# taz.de -- Aufbruchstimmung in Osteuropa: Feiert den europäischen Frühling!
       
       > Europa steht nicht nur bei Trump, sondern auch in Europa auf schlechtem
       > Kurs. Dabei gab es 2025 euphorische Momente: Im Osten des Kontinents geht
       > was.
       
 (IMG) Bild: Zehntausende protestieren in Budapest gegen Orbán am 23. Oktober 2025
       
       Es ist die verpasste Chance Europas im Jahr 2025. Mehrfach hätte es in
       Brüssel, Berlin oder den Börsenvierteln des Kontinents Gründe gegeben,
       nicht nur verhalten optimistisch, sondern sogar euphorisch zu sein.
       
       Europa hätte Europa als Kontinent im Aufbruch, im Kampf gegen Korruption,
       Vetternwirtschaft, Autoritarismus und Diktatur feiern können. Und als
       Kontinent, in dem die jungen Leute und die Zivilgesellschaft sich dagegen
       wehren, dass es bei ihnen zu Hause so zugeht wie bei Putins unterm Sofa, wo
       alles außer Sicht- und Hörweite gebracht wird, was die reibungslose
       Durchsetzung des Diktatorenwillens stört.
       
       Seit über einem Jahr protestieren [1][Hunderttausende in Georgien] und
       [2][Serbien gegen ihre in Teilen prorussisch] agierenden Regierungen. Auch
       innerhalb der EU stürzte nach riesigen Protesten eine korrupte Regierung
       ([3][Bulgarien),] während zur selben Zeit über [4][50.000 Ungarn und
       Ungarinnen in Budapest] demonstrierten und den prorussischen
       Ministerpräsidenten Viktor Orbán aufforderten, endlich aufzugeben. In
       Budapest kam es in diesem Jahr immer wieder zu diesen Demos, Auslöser sind
       die Missbrauchsvorwürfe gegen Regierungsmitglieder und staatliche
       Jugendeinrichtungen.
       
       Mehr proeuropäischer und gegen Vetternwirtschaft und Korruption gerichteter
       Protest war nach 1989 selten auf diesem Kontinent. Es ließe sich sogar von
       so was wie einem europäischen Frühling sprechen.
       
       Stattdessen schlechteste Laune und Apokalypse. Seit der Bundestagswahl gibt
       es hierzulande kein öffentliches politisches Gespräch, das ohne die
       bedrohlich gemeinte Aussage auskommt, dass die AfD bald das Ruder
       übernimmt.
       
       Seit der Inauguration von Trump gibt es hierzulande kein öffentliches
       politisches Gespräch, das ohne die als letzte Warnung zu verstehende
       Aussage auskommt, Europa müsse endlich auf eigenen Füßen zu stehen kommen –
       als wäre der Kontinent ein schwer erziehbarer und pickliger Teenager, der
       sein Leben bisher mit Computerspielen im Hotel Mama verbracht hat und jetzt
       erstmals Miete, Chips und Baggyjeans selber verdienen muss.
       
       ## Bei Putins unterm Sofa
       
       Der Bundeskanzler hat zwar recht, dass die Ukraine für den Frieden und die
       Freiheit in ganz Europa kämpft. Aber es ist falsch zu glauben, dass Europas
       Frieden und Freiheit ausschließlich vom Frontverlauf in der Ukraine
       abhängt.
       
       Wenn Georgien, wenn Serbien, wenn Ungarn oder die Slowakei weiter mit Putin
       politische, militärische und andere Geschäfte machen, dann ist das unter
       Umständen bedrohlicher für Frieden und Freiheit Europas als ein Wahlsieg
       der AfD in Sachsen-Anhalt. Europa behandelt seinen Osten immer noch so, als
       wäre er Müll, den man außer Sicht- und Hörweite unters Sofa kehrt.
       
       Es gibt eine Institution in diesem Land, die macht genau das Gegenteil:
       [5][die Leipziger Buchmesse]. Die wird im Jahr 2026 unter dem Titel „Unter
       Strom und zwischen Welten“ kein Gastland, sondern eine ganze Region zum
       Schwerpunkt machen: die Donau. Sie durchfließt zehn europäische Länder und
       weist damit die Richtung, in der sich auch Europa mehr umgucken sollte:
       Deutschland, Österreich, die Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien,
       Bulgarien, Rumänien, die Republik Moldau und die Ukraine.
       
       Im Fokus der Messe steht die Literatur, beispielsweise die der 2023
       verstorbenen Schriftstellerin und Essayistin Dubravka Ugrešić. Die deutsche
       Übersetzung ihres Essaybands [6][„Europa in Sepia“] ist in diesem Jahr im
       eta-Verlag erschienen: „Wir alle kratzen uns nun mal da, wo es am meisten
       juckt“, schreibt sie dort, und dass wir unfähig geworden sind, die
       Schönheit der feinen Unterschiede in Mitteleuropa zu genießen.
       
       Ich wünsche mir für 2026 schlicht mehr Perspektivwechsel, wenn es um Europa
       geht. Das schafft zwar keinen Frieden, aber bessere Laune.
       
       27 Dec 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Tagebuch-aus-Georgien/!6125592
 (DIR) [2] /Novi-Sad/!6122814
 (DIR) [3] /Ruecktritt-der-Regierung-in-Bulgarien/!6137442
 (DIR) [4] /Skandal-um-Kindesmissbrauch/!6138086
 (DIR) [5] https://www.leipziger-buchmesse.de/de/erleben/international/fokusthema-donau/
 (DIR) [6] https://www.eta-verlag.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Doris Akrap
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kolumne Geraschel
 (DIR) Europa
 (DIR) Osteuropa
 (DIR) Literatur
 (DIR) Kolumne Geraschel
 (DIR) Kolumne Geraschel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Preis der europäischen Verständigung: Der Eiffelbrückenbauer
       
       Ein Schriftsteller, wie man ihn jedem Land wünscht: Miljenko Jergović aus
       Bosnien. Er erhält den Leipziger Buchpreis zur europäischen Verständigung.
       
 (DIR) Kroatien-Wahl-Krimi geht weiter: Die Opposition hat gewonnen. Aber das Thermometer steigt
       
       Endlich regiert ein neuer Bürgermeister im von Korruption geplagten Baška
       Voda an der Adria. Auch der Klimawandel macht dem Ort zu schaffen.
       
 (DIR) Ein Herz für Osteuropa: Die Verwahrlosung Europas ist aufhaltbar
       
       Tausende kämpfen auf den Straßen Osteuropas für Freiheit und Demokratie –
       und der Westen glotzt dazu. 2025 muss das anders werden: mehr Solidarität!