# taz.de -- Proteinreiche Ernährung im Alter: Gib den Muskeln Futter
> Extra Eiweiß brauchen nicht nur Sportler. Tatsächlich ist eine
> proteinhaltige Ernährung besonders für ältere Menschen wichtig.
(IMG) Bild: Wer gesund alt werden möchte sollte bis sich an den Maschinen schinden und viel Eiweiss essen
Na, was gibt es an den Feiertagen bei Ihnen zu essen? Deftig, vegan oder
glutenfrei? Wenn Sie stur den Trends der Lebensmittelindustrie folgen
würden und statt der taz „Men's Health“ lesen, gäbe es wahrscheinlich nur
eine Antwort: Hauptsache High Protein.
Proteinpudding, Eiweißbrot, Fitness-Schokoriegel und Supplemente in
überdimensionierten Plastiktonnen stehen längst in jedem Supermarkt. Meist
beanspruchen sie gleich eine eigene Abteilung mit mehreren Regalen.
Natürlich kann man diesen Hype als den nächsten Ernährungsirrsinn
belächeln. Doch extra Eiweiß ist nicht nur etwas für Bodybuilder.
Hauptsache High Protein gilt für alle, insbesondere aber für ältere
Menschen.
Während Eiweiß der aktuelle Star unter den Inhaltsstoffen ist, untersuchen
Forschende der Humanmedizin zurzeit eine besondere Gruppe von Molekülen:
die Myokine. Das sind Peptide, also kurzkettige Aminosäuren, die ähnlich
wie Hormone als Botenstoffe mit den Organen kommunizieren.
Beanspruchte Muskeln schütten sie in den Blutkreislauf aus, was die
Muskulatur umso bedeutender macht. Denn Myokine beeinflussen unseren
Stoffwechsel derart positiv, dass sie in den Fitnessmagazinen als
Arzneimittel aus der körpereigenen Apotheke gefeiert werden.
## Myokine wirken im Zusammenspiel
Wilhelm Bloch beschäftigt sich schon viele Jahre mit den Myokinen. Er und
sein Team an der Deutschen Sporthochschule Köln haben das Blut von
Sportlern untersucht und sind dabei auf eine große Vielfalt der Signale
übertragenden Stoffe aus dem Muskel gestoßen.
Erst nach und nach wird klar, wie viele verschiedene Myokine es gibt und
wie sie im Körper wirken. „Über 600 Arten sind inzwischen bekannt“, erklärt
der Wissenschaftler. Mehrere Hundert weitere warten noch auf ihre
Entdeckung. „Mit am besten erforscht ist das Interleukin-6, ein Stoff, der
die Abwehr gegen Entzündungen mobilisiert.“
Interleukin-6 (oder kurz: IL-6) sorgt für eine verstärkte Aufnahme von
Zucker und eine erhöhte Fettverbrennung. Außerdem [1][hemmt IL-6
Entzündungen]. Bei anderen Myokinen ist das therapeutische Potenzial noch
nicht ganz klar. Viele haben gleich mehrere Funktionen. Sie verbessern den
Stoffwechsel, wandeln Fettzellen um, beeinflussen den Insulinspiegel,
regulieren die Körpertemperatur, fördern die Regeneration bei Verletzungen,
stärken das Immunsystem. „Einige Myokine stärken die Knochen, andere
verhindern das Wachstum von Tumorzellen“, so Bloch.
Zudem wirken die Myokine im Zusammenspiel. Das macht es bislang schwierig,
die Moleküle isoliert herzustellen und gezielt zu verabreichen. „Die Stoffe
gelangen als Cocktail in den Blutkreislauf, und zwar unter einer
entscheidenden Bedingung: Kraftsport.“
Je mehr Muskelarbeit ein Körper leisten kann, desto höher ist die
Konzentration seiner Myokine. Offensichtlich leben Sport treibende Menschen
gesünder, weil sie mehr Myokine im Blut haben. Oder anders ausgedrückt:
Sportmuffel werden durch den Mangel an Myokinen schneller krank.
## Myokine werden durch Kraftsport ausgeschüttet
Schon moderate Bewegung kann die Ausschüttung verschiedener Myokine
anregen. Das beginnt bereits mit einem zügigen Spaziergang, Radfahren oder
Treppensteigen. Wichtig dabei ist Studien zufolge die regelmäßige Bewegung,
am besten täglich, pro Woche etwa drei Stunden.
Viele Leute tun sich jedoch damit schwer. [2][Einer Studie der Techniker
Krankenkasse zufolge] machen fast die Hälfte der Deutschen weniger als eine
Stunde pro Woche Sport. Auf das nötige Pensum kommt nur etwa jeder Fünfte.
Zu wenig körperliche Betätigung bedeutet jedoch Muskelverfall. Der
degenerative Abbau der Muskelmasse beginnt schon ab dem 25. Lebensjahr und
setzt sich mit dem Alter immer schneller fort, wenn nicht gezielt
gegengesteuert wird. Ohne Sport verliert der Körper ab 30 Jahren bis zu
drei Prozent Muskelmasse jährlich.
Jede körperliche Inaktivität beschleunigt den Verlust: Bei zehn Tagen
Bettruhe verlieren gesunde Menschen um die 60 Jahre schon über ein
Kilogramm Muskeln. Wer einen inaktiven Lebensstil führt, hat mit 60 schon
die Hälfte seiner Muskelmasse verloren, bis 80 sinkt sie auf ein Viertel.
Aktive Menschen hingegen nehmen beim Altern nur einen Verlust von 10 bis 30
Prozent in Kauf.
„Um diesen Muskelverfall zu stoppen, müssen wir das Muskelwachstum
anregen“, macht Bloch klar. „Da kommen wir um zwei bis drei Einheiten
Krafttraining pro Woche nicht herum.“ Nur so ließe sich unsere Muskulatur
aufrechterhalten.
[3][Auch der Myokinmotor] komme erst durch Kraftsport so richtig in die
Gänge. Denn zum einen werden viele der muskeleigenen Botenstoffe wie etwa
das bislang am besten erforschte IL-6 erst bei größerer Anstrengung
ausgeschüttet.
„Unsere Muskulatur hilft uns nicht nur, die Getränkekiste in den Keller zu
schleppen“, sagt Jürgen Gießing. Der Sportwissenschaftler hat gerade ein
Buch über die Bedeutung von Krafttraining im Alter geschrieben. „Sie ist
die entscheidende Stoffwechselsubstanz. Ihr Gewebe verbrennt selbst im
Ruhezustand die meiste Energie – und davon bekommen wir gerade in der
Adventszeit mit Stollen und Plätzchen reichlich zugeführt.“
## Die Muskeln müssen brennen
Muskeln verbrennen Zucker und Fett, je mehr Muskelgewebe, desto mehr
Verbrennung. Doch Muskelmasse wächst nur dann, wenn sie anaerob, also unter
Sauerstoffmangel arbeitet. „Dafür muss die Anspannung so stark sein, dass
die Muskelzelle mehr Energie verbraucht als sie zeitgleich herstellen
kann“, so Gießing. „Wir spüren das, wenn die Muskeln anfangen zu brennen.“
Wenn nach einigen Kniebeugen oder Liegestützen die Muskeln schmerzen, wird
das Gewebe minimal beschädigt, die Muskelfasern verschleißen und reißen
ein. Danach versucht der Körper, die Muskelfasern zu reparieren, indem
neues Eiweiß eingelagert wird. „Das geschieht in Superkompensation“,
erklärt Gießing.
„Der Körper gleicht als Reaktion auf das Training nicht nur das Defizit
wieder aus, sondern er legt sich zusätzlich eine Art Sicherheitsreserve
zu.“ Will heißen: Der Muskel wächst, wird dicker und stärker, um für
zukünftige Belastungen besser gewappnet zu sein. „Zusätzlich werden die
Knochen, die mit den jeweiligen Muskeln verbunden sind, gestärkt.“
Der neue Baustoff für unsere Muskeln kommt aus den Proteinen in unserer
Nahrung. Aus ihnen werden neben Muskeln auch neue Knochensubstanz, Enzyme,
Hormone oder Blutkörperchen gebaut. Die Proteine bestehen aus 20
unterschiedlichen Aminosäuren. Neun davon sind essentiell: Der Körper kann
sie nicht selbst herstellen.
Wir müssen sie also von außen zuführen. Und das nicht zu knapp:
Weltgesundheitsorganisation und Deutsche Ernährungsgesellschaft empfehlen
bis heute 0,8 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht. Mit diesem Wert ist
jedoch die tägliche Mindestmenge gemeint.
## Ältere Menschen sollten mehr Eiweiß aufnehmen
1,2 bis sogar 1,7 Gramm pro Kilo Körpergewicht treffen den tatsächlichen
Bedarf schon eher. Sportler können an Trainingstagen noch mehr Eiweiß
aufnehmen, [4][ältere Menschen sowieso]. „Unsere Studien haben gezeigt,
dass Ältere fast die doppelte Menge Eiweiß pro Mahlzeit essen müssen, um
eine vergleichbare Synthese im Muskel hervorzurufen“, so Gießing. Offenbar
verwertet das Verdauungssystem die Nährstoffe im höheren Alter nicht mehr
so gut.
Denn während die meisten Leute schnell mit mehr als genug Fett und
Kohlenhydraten versorgt sind, fällt es vielen gar nicht so leicht, jeden
Tag um die 150 Gramm Eiweiß auf den Teller zu bekommen und außerdem noch
ausreichend zu trinken. Es hilft, sich einmal bewusst mit seiner Ernährung
und den Nährwerten in den Lebensmitteln auseinanderzusetzen.
Als Faustregel gilt: Entspricht die Grammzahl beim [5][Eiweiß] mindestens
10 Prozent der Kalorienzahl pro 100 Gramm, ist das Lebensmittel eine gute
Proteinquelle. Bei Magerquark, Harzer Käse, Parmesan, Seitan, Tofu,
Hülsenfrüchten oder magerem Fleisch ist das oft der Fall. Bei
High-Protein-Produkten nicht unbedingt. Denn eine Kalorienbombe wie ein
Schokoriegel bleibt auch mit extra Eiweiß immer noch eine Kalorienbombe.
18 Dec 2025
## LINKS
(DIR) [1] https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC11064867/
(DIR) [2] https://www.tk.de/presse/themen/praevention/gesundheitsstudien/tk-studie-2022-beweg-dich-deutschland-2137706?tkcm=aaus
(DIR) [3] https://www.mdpi.com/1422-0067/23/7/3501
(DIR) [4] /Altersgarantie-dank-Leistungssport/!5937741
(DIR) [5] /Neue-Proteinquellen/!5823710
## AUTOREN
(DIR) Philipp Brandstädter
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