# taz.de -- Deutsch-polnische Gespräche: Frischer Wind, kaum frisches Geld
       
       > Das deutsch-polnische Verhältnis war lange Zeit gestört. Nun soll alles
       > besser werden. Allerdings bleiben Entschädigungen für NS-Opfer weiter
       > offen.
       
 (IMG) Bild: Verstehen sich gut: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Donald Tusk, Ministerpräsident von Polen
       
       Warschau taz | Zum guten Ton im deutsch-polnischen Verhältnis gehörten
       Nazi-Anleihen jahrelang dazu. Jedenfalls aus polnischer Sicht. [1][Die
       abgewählte nationalkonservative Regierung der Partei Recht und
       Gerechtigkeit (PiS) versuchte immer wieder nach innen zu punkten, indem sie
       den äußeren Feind beschwor] – Deutschland. Die Deutschen würden nach der
       Vorherrschaft in Europa und der EU streben oder sich in Polens innere
       Angelegenheiten einmischen, so die Behauptungen. Diese Eiszeit ist unter
       der neuen Bürgerkoalition des Liberalen [2][Donald Tusk] nun vorbei.
       
       Erstmals seit sechs Jahren trafen sich die Regierungen beider Länder am
       Dienstag wieder zu sogenannten Regierungskonsultationen. Zum 80. Jahrestag
       des [3][Warschauer Aufstands] und auf Einladung der polnischen Regierung
       reiste die deutsche Mannschaft gleich mit 14 Spieler:innen an, inklusive
       Kanzler, Vizekanzler und Finanzminister sowie 10 weiteren Minister:innen.
       [4][Olaf Scholz], der auch schon 2018 mit an Bord war, trifft nun mit
       Donald Tusk auf ein Gegenüber, mit dem er auch persönlich erkennbar gut
       kann.
       
       Was Polen und Deutschland zusammenschweißt, sind aber mehr denn je die
       äußeren Umstände. Angesichts der [5][russischen Bedrohung im Osten] und des
       Erstarkens der Rechten im westlichen Nachbarland Frankreich rückt
       Deutschland enger an Polen und Polen enger an Deutschland.
       
       Beide Regierungen ticken zudem (im Fall von Polen: wieder) klar
       proeuropäisch, sie wollen die EU stärken und den Erweiterungsprozess
       vorantreiben. „Die deutsch-polnische Zusammenarbeit kann Europa
       stabilisieren“, hofft der polnische Ministerpräsident Donald Tusk in der
       Pressekonferenz nach den Konsultationen. Polen und Deutschland, das eine
       Land eines der größten Opfer des Zweiten Weltkrieges, das andere der Täter,
       sollten heute gemeinsam Verantwortung tragen für den Frieden in Europa.
       
       ## Führungsrolle für Deutschland
       
       Tusk forderte von Deutschland gar eine Führungsrolle bei der Sicherheit
       Europas, etwa bei der Verteidigung der Ostflanke. „Was wir nicht brauchen,
       sind wieder deutsche Panzer in Polen“, witzelte der polnische
       Ministerpräsident.
       
       Scholz sprach von einem guten Treffen. Deutschland und Polen seien gute
       Nachbarn, gute Partner und verlässliche Freunde, und: „Deutschland wünscht
       sich eine sehr starke polnische Stimme in Europa“, umwarb Scholz
       seinerseits den Gastgeber
       
       Die Themen Sicherheit und Verteidigung standen im Zentrum der bilateralen
       Beratungen. Hier wollen beide Länder in Zukunft enger kooperieren. So
       strebe man eine gemeinsame Führungsrolle im Ostseeraum und beim Schutz der
       Nato-Ostflanke an. Beide Länder sind sich einig über die Bedeutung der
       [6][Nato], wollen aber, wohl auch [7][angesichts der unklaren
       Machtverhältnisse in den USA], die europäische Säule des Militärbündnisses
       stärken.
       
       In einem gemeinsamen Aktionsplan heißt es zudem, da Russland und seine
       Verbündeten die größte Bedrohung für Frieden und Freiheit in Europa
       darstellten, „muss die EU ihre Fähigkeit verbessern, wenn nötig […] autonom
       zu handeln“. Erklärtes Ziel ist es außerdem, eine europäische
       Luftverteidigung aufzubauen.
       
       Einig ist man sich auch, dass die Ukraine weiter vollumfänglich unterstützt
       werden müsse. Wobei man auch auf mehr europäische Solidarität hofft, vor
       allem in finanzieller Hinsicht, eingedenk der Tatsache, dass Polen und
       Deutschland einen Großteil der [8][ukrainischen Geflüchteten] aufgenommen
       haben.
       
       In dem 40-seitigen Aktionsplan, eine Art Arbeitspapier für die Zukunft,
       hielten die deutsche und die polnische Regierung zudem fest, wie man die
       beiderseitige Zusammenarbeit vertiefen wolle – in den Grenzregionen, in der
       Zivilgesellschaft, bei der Bekämpfung illegaler Migration, bei Klimaschutz,
       Wirtschaft und Verteidigung. Neben viel gutem Willen enthält der Plan aber
       wenig konkrete Zahlen. Was wohl auch der [9][unklaren deutschen
       Haushaltslage] geschuldet ist. Der Ausflug nach Warschau fand inmitten der
       Haushaltsberatungen von SPD, Grünen und FDP statt.
       
       Eine heikle Frage blieb denn auch gänzlich unbeantwortet: die nach
       Entschädigungen für die noch lebenden polnischen Opfer des NS-Regimes und
       ihre Angehörigen. Hier konnten sich beide Seiten vorerst offensichtlich
       nicht einigen. Im Aktionsplan heißt es nur schwammig „Die beiden
       Regierungen führen einen intensiven Dialog über Maßnahmen zur Unterstützung
       für die noch lebenden Opfer des deutschen Angriffs und der Besatzung.“
       
       [10][Die Forderung nach 1,3 Billionen Euro deutschen Reparationen], welche
       die PiS-Regierung jahrelang wie eine Monstranz vor sich her getragen hatte,
       hält die Tusk-Koalition zwar nicht aufrecht. Doch mit Floskeln wird man
       sich auch nicht abspeisen lassen. Juristisch sei die Sache zwar klar, sagte
       Tusk, aber natürlich seien die Verluste, die Polen während des Zweiten
       Weltkriegs erlitten habe, nicht auszugleichen.
       
       Auf Nachfrage meinte der polnische Ministerpräsident, er sei nicht
       enttäuscht über das (magere) Ergebnis der Gespräche, sondern erkenne die
       deutsche Bereitschaft an, über diese Themen zu sprechen. „Wir hören, dass
       Deutschland bereit ist. Entscheidungen zu treffen, um die Opfer zu
       entschädigen“, so Tusk. Man sehe hier Schritte in die richtige Richtung und
       baue auf Vertrauen, nicht auf politische Konfrontation.
       
       Scholz betonte, Deutschland wisse um die Schwere der deutschen Schuld und
       die deutsche Verantwortung. „Deutschland wird sich um Maßnahmen zur
       Unterstützung für noch lebende Opfer bemühen.“ Welche das sind und in
       welchem Umfang bleibt aber weiter unklar.
       
       Stattdessen wurde die Gründung eines Deutsch-Polnischen Hauses im Zentrum
       Berlins zur Erinnerung an die polnischen Opfer des Zweiten Weltkriegs
       vereinbart und ein Denkmal für die polnischen Opfer der deutschen Besatzung
       Polens von 1939 bis 1945.
       
       Die Regierungskonsultationen sollen in regelmäßigen Abständen fortgesetzt
       werden. Mittags flogen die Deutschen zurück nach Berlin. Weitere
       Haushaltsverhandlungen warteten. Bis Freitag will man wohl fertig sein.
       
       2 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Wahlen-in-Polen/!5963598
 (DIR) [2] /100-Tage-Donald-Tusk/!5997531
 (DIR) [3] /Shoa-Museum-der-Warschauer-Ghettokaempfer/!5935143
 (DIR) [4] /SPD-nach-der-Europawahl/!6013312
 (DIR) [5] /Wappnen-fuer-den-ukrainischen-Winter/!6016394
 (DIR) [6] /Neuer-Nato-Generalsekretaer-Rutte/!6019935
 (DIR) [7] /Urteil-des-Obersten-US-Gerichts/!6021280
 (DIR) [8] /Buergergeld-fuer-Ukrainerinnen/!6015917
 (DIR) [9] /Diskussion-ueber-Bundeshaushalt-2025/!6021191
 (DIR) [10] /Bundesregierung-weist-Forderungen-ab/!5906819
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anna Lehmann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Polen
 (DIR) Deutschland
 (DIR) Warschauer Aufstand
 (DIR) Warschau
 (DIR) Olaf Scholz
 (DIR) Donald Tusk
 (DIR) Ampel-Koalition
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Polen
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Polen
 (DIR) Kolumne Vor der Tür
 (DIR) Europäische Union
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Studie zu Zweitem Weltkrieg: „Die Deutschen sind nackt und sie schreien“
       
       Tatjana Tönsmeyer untersucht die Narrative des 2. Weltkrieges. Die Studie
       „Unter deutscher Besatzung“ zeigt die Wechselwirkungen des Krieges auf.
       
 (DIR) 80 Jahre Warschauer Aufstand: Große Erwartungen an Steinmeier
       
       In Polens Hauptstadt erwarten viele eine Bitte um Vergebung vom
       Bundespräsidenten – und hoffen auf Konkretes zu finanziellen
       Entschädigungen.
       
 (DIR) Hamburger Verlegerin Halina Simon: „Sie ließen ihre Tochter zurück“
       
       Ihre deutsche Mutter gab sich als Polin aus, sie selbst wollte im Westen
       wie eine Deutsche wirken: Halina Simon über ihre Familiengeschichte.
       
 (DIR) +++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Nato uneins über mehrjährige Hilfen
       
       Eine Woche vor dem Nato-Gipfel können sich die Mitglieder nicht auf
       mehrjährige Zusagen für die Ukraine einigen. Erneut gab es Angriffe auf
       Charkiw.
       
 (DIR) Polens Justizminister in Freiburg: Mühsame Rückkehr zum Rechtsstaat
       
       An der Uni Freiburg sprach Polens Justizminister Adam Bodnar über die
       Rückabwicklung der PiS-Justizreform. Doch noch gibt es dabei Hemmnisse.
       
 (DIR) Wahlkampf in Polen: Zwischen Hoffnung und Frust
       
       Polens Wähler wollen weniger Bürokratie in der EU – und weg vom Diktat
       Brüssel. Scharfe Kritik wird auch an der strikten EU-Asylpolitik geübt.
       
 (DIR) Rechtsstaatlichkeit in Polen: EU stoppt Verfahren gegen Warschau
       
       Nach der Abwahl der PiS-Regierung sieht die EU-Kommission die Grundwerte
       nicht mehr in Gefahr. Nun gibt es nur noch gegen Ungarn ein
       Artikel-7-Verfahren.