# taz.de -- Bremen will Kohlendioxid verpressen: Ein überkritischer Beitrag zum Klimaschutz
       
       > Groß in die Kohlendioxid-Verpressung einsteigen will Bremens
       > Energieversorger SWB. Der Senat feiert und fördert das. Die Risiken redet
       > er klein.
       
 (IMG) Bild: Im Energiehafen von Øygarden wird flüssiges in überkritisches CO2 verwandelt. Dann jagt man's via Pipeline in den Meeresgrund
       
       Als Vorreiter soll sich Bremen nach den Plänen des örtlichen Energie- und
       Wasserversorgers SWB AG und dem Willen der Landesregierung auf dem Feld der
       CCS-Verfahren (Carbon Capture and Storage) profilieren. Bei denen werden
       Kohlendioxid-Abgase aufgefangen, verflüssigt und dann unterirdisch
       eingelagert – [1][in diesem Fall im Nordsee-Grund.] Ziel ist es, so Bremens
       CO2-Ausstoß zu verringern.
       
       Der Umweltverband BUND hält das Verfahren allerdings für riskant und wenig
       erfolgversprechend. „Wir bezweifeln stark, ob und wann diese Technik
       wirklich nennenswert die Klimabilanz Bremens verbessern kann“, so der
       Bremer BUND-Landesvorsitzende Klaus Prietzel. Als „große negative Folge“
       dieser Maßnahmen fürchtet er, dass sie wichtige Investitionen in
       Klimaschutz und in Projekte zur natürlichen CO2-Bindung, in Renaturierung
       und Aufforstung bremsen würden. Deshalb lehne der BUND CCS grundsätzlich
       ab. „Wir halten das für einen Irrweg.“
       
       Der rot-grün-rote Senat gibt sich dagegen als stolzer Förderer der
       deutschlandweit ersten Anlage, die ab 2031 in industriellem Maßstab CO2
       abscheiden, auffangen und dann per Schiff in Richtung Endlagerstätte
       verfrachten soll. Sie trägt den Namen Brewaccs.
       
       Laut Plan will man den Bau Anfang 2028 in Auftrag geben. Installiert werden
       soll die Anlage am Mittelkalorik-Kraftwerk (MKK) der SWB. Dort wird Müll
       zur Energiegewinnung verbrannt, die Abgase gelten also als unvermeidlich,
       und das Kraftwerk liegt im Industriehafen. Eine Pipeline durch
       Niedersachsen benötigt das Vorhaben also nicht: Das verflüssigte Abgas
       [2][soll direkt aufs Schiff verfrachtet werden]. „In Bremen entsteht so ein
       Leuchtturmprojekt“, lobt die Landesregierung das Projekt.
       
       Von den kalkulierten Kosten in Höhe von bis zu 170 Millionen Euro schießt
       Bremen laut Senatsbeschluss von Dienstag neun Millionen zu. Der Einsatz von
       Landesmitteln ist die Voraussetzung dafür, dass die SWB auch den beim
       Bunedswirtschaftsministerium beantragten Zuschuss von weiteren 21 Millionen
       erhält. Die Wirtschaftsdeputation hat den Plan am Mittwochnachmittag
       abgesegnet.
       
       Im Schnitt bewirken öffentliche Zuschüsse in Höhe von 52 Euro pro Jahr eine
       Tonne Kohlendioxid-Reduktion. Nach [3][den politischen Maßstäben der
       CO2-Bilanzierung, bei der CCS von Biomasse als Negativ-Emission sogar
       anderthalbfach angerechnet wird,] und auf den Förderzeitraum von fünf
       Jahren gerechnet, zahlt die Öffentliche Hand für Brewaccs nur zwölf, die
       Freie Hansestadt Bremen sogar nur 3,70 Euro pro Tonne. Denn die Anlage
       könne, so die Erwartung des Senats, eine Einsparung von jährlich 297.360
       Tonnen Kohlendioxid bewirken.
       
       Mit dem Einsparen ist das allerdings so eine Sache. Denn die Rauchgase
       fallen bei der Müllverbrennung weiterhin an. Nur werden von den 330.400
       Tonnen Kohlendioxid jährlich knapp 300.000 nicht direkt in die Atmosphäre
       abgegeben. Man fängt je 150.000 Tonnen biogenes, also aus der Verbrennung
       organischer Abfälle stammendes, und fossiles CO2 ein.
       
       ## Das Monopol der Erdölkonzerne
       
       Dann sollen sie verflüssigt, verschifft und schließlich in überkritisches
       CO2 verwandelt werden. In diesem speziellen Aggregatzustand hat es sowohl
       die Eigenschaften von Gas als auch einer Flüssigkeit, und lässt sich in den
       tiefen Nordseegrund einspritzen.
       
       Wohin genau ist nach Angaben der SWB noch nicht klar: „Wir stehen mit
       mehreren internationalen Anbietern im Austausch, die über zertifizierte CO₂
       Speicherkapazitäten in ehemaligen Öl- und Gasfeldern verfügen“, teilt
       SWB-Sprecher Niklas Oberbach der taz auf Anfrage mit.
       
       Mehrere ist eher so ein Spruch. Gegenwärtig ist das Northern Lights JV in
       Norwegen der einzige kommerzielle Anbieter für Lagerstätten in der Nordsee.
       Dabei handelt es sich um ein Joint-Venture der großen europäischen
       CO2-Verursacher Equinor (Norwegen), Shell (Großbritannien) und
       Totalenergies (Frankreich).
       
       Und auch der Quasi-Monopolist steht noch ziemlich am Anfang des
       Geschäftsfeldes: Als Ende August die Lagerstätte Aurora Reservoir an der
       norwegischen Westküste den Betrieb aufnahm, nannte Northern
       Lights-Geschäftsführer Tim Heijn das einen „exciting milestone“.
       
       Naja, Metaphern halt. Gemeint war, dass nach jahrelangem Planungsvorlauf
       die eigene Abgas-Flotte endlich von Industriestandorten in Norwegen und
       Dänemark aus Kurs Øygarden aufgenommen hat. Vom dortigen Energiehafen wird
       ihre Fracht dann durch eine kilometerlange Unterwasserpipeline in die
       Bohrlöcher in 2.600 Meter Tiefe geschossen. „Wir haben nun das allererste
       CO₂ sicher in das Reservoir injiziert und gespeichert“, so Heijn im Sommer.
       Zumindest ist das die Hoffnung.
       
       Allerdings: Was mit dem Wasser passiert, das durchs komprimierte
       Kohlendioxid verdrängt wird, ist ungewiss. Dieses Formationswasser weist
       eine deutlich höhere Salzkonzentration auf, als das der höheren
       Meeres-Etagen. Möglicherweise sind Giftstoffe und Schwermetalle in ihm
       gelöst.
       
       ## Ein märchenhafter Wirkungsgrad
       
       Dass es die Meeresumwelt, einschließlich der als natürliche CO2-Senke
       wichtigen Seegraswiesen beeinträchtigt, ist wahrscheinlich. Auch weiß
       niemand, wie sich Leckagen dauerhaft vermeiden lassen. „Die Parallele zur
       Atomkraft ist sehr deutlich“, so Prietzel angesichts dieser ungeklärten
       Fragen. „Versprochen wird ein sicheres Endlager, aber das lässt sich durch
       nichts belegen.“
       
       „Komplett utopisch“ nennt der Bremer BUND-Vorsitzende auch die von Senat
       und SWB veranschlagte Abscheiderate von über 90 Prozent. Tatsächlich gibt
       es weltweit keine Abscheide-Anlage, die einen solchen Wirkungsgrad
       erreicht.
       
       Die im Juni eröffnete, weltweit größte CCS-Anlage am Heidelberg Zementwerk
       im norwegischen Bevik – das Referenzprojekt für Northern Light –
       [4][schafft gerade einmal 400.000 Tonnen, also rund die Hälfte der
       Emissionen der Fabrik]. Nicht nur die Fachpresse hat sie dafür weltweit
       gefeiert.
       
       Dem Umweltbundesamt (UBA) zufolge wird mit Forschungsprojekten derzeit
       untersucht, ob jemals ein Wert von 85 Prozent erreichbar sein wird – und
       wie hoch der Energieaufwand dafür wäre. Das in Lakewood, Ohio, angesiedelte
       Institute for Energy Economics and Financial Analysis hat 2024 die
       Effizienz der 13 größten CCS-Projekte der Welt untersucht.
       
       ## Unausgereift und unverzichtbar
       
       Ergebnis: Die meisten seien gescheitert [5][oder hätten ihre Ziele um 20
       bis 50 Prozent verfehlt]. Nur drei hätten nominell die Erwartungen erfüllt.
       Blöderweise sei es bei einem von ihnen dann zu einer geologischen Störung
       gekommen. Ein weiteres habe nach 18 Monaten Betrieb einen neuen Speicherort
       finden müssen. Das verändert natürlich die Kostenstruktur.
       
       Die Bremer Pläne sind angesichts dessen verblüffend optimistisch. So geht
       man davon aus, dass der für das Abscheiden des CO2 benötigte Dampf
       vollständig vom MKK erzeugt wird. Die Abwärme soll dann sowohl für interne
       Prozesse genutzt als auch ins Fernwärmenetz eingespeist werden.
       
       Die weiteren Verfahrensschritte sparen Senat und SWB in ihrer Betrachtung
       aus: Vor allem die komplizierten Wechsel der Aggregatzustände durch Druck
       und Kälte und der Transport via Schiff und Pipeline sind energetisch
       aufwändig. „Dafür müsste man mindestens 15 bis 20 Prozent der im MKK
       erzeugten Energie aufwenden“, schätzt Prietzel.
       
       Auch hier stützen die Daten des UBA seine Kritik: „Der Einsatz der
       ⁠[6][CCS]⁠-Technik erhöht den Verbrauch der begrenzt verfügbaren fossilen
       Rohstoffe um bis zu 40 Prozent“, heißt es in dessen aktueller Handreichung
       zum Thema. Gleichzeitig empfiehlt es aber, die Technologie weiter zu
       erforschen. Und auch Weltklimarat [7][und die großen nationalen Studien zur
       Treibhausgasneutralität von 2021] halten CCS für unverzichtbar, um die
       Klimaziele zu erreichen.
       
       18 Dec 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Habecks-CO2-Speicherplaene/!5991971
 (DIR) [2] /CCS-Technologie/!6102070
 (DIR) [3] https://www.bundeswirtschaftsministerium.de/Redaktion/DE/Dossier/negativemissionen.html
 (DIR) [4] /Habecks-CO2-Speicherplaene/!5991971
 (DIR) [5] https://ieefa.org/resources/ccs-hype-and-hopes-sinking-fast
 (DIR) [6] https://www.umweltbundesamt.de/service/glossar/c?tag=CCS#alphabar
 (DIR) [7] https://www.bundeswirtschaftsministerium.de/Redaktion/DE/Downloads/Energiedaten/evaluierungsbericht-bundesregierung-kspg.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benno Schirrmeister
       
       ## TAGS
       
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