effekt war. „Die Botschaft ist eindeutig: Wir wollen euch nicht haben.“
Es ist zwar möglich, Härtefallanträge zu stellen, aber nach den Erfahrungen
von Lars Ackermann haben auch schwer Kranke und behinderte Menschen wenig
Chancen. Ob die Gesetzesänderung rechtssicher ist, muss noch gerichtlich
geklärt werden.
Auf Nachfrage der Bremer Grünen teilte Bremens Innensenator Ulrich Mäurer
(SPD) im August mit, dass sich im Land zum 30. Juni 6.060 subsidiär
Schutzberechtigte aufgehalten hätten. 81,3 Prozent seien syrischer
Staatsangehörigkeit. Seit dem 1. Januar 2023 seien im Land Bremen 456
Aufenthaltserlaubnisse im Rahmen des Ehegatten-, Kinder- oder
Elternnachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten erteilt worden.
20 Sep 2025
## LINKS
(DIR) [1] /Kaempfe-in-Aethiopien/!6071757
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(DIR) [3] /Psychologische-Hilfe-fuer-Gefluechtete/!6098152
(DIR) [4] /Rekordhoch-beim-Kirchenasyl--ein-FAQ/!6058055
(DIR) [5] /Asylrechtsverschaerfungen/!6093241
(DIR) [6] /Familiennachzug-ausgesetzt-/!6096907
(DIR) [7] https://dserver.bundestag.de/btd/20/151/2015151.pdf
(DIR) [8] https://www.nds-fluerat.org/themen/familienzusammenfuehrung-2/familiennachzug-nach-dem-aufenthaltsgesetz/#wer-ist-berechtigt-zum-familiennachzug
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(DIR) Eiken Bruhn
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