# taz.de -- Klimakrise bedroht Tuvalu: Wenn alle gehen, was wird dann aus Tuvalu?
       
       > Ihr Leben lang lebt Temotika Oten auf Tuvalu, doch in Zukunft könnte es
       > überschwemmt werden. Warum sie für ihr Zuhause zu kämpft.
       
 (IMG) Bild: Traditionellerweise werden in einer Lagune vor Funafuti, Tuvalu, die Fische zusammengetrieben
       
       Als ich das erste Mal von der Klimakrise erfuhr, war ich in der achten
       Klasse. Das Wort erklärte plötzlich das, was ich schon viel früher gespürt
       hatte. Ich sollte einen Essay darüber schreiben und verstand: Das ist der
       Grund für die zunehmende Anzahl an Zyklonen.
       
       Früher hat niemand nach dem Grund für die vielen Stürme gefragt, die selbst
       während der Trockenzeit auftraten. Einmal war die Straße zu meinem Zuhause
       am nördlichen Ende von Funafuti, dem Hauptatoll von Tuvalus neun Inseln,
       völlig überflutet. Wir mussten unsere Fahrräder große Strecken schieben, um
       dann auf einer anderen Straße weiter weg von der Küste nach Hause fahren zu
       können. Manchmal fiel die Schule auch ganz aus, weil es mit den Stürmen zu
       unsicher war. Damals haben wir uns über die schulfreie Zeit gefreut, bis
       wir irgendwann bemerkt haben, wie ernst die Klimakrise ist.
       
       Heute ist Tuvalu in aller Munde. Unsere Regierungsmitglieder reisen um die
       Welt, um von unserem Schicksal zu erzählen, also davon, wie die Klimakrise
       unser Land zerstört.
       
       Es ist alarmierend, wie vieles sich verändert hat. Früher war es warm
       draußen, heute ist es so heiß, dass ich keinen ganzen Tag mehr in der Sonne
       aushalte. Das beeinflusst nicht nur unseren Alltag, es beeinflusst unsere
       ganze Art zu leben: wie wir Pflanzen anbauen, wie wir fischen. Fisch ist
       eigentlich unser Grundnahrungsmittel, aber große Fische kommen mittlerweile
       nur noch zu besonderen Anlässen auf den Tisch. Wir Tuvaluer:innen sind
       sehr mit der Natur verbunden. Deshalb verlieren wir, wenn Land, Meer und
       Pflanzen nicht mehr im Einklang sind, unsere Identität.
       
       Manche Familien haben ganz besondere Verbindungen zur Natur. Etwa
       diejenigen, aus denen die besten Fischer kommen, sie wissen, wie sich die
       Gezeiten verhalten, wo die Fische gerade schwimmen und wo es gefährlich
       wird. Dieses Wissen wird aber nicht mehr an die nächste Generation
       weitergegeben werden. Das Meer wird immer weniger zu dem Ort, von dem wir
       uns täglich ernähren können. Stattdessen essen Tuvaluer:innen zunehmend
       verarbeitete, importierte Lebensmittel, die Menschen hier sind deshalb
       häufiger übergewichtig und krank.
       
       Aktuell ist die Falepili Union zwischen Tuvalu und Australien das
       meistdiskutierte Thema auf Tuvalu. Alle sind ganz aufgeregt. Es ist ein
       Sicherheits- und Migrationsabkommen, das es uns erlaubt, nach Australien
       umzuziehen – permanent oder nur für eine Zeit, wie wir möchten. Wir können
       dann dort leben, arbeiten und zur Schule gehen. Dieses Jahr wurden die
       ersten 280 Visa ausgestellt.
       
       Einerseits ist das Abkommen eine tolle Möglichkeit. Besonders Leute mit
       Familien können dort einfacher Jobs finden. Neulich war ich selbst in
       Australien und dachte mir, dass hier alles so viel einfacher ist und ich
       mich hier sicher fühle. Ich müsste mir keine Sorgen machen, sondern könnte
       einfach jeden Tag zur Arbeit gehen und danach wieder nach Hause. Aber
       gleichzeitig frage ich mich: Wenn alle gehen, was wird dann aus Tuvalu?
       
       ## Die Tradition verschwindet
       
       Wir können nicht einfach davonlaufen, nur weil eine Katastrophe auf uns
       zukommt. Dafür ist das, was wir in Tuvalu haben, zu einzigartig. Viele
       Bräuche, die uns ausmachen, könnten wir nicht mehr ausleben. Ich glaube zum
       Beispiel nicht, dass Australien zulassen würde, dass ich frühmorgens auf
       einen Baum klettere und Toddy sammle. Das ist Saft aus den Blütenknospen
       von Kokosnussbäumen, der zu Palmwein weiterverarbeitet wird. Wir lieben ihn
       hier.
       
       Andererseits verschwindet diese Tradition auch in Tuvalu langsam, weil die
       Bäume durch die Hitze nicht mehr viel Wasser haben. Unsere Kultur verändert
       sich durch die Klimakrise und durch die Migration. Ich finde es
       beängstigend, dass sie irgendwann komplett verschwinden wird. Zwar gibt es
       viele Pazifik-Gemeinden in Australien, die sich zum traditionellen Weben
       und Tanzen treffen. Aber ich glaube, dass Kultur in einem Land verwurzelt
       ist. Weil es nur dort alle Ressourcen gibt, um diese auch auszuleben.
       
       Ich finde, ich habe eine Verantwortung gegenüber meiner Heimat, zu helfen.
       Außerdem ist es mein gutes Recht, hierzubleiben, selbst wenn Tuvalu fast
       versinkt. Ich weiß, dass viele Menschen gemischte Gefühle gegenüber dem
       Angebot der Falepili Union haben. Es wollen eben nicht alle Tuvalu
       verlassen und ganz woanders leben. Warum unterstützt Australien nicht
       verstärkt die Leute, die bleiben wollen?
       
       Zum Beispiel uns, die in Organisationen bei der Klimaanpassung auf Tuvalu
       helfen. Wir pflanzen etwa Korallen im Meer oder destillieren Wasser mit
       Solarenergie in Regionen, die keinen Anschluss zu sauberem Trinkwasser
       haben. Zwar erhalten wir internationale Hilfe, durchaus zu großen Teilen
       auch von Neuseeland und Australien – aber Australien trägt als riesiger
       Kohle- und Gasproduzent trotzdem immer weiter zur Klimakrise bei.
       
       Letztendlich können wir uns nur auf uns selbst verlassen. Wie könnte man
       anderswo sagen, dass man Tuvaluaner:in ist, wenn es Tuvalu nicht mehr
       gibt? Wir müssen für Tuvalu kämpfen und ein Zeichen für andere Länder
       setzen, sodass der Eindruck entsteht: Wenn diese kleinen Inseln sich
       vorbildlich verhalten können, warum macht es dann nicht die ganze Welt?
       
       24 Dec 2025
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Chiara Bachels
       
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